«Beschränkungen wären nicht gratis» (NZZ)

Publiziert von VFSNinfo am
Ein Pistenausbau sei in der Umsetzung des Staatsvertrags zwingend, sagt Martin Naville, Präsident des Komitees Weltoffenes Zürich. Und er wehrt sich gegen den Vorwurf, die Wirtschaft operiere mit Schreckensszenarien.

Interview: Andreas Schürer

Herr Naville, über die Umsetzung des Staatsvertrags wird hitzig diskutiert. Viele fordern, dass nicht die Bevölkerung den Preis zahlen soll. Der Flughafen Zürich müsse einen Schritt zurück machen und in Kauf nehmen, dass die Kapazität stagniert. Stösst der Betrieb an Grenzen?
Der Flughafen braucht eine hohe Stundenkapazität am Morgen, am Mittag, gegen Abend und in der ersten Nachtstunde. Es geht also nicht um einen pausenlosen Betrieb. Der Airport ist zudem kein Selbstzweck, sondern bringt der Schweiz grossen Wert. Allein die direkte Wertschöpfung des Flughafens Zürich beläuft sich auf jährlich 4,35 Milliarden Franken, 20\'000 Menschen arbeiten dort. Insgesamt beträgt die Wertschöpfung der Luftfahrt in der Schweiz laut der Infras-Studie aus dem Jahr 2011 rund 20,6 Milliarden Franken. Den Betrieb zu beschränken, wäre nicht gratis.

Die Warnung vor Wohlstandsverlust ist ein «Totschlag»-Argument. Auch Bürgerliche kritisieren, dass die Flughafenlobby mit übertriebenen Schreckensszenarien operiere, so zum Beispiel die von der FDP geprägte Vereinigung Solidair unlängst in der NZZ (5. 9. 12).
Das Komitee Weltoffenes Zürich arbeitet nicht mit Schreckensszenarien. Wir weisen einfach darauf hin, dass eine Einschränkung der internationalen Erreichbarkeit Wohlstandsverluste bringen wird. Vergessen Sie nicht: Jeder zweite Franken wird im Ausland verdient. Unseren weit überdurchschnittlichen Wohlstand verdanken wir hauptsächlich den vielen international tätigen Firmen, schweizerischen und ausländischen. Jeder dritte Arbeitsplatz ist von solchen Firmen abhängig. Für sie ist ein leistungsfähiger Flughafen sehr wichtig. Sie vertrauen darauf, dass er ihre Nachfrage befriedigen kann. Schwindet dieses Vertrauen, werden sie ihre Aktivitäten in der Schweiz reduzieren. Zu stark ist ihre Abhängigkeit von der internationalen Erreichbarkeit.

International verbunden sind Sie auch, ohne dass die Zahl der Destinationen ständig zunimmt – man kann auch über Frankfurt oder München fliegen.
Im Tourismus-Verkehr ist die Toleranz gegenüber dem Umsteigen relativ gross, da ist der Preis massgebend. Bei Geschäftsreisen dagegen sind Zeit und Verlässlichkeit entscheidend. Umsteigen braucht Zeit – und erhöht die Gefahr exponentiell, dass etwas schiefgeht. Schon oft habe ich wegen eines verpassten Anschlusses irgendwo am Flughafen übernachtet. Für das Standortmarketing sind deshalb gute Direktverbindungen unglaublich wichtig.

Die «Solidair-Bürgerlichen» fordern ein Gesamtverkehrskonzept. Ein Anschluss an das Hochgeschwindigkeitsnetz der Bahn könne den Fluglärm reduzieren.
Ein leistungsfähiger Anschluss des Grossraums Zürich an das europäische Hochgeschwindigkeitsnetz der Bahn ist auch eine zentrale Forderung von uns. Leider ist es aus topografischen und finanziellen Gründen nicht möglich, diesen Anschluss bereits mittelfristig zu realisieren.

Trotzdem: Möglicherweise reicht die bestehende Kapazität des Flughafens Zürich noch lange – die Prognosen über die Zunahme der Flugbewegungen sind bisher jedenfalls nicht eingetroffen.
Sie sprechen die Intraplan-Studie aus dem Jahr 2004 an. Diese Prognose war klar zu hoch. Dass aber die Nachfrage nach Luftverkehr zunehmen wird, darüber wird kaum jemand streiten wollen. Mittel- bis langfristig geraten wir so in einen Engpass. Wegen der langen Planungszyklen müssen wir mit den Pistenverlängerungen jetzt den nächsten Optimierungsschritt machen.

Der Pistenausbau ist umstritten – im Zürcher Kantonsrat könnte er scheitern.
Es ist klar, dass man nicht damit zufrieden sein kann, wenn man mehr Lärm tragen muss. Als Gegenwert erhalten wir mit dem Staatsvertrag jedoch Rechtssicherheit für eine Schlüsselinfrastruktur, die sehr viel zum Wohlstand der Menschen in und um Zürich herum beiträgt. Das weiss der Regierungsrat. Und er dürfte es im Antrag an den Kantonsrat auch klar formulieren. Wir hoffen, dass der Kantonsrat dann dem Volk die Möglichkeit gibt, sich zu den Pistenverlängerungen zu äussern. Das tut er, wenn er dazu Ja sagt. Der darauffolgenden demokratischen Auseinandersetzung werden wir uns mit Zuversicht stellen. Bis jetzt hat die Bevölkerung immer mit grosser Mehrheit zugunsten des Flughafens gestimmt.

