«Vor 2007 gibt es keinen Fluglärm-Richtwert» (NZZ)

Publiziert von VFSNinfo am


Empa-Akustiker Thomann zum Plafonierungs-Gegenvorschlag

Am Freitag hat der Regierungsrat seinen Gegenvorschlag zur Plafonierungs-Initiative präsentiert. Statt der Flugbewegungen will er die Anzahl stark gestörter Personen (ASGP) begrenzen. Der leitende Fluglärm-Akustiker der Empa in Dübendorf, Georg Thomann, meint, dass es mindestens 2007 werden dürfte, bis der entsprechende Richtwert vorliegt.

Herr Thomann, was halten Sie vom ASGP-Richtwert, wie ihn Frau Fuhrer präsentiert hat?

Ich finde es grundsätzlich sinnvoll, dass die Regierung versucht, die Anzahl stark gestörter Personen zu ermitteln. Er wäre eine zusätzliche Grösse, um die Belastung von neuen Anflugvarianten zu prognostizieren. Die ASGP ist an sich nichts Neues, sie ist keine Erfindung der Empa und wurde bereits für die Festlegung der Grenzwerte in der Lärmschutzverordnung im Jahr 2000 verwendet. Wir müssen allerdings aufpassen, dass keine Verwirrung entsteht. Der Richtwert ist keine Alternative zu den gesetzlich festgeschriebenen Grenzwerten.

Waren Sie in die Vorbereitungsarbeiten der Volkswirtschaftsdirektion eingebunden?

Nein, wir wussten nicht, dass das kommt, und es wurde auch noch keine konkrete Zusammenarbeit mit uns vereinbart. Der Gegenvorschlag wurde offenbar unter grossem Zeitdruck erarbeitet. Es ist aber nicht unüblich, dass der Regierungsrat einen derartigen Prozess politisch vorbereitet, ohne die zuständigen Wissenschafter vorher einzubeziehen. Die grosse Arbeit steht ja erst noch bevor.

Wert kann sich als untauglich erweisen

Wie sieht denn das weitere Vorgehen aus?

Der ehemalige Leiter unserer Akustik-Abteilung, Robert Hofmann, wird bis Ende Februar die Grundlagen erarbeiten. Erst dann wird überhaupt klar, ob der angestrebte Richtwert Sinn ergibt. Wir stecken noch in der lösungsneutralen Phase. Wenn eine weitere Bearbeitung sinnvoll erscheint, müssen die Lärmwirkungsforscher ein Belästigungsmass finden, das nicht nur die Störung am Tag im Wachzustand abdeckt, wie die von Carl Oliva erarbeitete ASGP, sondern auch die Aufwachreaktion zu den Nachtstunden. Erst wenn dieses Mass gefunden ist, kommen wir Akustiker von der Empa zum Zuge, um die notwendigen Berechnungen vorzunehmen.

Es ist also möglich, dass die Idee eines solchen Richtwerts wieder aufgegeben werden muss?

Das ist durchaus möglich, ja.

Die Befragung der Studie Oliva basiert auf einer Umfrage aus dem Jahr 1991. Müsste man nicht eine neue Umfrage machen?

Nein, ich glaube, dass die Studie adaptierbar ist. Zudem wäre es sehr schwierig, in der gegenwärtigen aufgeheizten Stimmung eine Umfrage zu machen. Das Resultat wäre nicht objektiv, da die Emotionen sehr hoch gehen und viele Leute bei ihrer Antwort befangen wären.

Keine Alternative zum Leq 16

Wie lange dauert es, bis der Richtwert vorliegt?

Das wird sehr darauf ankommen, wie lange die Lärmwirkungsforscher brauchen, um sich auf eine Belästigungsformel zu einigen. Sie werden sich aneinander reiben müssen. Es wird darum gehen, die von Frau Fuhrer herangezogene Studie Oliva für die Belästigung während des Tages mit den im letzten Jahr präsentierten Aufwachstudien der ETH und des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) zu verknüpfen. Ich rechne aber nicht damit, dass vor 2007 ein Richtwert vorliegt.

In der Richtwert-Diskussion wurde zum wiederholten Mal der gemittelte Lärmwert Leq 16, auf dem die Grenzwerte in der Lärmschutzverordnung basieren, kritisiert. Sehen Sie eine Alternative zum Leq 16?

Nein, ich sehe keine Alternative. Von den schlechten Massen ist der Leq 16 das beste. Man versucht immer wieder, hier den Stein des Weisen zu finden, den findet man aber nicht so einfach. (NZZ, 10.01.06)


Kommentar:
Es ist immer noch nicht der Stein des Weisen, aber ein kleiner dafür entscheidender Fortschritt: Leq 1 als Mass in den Tagesrandstunden.



siehe auch:
Medienmitteilung VFSN
Gegenvorschlag des Regierungsrates zur Volksinitiative «Für eine realistische Flughafenpolitik» (Medienmitteilung des Regierungsrates)
Kein unkontrolliertes Wachstum auf Kosten der Bevölkerung (Stellungnahme des Initiativ-Komitees Volksinitiative für eine realistische Flughafenpolitik)