Leise, aber gezielt protestieren (AvU)

Publiziert von VFSNinfo am
Seit über zehn Jahren wird der Flughafen Kloten nach einem von Deutschland verordneten Anflugregime angeflogen. Dagegen wehrten und wehren sich Protestbewegungen. Was zu Beginn laut und schreierisch war, ist heute in der Öffentlichkeit kaum mehr wahrzunehmen. Wie weiter mit dem Fluglärmprotest?

CHRISTIAN BRÜTSCH

«Nein, von einer Erlahmung des Protests kann keine Rede sein», sagt Thomas Morf, Präsident des Vereins Flugschneise Süd   Nein (VFSN), dezidiert. Es gebe halt Zeiten, in denen man mit dem Zweihänder, und Zeiten, in denen man mit dem Stilett kämpfen müsse, erklärt er weiter. «Zurzeit ist eher das Stilett gefragt.»

Nicht ganz ins gleiche Horn stossen will Fritz Kauf vom Bürgerprotest Fluglärm Ost (BFO). «Es ist schwierig, heute Leute für die

Arbeit in einer erklärten Protestaktion zu gewinnen», gibt er zu. Ihm macht vor allem der Dschungel der einzelnen Bestimmungen zu schaffen. «Häufig muss man mühselig herausfinden, an wen ein Protest überhaupt zu richten ist», sagt er. Das brauche viel Energie und Arbeit.

Als eigentliche Protestorganisation will sich Kauf auch nicht mehr positionieren. «Es braucht heute vielmehr Lobby Arbeit.» Es gelte, sich auf der politischen Ebene Gehör zu verschaffen. «Und zwar auf beiden Ebenen  also beim Kanton und in Bundesbern.» Damit die Politiker die Argumente der lärmgeplagten Bevölkerung auch wirklich weitergeben könnten, sei es nötig, Argumentarien und Faktenblätter zusammenzustellen. Zum Beispiel werde immer wieder die Abhängigkeit der Wirtschaft vom Flughafen Zürich ins Feld geführt. Kauf: «Eine Aussage, die nachweislich falsch ist.»

Fakten gegen Fakten
Dies sieht «Südschneiser» Morf ebenso. So lange die Berater von Bundesrätin Doris Leuthard ihr falsche Angaben unterbreiteten, so lange käme es zu solchen Fehlentscheidungen wie dem jüngst ausgehandelten Staatsvertrag. Morf bedauert auch, dass den Protestbewegungen in der Öffentlichkeit wenig Platz eingeräumt wird. «Spricht ein Mächtiger vom Flughafen oder von Bern, wird diese Meinung sofort verbreitet   egal, ob sie faktisch belegbar ist oder nicht. Liefern wir Fakten, die mit alten Gerüchten um den Flughafen aufräumen, werden wir totgeschwiegen», moniert er.

Morf verweist auf vier vom VFSN kürzlich verfasste Faktenblätter. Der Staatsvertrag wird darin als «Knebel  vertrag mit gravierenden negativen Auswirkungen für die Schweizer Bevölkerung» bezeichnet. Verschiedene technische Massnahmen sollen endlich umgesetzt werden. Natürlich ist der vom VFSN seit Anbeginn propagierte gekröpfte Nordanflug darunter. Ein Verfahren, das aus heutiger Sicht technisch machbar ist, aber mit Sicherheit den Unmut der Aargauer Bevölkerung entlang dem Rhein auf sich ziehen wird.

 «Es ist nach wie vor unser Ziel, dass möglichst wenig Leute mit Fluglärm belästigt werden», sagt Morf und spielt damit natürlich einen gewichtigen Trumpf des dicht besiedelten Südens des Flughafens aus. In die gleiche Kerbe schlägt er mit einem weiteren Faktenblatt, in dem die Anzahl der zu erwartenden Flugbewegungen gemäss Sachplan Infrastruktur Luftfahrt (SIL) richtiggestellt wird. «In dem von der Firma Infras erstellten Bericht zuhanden des Bundesamts für Zivilluftfahrt vom 25.11.2009 werden für das Jahr 2020 rund 350000 Flugbewegungen prognostiziert. Dies würde einer Zunahme von 25 Prozent innerhalb der nächsten acht Jahre entsprechen», schreiben die «Südschneiser». Fakt sei, dass sich die Flugbewegungen auf dem Niveau von 1997 eingependelt hätten. Weiter könne festgestellt werden, dass gegenüber dem Jahr 2000 mit 17 Prozent weniger Flugbewegungen 9 Prozent mehr Passagiere befördert worden seien.

Ähnlich argumentiert der Verein bei den Aussagen zur Wirtschaftlichkeit des Flughafens. Obwohl die Flugbewegungen seit 2000 rückläufig seien, sei das Bruttoinlandprodukt um 32 Prozent gestiegen. In der Grossregion Zürich sei im gleichen Zeitraum die Zahl der Erwerbstätigen um 125000 Personen gestiegen. Als weiteres Beispiel führt er an, dass nach der Verlegung der Interkontinentalflüge von Genf nach Zürich im Jahr 1995 die Arbeitslosenquote in Genf rückläufig und in Zürich zunehmend gewesen sei. «Also genau das Gegenteil von dem, was von den Wirtschaftsexponenten postuliert wird», so Morf.

