Bürgerliche Minderheit formiert sich gegen den Pistenausbau (NZZ)

Publiziert von VFSNinfo am
Der Fluglärm-Verteilkampf hebt Parteigrenzen auf: Unter dem Dach der Vereinigung Solidair bekämpfen Bürgerliche den Pistenausbau. Und sie fordern eine Verteilung der Belastung.

Andreas Schürer

Ulrich Wydler hat genug. Diese Woche hat der Präsident der FDP des Bezirks Bülach in seiner Wohngemeinde Nürensdorf die Schriften abgeholt – er zieht weg, nach über 30 Jahren. Dieser Schritt tue weh, erzählt er, aber die zusätzliche Lärmbelastung, die Gemeinden wie Kloten, Bassersdorf, Nürensdorf oder Lindau drohe, sei für ihn zu viel. Der «Ostschneise» bleibt das langjährige Geschäftsleitungsmitglied der Sicherheitstechnik-Firma Kaba aber treu: Sein neues Eigenheim entsteht in Winterthur – und er wirkt weiterhin als treibende Kraft in der Vereinigung Solidair, der neben der FDP auch die SVP, die CVP und das Gewerbe der Bezirke Bülach und Dielsdorf angehören.

Prominente Mitstreiterin Wydlers ist die FDP-Kantonsrätin Gabriela Winkler aus Oberglatt, die seit Jahren gegen den Pistenausbau am Flughafen kämpft und deshalb auch schon als freisinnige «Abweichlerin» tituliert wurde. Sie selber meint: «Ich wüsste nicht, wovon ich abweiche – ich kämpfe nicht gegen den Flughafen, aber gegen den eindimensionalen Ruf nach linearem Wachstum und gegen Lärm-Kanalisierung, die zu übermässigen Belastungen führt.» Parteiintern fehlt es den Solidair-Freisinnigen allerdings an Überzeugungskraft: Vor der letztjährigen Abstimmung über die Behördeninitiative, die ein grundsätzliches Pistenausbauverbot verlangte, waren sie klar in der Minderheit.

«Falsche Prognosen»

Jetzt ziehen Wydler und Winkler mit Solidair nach verlorener Schlacht wieder ins Feld. Der Staatsvertrag müsse zwar wohl oder übel hingenommen werden, weil andernfalls schlimmere Restriktionen Deutschlands drohten, meinen sie. Die Umsetzung dürfe aber nicht einseitig zulasten einzelner Regionen gehen – es brauche eine «tragfähige Verteilung, die auf Fakten statt auf Emotionen basiert». Laut Winklers Interpretation will der Flughafen den Staatsvertrag nutzen, um den bei Abstimmungen gewichtigen Süden zu entlasten und mit Verlängerungen der Pisten 28 und 32 die Kapazität zu erhöhen. Dies sei aus betriebswirtschaftlicher Sicht verständlich, aber volkswirtschaftlich nicht wünschbar. Zudem schade der Flughafen so seiner Glaubwürdigkeit. Und: «Eine vollständige Entlastung des Südens würde gewaltige Unruhen auslösen», meint die FDP-Kantonsrätin.

Bevor das regionale Hickhack eskaliere, müsse ein Schritt zurück gemacht werden, fordern Wydler und Winkler. Die Diskussion über das künftige Betriebssystem werde leider immer noch von völlig falschen Annahmen der Intraplan-Studie geprägt, die für das Jahr 2020 eine Nachfrage von mehr als 400\'000 Flugbewegungen voraussagt. Heute sind es rund 280\'000 Bewegungen – laut der Studie müssten es schon 330\'000 sein. Zudem gelte es, die Entwicklung des Flughafens im Kontext des europäischen Gesamtverkehrskonzeptes zu betrachten. Anzustreben sei, dass Distanzen bis zu 600 Kilometern mit Hochgeschwindigkeitszügen abgedeckt würden. Fraglich sei auch, ob die Zunahme der Destinationen von 142 im Jahr 2002 auf 196 im Jahr 2011 für die Wirtschaft wirklich nötig sei – und nicht eher nur für die Hubstrategie der Swiss. Auch hier werde nicht ehrlich kommuniziert, sondern immer das gleiche Schlagwort repetiert. Wydler kritisiert: «Die internationale Anbindung ist eine wichtige Voraussetzung für den Wirtschaftsstandort – aber der Motor der Wirtschaft ist der Flughafen nicht.»

Rüffel vom Präsidenten

Für Christian Bretscher, ehemaliger FDP-Kantonsrat und Geschäftsführer des Komitees Pro Flughafen, präsentieren Winkler und Wydler alten Wein in neuen Schläuchen – es gehe ihnen schlicht darum, die Pistenverlängerungen zu verhindern. Diese seien aber nötig, um ein flexibleres und stabileres Betriebssystem umsetzen zu können. Eine gewisse Verteilung sei unumgänglich, letztlich gehe es aber darum, dass möglichst wenig Menschen belastet würden. Die Blockaden-Politik von Solidair sei sicher nicht im Interesse Zürichs – so werde einzig Bern ermuntert, das Zepter im Flughafen-Dossier gänzlich zu übernehmen. Beat Walti, Präsident der FDP des Kantons Zürich, weist darauf hin, dass es aufgrund der regionalen Betroffenheit in allen Parteien abweichende Meinungen gebe. Dass die Solidair-Freisinnigen nun aber wieder aktiv würden, erstaune ihn: «Inzwischen sollte allen klar sein, dass niemand ein ungebremstes Wachstum des Flughafens will. Langsam, aber sicher könnten sie die Gräben verlassen.»

NZZ, 05.09.2012