„Fraport will die Bahn nicht“ (echo online)

Publiziert von VFSNinfo am

Bürgerinitiative: Jurist Martin Führ spricht auf einer Informationsveranstaltung vom Strukturwandel in der Luftfahrt – Wachstumszahlen sprächen gegen Flughafenausbau

GINSHEIM. Eine Fluggesellschaft, die bis vor kurzem mit massiven Forderungen den Ausbau des Frankfurter Flughafens vorantrieb, verabschiedet sich jetzt klammheimlich von ihren Erweiterungsbestrebungen – so die Einschätzung von Professor Martin Führ, Jurist für Umweltrecht. „Ist der Flughafenausbau überhaupt noch nötig?“, mit dieser Frage beschäftigte sich die Bürgerinitiative Mainspitze (Bims) in ihrer Infoveranstaltung und kam mit dem Wissenschaftler zu einem überraschenden Ergebnis.

Die von der Lufthansa vor wenigen Tagen verkündete Nachricht, die Wartungshalle für den A-380 werde nur noch halb so groß gebaut wie geplant, zeige, dass das Unternehmen auf den Strukturwandel in der Luftfahrt reagiert. Es könne sogar als Signal gewertet werden, dass die Fluggesellschaft eine innere Kehrtwende mache und mit dieser Information andeuten wolle, dass sie den Bau einer vierten Bahn an ihrem Heimatflughafen nicht mehr will. Der von Führ vermutete Hintergrund: Da die vorausgesagten Wachstumszahlen im Luftverkehr höchstens noch für die Billigflieger zuträfen, werde mit dem Bau einer vierten Bahn in Frankfurt auch mehr unerwünschte Konkurrenz auf die Lufthansa zukommen. Der Kampf der Lufthansa für den Ausbau wandele sich in einen Kampf gegen eines Nachtflugverbots, beobachtet der Rechtswissenschaftler.

Das tieferliegende Problem: Die bei der Mediation und dem Planfeststellungsverfahren vom Flughafenbetreiber Fraport vorgelegten Gutachten basieren alle auf einer einzigen Prognose, deren Grundlage bis in die siebziger Jahre zurückreicht. Besonders befremdlich sei, dass der Prognostiker, der für Fraport tätig war, auch für alle weiteren deutschen Flughäfen enorme Wachstumszahlen vorausgesagt hat, ohne dass diese von anderer Seite überprüft worden wären, sagt Führ. Ab den siebziger Jahren gab es ein lineares Wachstum im Luftverkehr, wobei in der Prognose unterstellt wird, dieses werde sich genauso steil bis in das Jahr 2015 und darüber hinaus fortentwickeln.

Weiterhin wurde behauptet, dass Frankfurt seine zentrale Drehkreuzfunktion unteilbar halten müsse, um sich nicht in einen Provinzflughafen zu verwandeln. Schon jetzt sind diese Prognosen von der Wirklichkeit überrollt worden, bewies der Wissenschaftler beim Bims-Infoabend. Auf dem Münchner Flughafen ist ein zweiter Hub entstanden und in Zürich hat sich ein weiteres Drehkreuz entwickelt, ohne dass Frankfurt in die zweite Liga abgestiegen wäre.

Zusätzlich ginge der Trend zu Direktflügen, führte der Wissenschaftler aus. Dazu komme, dass die Billigflieger in den Prognosen keine Berücksichtigung fanden. Daraus ergebe sich ein Strukturwandel in der Luftfahrt, der in keine Übereinstimmung mit den veralteten Prognosen stehe. „Die Zukunft ist vielfältiger, als die bloße Fortschreibung der Vergangenheit“, beweist der Wissenschaftler und hat ein Szenariengefüge erstellt, um die mögliche Weiterentwicklung des Flugverkehrs vielschichtiger zu erfassen. Die Formel, dass bei steigendem Wirtschaftswachstum mehr geflogen werde, stimme schon lange nicht mehr.

Tatsächlich bewegt sich etwas: das Regierungspräsidium Darmstadt hat das Hessische Wirtschaftsministerium darauf hingewiesen, dass die Gutachten zur Luftverkehrsprognose 2015 für den Frankfurter Flughafen „überprüfungsbedürftig“ seien:

„Die Prognose muss auf einem tauglichen Basisjahr beruhen, die Eingangsdaten der Prognose müssen plausibel und zutreffend sein.“

Wie die Erörterung gezeigt hat, werden alle drei Vorgaben aus jetziger Sicht nur unzureichend erfüllt“, so der Wortlaut aus dem Schreiben. (echo online, 28.03.06)



Prof. Martin Führ, Hochschule Darmstadt, Fachbereich Sozial- und Kulturwissenschaften


Kommentar VFSN:
Die Studie "Entwicklung des Luftverkehrs in der Schweiz bis 2030 - Nachfrageprognose" (siehe Bericht in der NZZ: Studie prognostiziert massives Wachstum des Flughafens) stützt sich in weiten Teilen auf deutsche Prognosen ab - die offensichtlich überholt sind. Das Regierungspräsidium Darmstadt hat darauf hingewiesen, dass die Gutachten zur Luftverkehrsprognose 2015 für den Frankfurter Flughafen „überprüfungsbedürftig“ seien. Wir empfehlen unseren Behörden die Nachfrageprognose ebenfalls zu überprüfen.