Erreichtes schwer bezifferbar
Wenn schon solche Fakten auf dem Tisch liegen, die sowohl vom BFO als auch vom VFSN gestützt werden, bleibt die Frage, weshalb es nicht schon längst zur Fusion der Protestorganisationen gekommen ist. Kauf windet sich ein wenig: «Wir haben es mehrfach versucht, aber die Zusammenarbeit hat sich als zu schwierig herausgestellt.» Er setzt jetzt vielmehr, wie eingangs erwähnt, auf die Karte Politik.

Dass sie in den vergangenen Jahren keine Erfolge zu verzeichnen gehabt hätten, weist er von sich. Es sei zwar schwierig, konkret Erreichtes zu benennen, aber er münzt auf den Widerstand des BFO die Verlängerung der Nachtruhe um eine Stunde. Zudem sei ein Durchbruch bei den Lärmgebühren angekündigt und die Verselbständigung des Lärmfonds umgesetzt, was ohne den Protest nicht angegangen worden wäre, mutmasst er. Eine Projektierungszone mit einem sehr breit gefassten Bauverbot wurde dank Einsprache des BFO vom Gericht abgelehnt. Dieses Verbot hätte dem Flughafen grösseren baulichen Wachstumsspielraum gegeben. Auch mit dem von der Zürcher Regierung lancierten Gegenvorschlag zur Beschränkungsinitiative der Bürgerorganisationen - dem ZFI - tut sich der Flughafen schwer.

Weiter kämpfen die «Ostler» gegen die Lärmschutzverordnung. «Wegen des unsinnigen 16 Stunden Mittels habe ich offiziell keinen Lärm», beklagt sich der in Bassersdorf wohnhafte Kauf. Es sei schon manchmal ernüchternd, meint er. Aber deshalb wolle man vermehrt und enger mit der Politik zusammenarbeiten.

Kampf politisch weiterführen
Ein solcher politischer Zusammenschluss ist im Süden des Flughafens aktiv. Das Fluglärmforum Süd vertritt 32 Gemeinden vornehmlich in den Bezirken Uster, Meilen und Horgen. Noch vor zehn Jahren, als das Dossier beim Kanton Zürich lag, war dieser politische Zusammenschluss ebenfalls omnipräsent. So anerkennt er, «dass der Bevölkerungsprotest in der Öffentlichkeit heute weniger akut ist und dass die fluglärmbewegten Bevölkerungsbewegungen in allen Regionen rund um den Flughafen etwas ruhiger geworden sind».

Der Widerstand gegen die Südanflüge sei aber keinesfalls zusammengebrochen. Das Fluglärmforum unter der Leitung von Richard Hirt, dem Gemeindepräsidenten von Fällanden, spricht weiterhin davon, dass die Bevölkerung erwarte, dass sich die Gemeinden zur Wehr setzten.

Dass sich nun Pfäffikon entschlossen habe, dem Forum den Rücken zu kehren, sei nachvollziehbar. «Pfäffikon und Russikon, das auch einmal Mitglied war, waren schon immer im Sandwich zwischen Ost und Süd», erklärt Hirt.

Dass im Lauf der Zeit keine konkreten Veränderungen erzielt worden seien, weist das Forum vehement zurück: «Es konnte wesentlich Schlimmeres verhindert werden.» Hirt spricht die Verteilung der Flugbewegungen in alle Himmelsrichtungen an oder nimmt an, dass der gekröpfte Nordanflug längst aus den Traktanden verschwunden wäre. Ebenso nimmt er an, dass ohne den Widerstand des Südens längst auch tagsüber von Süden angeflogen würde.

Auch dass es die Protestbewegungen in Zukunft nicht mehr brauche, wird in Abrede gestellt. Es gelte aber, den Protest immer wieder den aktuellen Begebenheiten anzupassen. «Einfacher, wütender Protest passt nicht in die politische Kultur dieses Lands und dieses Kantons», so Hirt. Die Verlagerung des Dossiers aus dem Kanton Richtung Bund wird nicht begrüsst. «Die Arbeit mit dem Kanton und weiteren politischen Entscheidungsträgern geht aber weiter», erklärt Hirt und verweist auf die nächste Konsultative Konferenz vom 18. September.

Die Protestorganisationen haben ihr Geschäft von laut auf leise umgestellt. Sichtbar und aktiv bleiben sie aber nach wie vor. Thomas Morf: «Oder wie erklären Sie sich, dass seit zehn Jahren jeden Monat einmal eine Mahnwache am Flughafen Kloten stattfindet?»

Anzeiger von Uster, 11.09.2012, Seite 2