Bund hält an Flughafen-Prognosen fest (NZZ)

Publiziert von VFSNinfo am
Im Jahr 2012 gab es in Zürich deutlich weniger Flüge als in der offiziellen Langfrist-Planung vorhergesagt. Auf breiter Front wird deshalb eine Anpassung der Prognose gefordert. Der Bund wehrt ab – er glaubt an eine stark steigende Nachfrage.

Andreas Schürer

Letztes Jahr hätte die Zahl der Flugbewegungen statistisch abheben sollen – ab der Marke 300\'000 weiter aufwärts. Tatsächlich ist sie sogar rückläufig. Die Verkehrszahlen für das Gesamtjahr hat der Flughafen zwar noch nicht publiziert, mit Blick auf die Monatsbilanz von Januar bis November 2012 dürften sie aber im Bereich von 270\'000 bis 275\'000 zu liegen kommen; bis Ende November waren es 250\'000 Bewegungen – 3,1 Prozent weniger als in der gleichen Periode 2011. Damit verdeutlicht sich: Die im Jahr 2005 erstellte und 2009 aktualisierte Prognose der Intraplan Consult AG, auf die der Bund seine Planung stützt, überschätzte das Wachstum der Zahl der Flugbewegungen massiv, zumindest aus kurzfristiger Sicht. Langfristig soll laut der Studie die Nachfrage nach Flügen von und nach Zürich stark zunehmen: auf 316\'000 Bewegungen im Jahr 2015, 346\'000 im Jahr 2020 und 405\'000 im Jahr 2030. Nicht berücksichtigt ist in dieser Aussage über die Nachfrage, dass die Gesamtkapazität des Flughafens Zürich ohne Parallelpiste heute auf 350\'000 beziffert wird.

Präziser ist die Prognose des Münchner Beratungsbüros Intraplan bezüglich des Passagiervolumens. Die Studie sagte 2009 folgende Entwicklung voraus: 2012 benützen rund 25 Millionen Passagiere den Flughafen Zürich, 2020 30,8 und 2030 39,2 Millionen. Der Wert für das Jahr 2012 trifft voraussichtlich ziemlich genau ins Schwarze: Per Ende November betrug die Gesamt-Passagierzahl 23 Millionen, 2,1 Prozent mehr als in der Vergleichsperiode 2011.

Weitreichende Folgen

Der Hauptgrund für die unterschiedlich gute Trefferquote von Intraplan ist banal: Die Fluggesellschaften setzen wegen starken Kostendrucks grössere Flugzeuge ein und lasten diese besser aus. Die Münchner Verkehrsexperten sahen diesen Trend zwar voraus, unterschätzten ihn aber. Die Zahl der Passagiere pro Flug veranschlagten sie erst für das Jahr 2020 auf 103; tatsächlich betrug dieser Wert bereits 2011 102.

Die Studie von Intraplan ist nicht bloss trockene Statistik in der Schublade – sie hat weitreichende Konsequenzen. Auf diesem angenommenen Wachstum basiert die Flughafen-Planung des Bundes: im Sachplanverfahren (SIL), aber auch im Fluglärmstreit mit Deutschland. Auf die Prognose gestützt, machte das Bundesamt für Zivilluftfahrt (Bazl) denn auch die fatale Aussage, die in Berlin das Ratifikationsverfahren des Staatsvertrags eskalieren liess: die Aussage, dass bis zu 110\'000 Anflüge über Süddeutschland möglich seien. Laut der offiziellen Planung dürfte dies bei einer Gesamtkapazität von 350\'000 Flugbewegungen der Fall sein – bereits etwa im Jahr 2022. Sollte diese Kapazität nicht oder erst gegen das vorgesehene Vertragsende im Jahr 2030 erreicht werden, müsste post mortem des Abkommens festgestellt werden, dass der Zahlenstreit einem Schattenboxen gleichgekommen war.

Thomas Hardegger, SP-Nationalrat, Gemeindepräsident von Rümlang und Vorstandsmitglied des Schutzverbandes der Bevölkerung rund um den Flughafen, fordert vor diesem Hintergrund eine rasche und grundsätzliche Anpassung der Intraplan-Prognose. «Sie blendet regelmässige Einbrüche wie durch die Finanzkrise völlig aus und geht einseitig davon aus, dass der Trend immer aufwärts zeigt», sagt Hardegger. Tatsächlich sei die Zahl der Flugbewegungen seit dem Swissair-Grounding, als sie auf 282\'000 (2002) absackte, konstant. Dies sei nicht nur auf grössere Flugzeuge und bessere Auslastung zurückzuführen – sondern zeige vor allem, dass die Anbindung Zürichs an die Welt heute gut gewährleistet sei. Eine zusätzliche Nachfrage nach Flugbewegungen sei nicht absehbar, zumal sich die Weltluftfahrt in einer schweren Krise befinde und sich die Hubs tendenziell in den Nahen Osten verlagerten.