Was, wenn die Zürcher den Ausbau der Pisten ablehnen sollten – muss dann der Bund das Zepter im Flughafendossier ganz übernehmen?
Nein, die Lastenverteilung ist ein Problem – dieses wird sicher nicht gelöst, indem jemand anders die Führungsrolle übernimmt. Man sollte die Flughafenfragen in dem Kreis lösen, den es betrifft. Das sind die Zürcher Regierung, der Kantonsrat und das Zürchervolk.

Sie fänden es also auch problematisch, wenn im revidierten Luftfahrtgesetz eine Kompetenzverschiebung von Zürich nach Bern festgeschrieben würde?
Ja, Bern hat heute schon ausreichend Kompetenzen. Wenn der Bund alles an sich reisst, werden die Entscheide kaum besser ausfallen. Ich spreche da ebenso divergierende föderalistische Interessen und nicht zuletzt auch den leider noch verbreiteten Anti-Zürich-Reflex an.

Apropos Engpass: Wenn die Diskussion bei rund 280\'000 jährlichen Flugbewegungen so emotional ist wie heute, wie soll sich der Flughafen in 10, 20 Jahren weiterentwickeln können?
Die ins Auge gefassten Pistenverlängerungen machen den Betrieb robuster. Zudem haben die Airlines die Effizienz gesteigert. Alleine im Juli 2012 wurden gegenüber Juli 2011 drei Prozent mehr Passagiere bei drei Prozent weniger Flugbewegungen transportiert. Das ist eine reife Leistung, die auch honoriert werden sollte. Daneben gibt es ja nicht nur die problembelastete Wahrnehmung des Flughafens – er bereitet auch Freude. An Ferientagen nutzen ihn zum Teil mehr als 80\'000 Leute.

Wie erklären Sie sich dann, dass Fluglärm viel stärker als andere Lärmquellen die Wogen hochgehen lässt?
Niemand mag Lärm, das verstehe ich. Zudem hat die Einführung des Südanflugs die Diskussion emotionalisiert. Wir müssen aber die Relationen im Auge behalten: Es werden viel mehr Leute von Auto- und Zugsverkehr belastet. Und es ist nicht so, dass der Fluglärm einfach nur zunimmt. Im Gegenteil: Dank leiseren Flugzeugen hat die Fläche der mit 60 Dezibel und mehr beschallten Gebiete in den letzten 20 Jahren um zwei Drittel abgenommen, und dies, obwohl 50 Prozent mehr Flugbewegungen zu verzeichnen waren. Schallschutzmassnahmen tun ein Übriges. Der Flughafen investiert hier über 200 Millionen Franken.

Der deutsche Verkehrsminister Peter Ramsauer sagte letzte Woche bei der Unterzeichnung des Staatsvertrags, dass es etwas Besseres für die Schweiz nicht geben werde. Ist das auch Ihre Einschätzung?
Ich denke schon. Ich habe zwar keine grosse Freude an diesem Vertrag. Dass ihn auch viele Süddeutsche nicht goutieren, zeigt aber doch, dass kein schlechter Kompromiss ausgehandelt wurde. Positiv für die Schweiz ist, dass das Abkommen Rechtssicherheit schafft, keine zahlenmässige Beschränkung vorsieht und dass der alte Konflikt beiseitegelegt werden kann. Deutschland und die Schweiz sind gute Wirtschaftspartner – das Damoklesschwert des Fluglärmstreits muss endlich weggeräumt werden.

Trotzdem, die SVP zum Beispiel bekämpft den Staatsvertrag lauthals – mit dem oft zu hörenden Argument, es sollten lieber verordnete Verschärfungen in Kauf genommen als freiwillig ein einseitiger Vertrag durchgewinkt werden.
Es ist kein einseitiger, sondern ein verhandelter Vertrag. Ohne Rechtssicherheit sind wir der Willkür der innenpolitischen deutschen Rangelei ausgeliefert. Wie man das für besser halten kann, ist mir schleierhaft.

Der Staatsvertrag soll nun die von Ihnen angesprochene Rechtssicherheit bringen – dafür geht in der Schweiz der Verteilkampf los.
Bei Schiene und Strasse ist es klar: Dort, wo die Infrastruktur ist, fällt der Lärm an; es gibt keine bösen Überraschungen. Luftverkehr hat dagegen keine Schienen oder sichtbaren Strassen. Alle meinen, man könne auch bei den anderen durchfliegen – nur ja nicht über den eigenen Garten. Die Umweltschutzgesetzgebung verlangt auch in der Fliegerei eine Kanalisierung der Lärmemissionen dort, wo möglichst wenige betroffen sind. Aber Politik funktioniert nicht immer nur rational, sondern auch emotional, besonders bei diesem Thema.

Zur Person

Martin Naville ist Präsident des Komitees Weltoffenes Zürich, Direktor der Amerikanisch-Schweizerischen Handelskammer und Verwaltungsratspräsident des Zürcher Zoos. Das 1968 gegründete Komitee Weltoffenes Zürich kämpft für einen guten verkehrstechnischen Anschluss der Schweiz an die Welt. Kernforderungen sind, dass sich der Flughafen Zürich nachfragegerecht entwickeln kann, die Bahn mit dem europäischen Hochleistungs-Eisenbahnsystem verknüpft wird und im Grossraum Zürich auf Strasse und Schiene Engpässe behoben werden.

NZZ, 09.09.2012