Die Lärmverteilung wird unumgänglich sein (NZZ)

Publiziert von VFSNinfo am
Regierungsrat Ernst Stocker ist nicht glücklich über das Fluglärm-Abkommen mit Deutschland. Eine weitere Verteilung des Lärms auch im Kanton Zürich sei so kaum zu vermeiden.

Stocker warnt aber auch davor, den Flughafen zu blockieren...

Interview NZZ: Andreas Schürer

Herr Stocker, Ihre Partei, die Zürcher SVP, beurteilt den Staatsvertrag als Kniefall vor Deutschland. Ist das auch Ihre Wertung?
So würde ich das nicht sagen. Die Zürcher Regierung ist aber auch nicht glücklich über den Staatsvertrag. Wir hofften, dass am Abend ein bis zwei Stunden länger und am Morgen schon ab sechs Uhr über Süddeutschland angeflogen werden kann, vor allem am Wochenende. Diese Hoffnung hat sich zerschlagen. Auf der anderen Seite gibt es keine zahlenmässige Beschränkung der Anflüge, und der satellitengestützte gekröpfte Nordanflug ist erlaubt. Positiv ist auch, dass wir mit der Umsetzung Zeit haben bis ins Jahr 2020. Alles in allem gibt es aber mehr Fluglärm für die Zürcher Bevölkerung. Das können wir nicht auf die leichte Schulter nehmen.

Soll deshalb Bern den Staatsvertrag ablehnen – oder wäre das Risiko weiter gehender einseitiger Verschärfungen Deutschlands zu gross?
Das ist schwer zu sagen. Einerseits wird Deutschland kaum allzu rigoros auftreten, weil ein solches Vorgehen auf eigene Flughafen-Ausbauprojekte zurückfallen könnte. Andererseits ist Deutschland im Wahlkampf – und ein gewisses Schweiz-Bashing ist in Mode.

Was raten Sie dem National- und Ständerat?
Da ist meine Meinung jetzt nicht gefragt: Die Zürcher Regierung wird zuerst eine Position festlegen müssen.

Die Schweiz muss pro Woche 16,5 Stunden Flugzeit von Deutschland zusätzlich übernehmen, vor allem in den empfindlichen Abendstunden. Ist das zumutbar?
Das wird sich weisen, wenn der Zürcher Kantonsrat über die Verlängerungen der Ost-West- und der Nord-Süd-Piste abstimmt. Der Staatsvertrag beruht auf diesem Ausbau.

Zuerst entscheidet die Regierung über die Pistenverlängerungen. Stimmen Sie zu?
Das können wir heute noch nicht sagen. Wir wollen zuerst die Diskussion über die schweizinterne Fluglärmverteilung abwarten, die Haltung des Bundes und der Regionen genauer hören.

Definitiv versenken könnte den Ausbau auch der Kantonsrat. Dort wird es eng. Werden Sie dem Zürcher Parlament ins Gewissen reden, damit es die Entwicklung des Flughafens nicht abwürgt?
Wir werden sicher alle Aspekte ins Feld führen. Wenn man sich aber an das Ja des Kantonsrats zum Pistenmoratorium erinnert und die jetzigen Stellungnahmen der Parteien liest, ist die Chance klein, dass der Ausbau im Zürcher Parlament durchkommt. Der Kantonsrat könnte aber auch sagen: Die Zürcher Bevölkerung soll entscheiden. Wenn er den Ausbau abschiesst, gibt es keine Volksabstimmung mehr.

Die Zürcher SP fordert eine Umbesinnung: Der Flughafen soll auf Kapazitätsausbau verzichten und «schädliche Wachstumsträume aufgeben». Was hätte das für Folgen?
Das ist schwierig zu sagen und hängt von der allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung ab. Der Flughafen wird aber tendenziell eher wichtiger als unwichtiger. Er ist unser Tor zur Welt. Wir müssen uns schon sehr gut überlegen, was wir machen. Es geht bei der Entwicklung des Flughafens nicht um abstrakte Wirtschaft, sondern konkret um Arbeitsplätze. Es ist bemerkenswert: In Zürich ist Wachstum ein Schimpfwort, in Europa ist es ein Zauberwort.

Lehnt der Kantonsrat den Ausbau und somit die Ostausrichtung ab, hat der Flughafen ein ernsthaftes Problem.
Ab 2020 ja, das stimmt. Wenn nicht die Ost-Ausrichtung forciert werden kann und gleichzeitig von Osten und Süden eingefädelt werden muss, bringt das einen Kapazitätsverlust von etwa 20 Prozent.

Sie forderten immer, dass die von Pascal Couchepin und Angela Merkel in Auftrag gegebene Lärmanalyse berücksichtigt werde. Dass die Schweizer heute schon massiv stärker belastet sind als die Deutschen, kommt im Vertrag nun aber nicht zum Ausdruck.
Wir haben immer auf diese Studie hingewiesen, aber sie konnte nicht ausgespielt gemacht werden. Das ist äusserst bedauerlich, aber darauf hatten wir keinen Einfluss.

Als Verlierer sieht sich vor allem der Osten Zürichs.
Das ist für mich nachvollziehbar. Wenn erst um 20 Uhr auf Ostanflüge umgestellt werden müsste, sähe es anders aus, aber so ist es schwierig zu schlucken. Darum verstehe ich auch die Opposition gegen die Pistenverlängerungen.

Bundesrätin Doris Leuthard spricht von einer «gerechten Lastenverteilung» in der Schweiz, die nun anzustreben sei. Das widerspricht diametral der Strategie der Zürcher Regierung, den Fluglärm bestmöglich zu kanalisieren.
Da werden wir gewisse Konflikte haben, aber wir werden unsere Interessen bestmöglich wahren. Der Kanton Zürich trägt in jedem Fall die Hauptlast, gegen 95 Prozent des Lärms fallen bei uns an. Vor dem Flughafen ist immer Zürcher Gebiet. Auch im Kanton Zürich wird eine gewisse Verteilung des Lärms aber wohl unumgänglich sein. Dass der Osten alles übernehmen muss und der Süden nichts, wird kaum durchsetzbar sein. Denkbar wäre, dass am Morgen zwischen 6 und 6 Uhr 30 für die rund 15 Swiss-Maschinen der gekröpfte Nordanflug zur Anwendung kommt – und dafür zu späterer Stunde auch aus Süden angeflogen wird.

Aber es kann ja nicht sein, dass man mehrmals täglich das Flugregime wechselt – das verkompliziert das ohnehin schon komplexe System.
Das ist so, zu diesem Punkt wollen wir vom Bund Genaueres hören. Alle sind sich einig, dass nicht der Lärm, sondern die Sicherheit an oberster Stelle stehen muss.

Die zusätzliche Lärmbelastung wird zu zusätzlichen Entschädigungsbegehren an den Flughafen führen. Rechnen Sie mit einer neuen Klagewelle?
Das wird man sehen, wenn die Lärmperimeter mit dem Sachplan Infrastruktur Luftfahrt (SIL) definiert sind. Aber die Töpfe sind gefüllt: Die berechtigten Entschädigungsforderungen werden finanziert werden können.

Wird der SIL-Prozess neu aufgerollt werden müssen?
Man wird den SIL sicher nochmals anschauen müssen. Der Staatsvertrag entspricht aber zu einem grossen Teil der Variante J opt, die als jene Variante auserkoren worden ist, die lärm- und kapazitätsmässig am besten abschneidet.

NZZ, 06.07.2012