Dringenden Anpassungsbedarf ortet Hardegger auch deshalb, weil die Wachstums-Prognose die Koexistenz des Flughafens mit den Gemeinden und der Bevölkerung gefährde. Der Flughafen könne so Ausbauprojekte durchdrücken – «gestützt auf Prognosen, die sicher nie Realität werden». Im Übrigen verfüge der Flughafen noch über beachtliche Kapazitätsreserven für ein massvolles Wachstum. Eine Anpassung als nötig erachtet auch Ulrich Wydler, treibende Kraft der Vereinigung Solidair der Bezirke Bülach und Dielsdorf: «Langsam müssten auch die Flughafen-Verantwortlichen einsehen, dass es eine realistische Planungsgrundlage braucht – statt dass sie in Deutschland Alarm schlagen und in der Schweiz die Glaubwürdigkeit aufs Spiel setzen.»

Autor verteidigt seine Studie

Vom Bazl kommt allerdings eine Absage. Sein Sprecher Urs Holderegger sagt, die Intraplan-Studie werde als Planungsgrundlage nicht infrage gestellt. Die langfristigen Prognosewerte erachte das Bazl nach wie vor als plausibel – trotz den kurzfristigen Differenzen zwischen Planung und Realität.

Der Flughafen selber stützt sich auch weiterhin auf die umstrittene Prognose. Sprecherin Jasmin Bodmer hält fest, dass für die Planung der Infrastrukturen die gut vorhergesagten Passagierzahlen entscheidend seien. Dass sich wegen der grösseren Flugzeuge und der besseren Auslastung die Zahl der Flüge bisher anders entwickelt habe als erwartet, sei grundsätzlich positiv – heute stiessen sie nämlich in den Spitzenzeiten bereits an Kapazitätsgrenzen, zudem falle so die Lärmbelastung geringer aus.

Keine Trendwende sieht der Autor der Studie, Markus Schubert, Co-Geschäftsführer von Intraplan und Luftverkehrsexperte. Die Stagnation der Flugbewegungen sei ein kurzfristiger Effekt; auf längere Sicht könne das Passagierwachstum nicht mit grösseren Flugzeugen und besserer Auslastung bewältigt werden. Aktualisierungen der Prognose seien für kurzfristige Betrachtungen sinnvoll, für die Langfrist-Planung gebe es aber keinen Anpassungsbedarf: «Die Megatrends sind unverändert, die Zeitachse ist eher die Variable als die prognostizierte Zahl.» Mit anderen Worten: Für Schubert steht ausser Frage, dass die Nachfrage am Flughafen Zürich in Richtung 350\'000 bis 400\'000 Bewegungen jährlich steigen wird – denkbar sei einzig, dass dieser Wert wenige Jahre später erreicht wird als vorhergesagt. «Der Luftverkehr wird stark wachsen – der Flughafen Zürich als attraktiver Standort wird da mit dabei sein», sagt Schubert. Als Unsinn bezeichnet er den Vorwurf, die Prognose solle dem Flughafen zur Durchsetzung von Ausbauvorhaben verhelfen: «Wir arbeiten für viele Flughäfen und Bahnen – würden wir mit Gefälligkeitsgutachten operieren, wären wir schnell weg vom Fenster.»


Münchner Planung für Zürich

asü. Die Grundlagen für die langfristige Entwicklungsplanung des Flughafens Zürich hat die Münchner Intraplan Consult GmbH erarbeitet. Im Auftrag des Bundesamtes für Zivilluftfahrt erstellte das Beratungsbüro Berechnungen der Nachfrage bis ins Jahr 2030. Die ursprüngliche Basisprognose stammt aus dem Jahr 2005. 2009 wurde sie aktualisiert, da sich einige Rahmenbedingungen geändert hatten, etwa die Wirtschaftssituation, die Treibstoffpreise und die Eigentumsverhältnisse des Hub-Carrier Swiss.

Intraplan gehört in Deutschland im Verkehrssektor zu den führenden Beratungsbüros. Es beschäftigt rund 30 Mitarbeitende und weist einen Jahresumsatz von etwa 5 Millionen Euro aus. Zu den Kunden zählen vor allem Bundes- und Landesministerien, Verbände, Verkehrsbetriebe und Privatinvestoren.

NZZ, 11.01.2013


Kommentar VFSN: 2012 werden weniger Bewegungen als 1997 stattgefunden haben. 15 Jahre - null Wachstum. Und in den nächsten 15 Jahren sollen die Bewegungen plötzlich um 50% (!) zunehmen?