Es droht eine Bruchlandung (NZZ)

Publiziert von VFSNinfo am
Bern muss ein Scheitern der Verhandlungen mit Berlin in Kauf nehmen.

Nächste Woche soll die dritte Runde in den Verhandlungen zwischen der Schweiz und Deutschland über die Anflüge nach Zürich stattfinden. Die Hektik hinter den Kulissen ist gross:   Man redet nebulös von einem Termin, der noch nicht gesichert ist, von Bedingungen und verlangt gegenseitig Kompromissbereitschaft.

Der Ärger auf Schweizer Seite ist nachvollziehbar. Deutschland ging mit der eigenartigen Haltung in die Gespräche, dass die Stuttgarter Erklärung, die eine Beschränkung der Nordanflüge auf 80\'000 jährlich verlangt, gleichzeitig Grundlage und Ergebnis der Verhandlungen sein soll. Ebenso merkwürdig erscheint, dass die deutsche Delegation die im Jahr 2008 von höchster Stelle – von Angela Merkel und Pascal Couchepin – in Auftrag gegebene Lärmanalyse ignoriert, nur weil ihr die Resultate nicht genehm sind. Die als Gesprächsgrundlage gedachte Analyse zeigte, dass die Lärmbelastung in der Schweiz viel grösser ist als in Süddeutschland. Ennet dem Rhein leidet niemand unter Lärm über dem Grenzwert.

Trotzdem beharrt die deutsche Seite auf der Stuttgarter Erklärung und droht mit einer einseitigen Verschärfung der heute schon politisch fragwürdigen Anflugbeschränkungen. Das darf sich die Schweiz nicht bieten lassen. Sie muss darauf pochen, dass, wie von Merkel und Couchepin vorgespurt, die effektive Lärmbelastung in dem angestrebten Staatsvertrag zumindest eine Rolle spielt. Aus der gegenwärtigen Sackgasse kann nur ein Kompromiss führen – eine Lösung, die beschränkend wirkt, aber trotzdem eine Entwicklung für den Flughafen Zürich zulässt. Denkbar ist eine Art Punktesystem, das zum Beispiel berücksichtigt, wie laut ein Flugzeug ist und ob es in Tagesrandstunden anfliegt. Insgesamt könnte dem Flughafen Zürich so ein Kontingent zur Verfügung stehen, das für Nordanflüge genutzt werden kann.

Die Schweiz hat leider die Gelegenheit verpasst, das Fluglärm-Dossier mit anderen wichtigen Geschäften zu verknüpfen. Angesichts der unterschiedlichen Bedeutung, die das Anflug-Dossier für die Schweiz und Deutschland hat, stellt sich das als fatal heraus. Für die Schweiz sind weitere Beschränkungen nicht hinnehmbar, weil der zentrale Wirtschaftsmotor Flughafen nur über die leistungsfähige Nordachse wachsen kann. Deutschland hat keine solch fundamentalen nationalen Interessen: Es geht lediglich um eine Besserstellung des südlichsten Landesteiles, dessen Bewohner heute schon ein ungleich höheres Schutzniveau geniessen als die Anwohner der Flughäfen zum Beispiel in München oder Frankfurt. Fatal ist das Paket-Versäumnis auch, weil die Schweiz im Flughafendossier nichts bieten kann. Möglich scheint nur noch, dass im Verkehrsdossier Verknüpfungen gelingen, beispielsweise mit dem Lärm der deutschen Güterzüge auf der Bodenseelinie.

Die schwache Verhandlungsposition der Schweiz verstärkt den Ruf nach Gegengift. Diese Begleitmusik ist zwar verständlich, individuell wirksame Retorsionsmassnahmen wie das Piesacken deutscher Grenzgänger sind aber sicher keine Option. Stattdessen sollte die Schweiz auf eine harte Haltung und eine geschickte Verhandlungsführung setzen, die für eine flexible Lösung wirbt – und Deutschland auch die Gefahren seiner Forderungen aufzeigt. Diese sind nicht zu unterschätzen. Europäische Flughäfen sind wegen der lauter werdenden Rufe nach Lärmschutz unter Druck. Eine «Lex Zürich» für die heute schon bestgeschützten Süddeutschen würde Bürgerorganisationen, namentlich auch in Berlin, München und Frankfurt, weiteren Auftrieb geben.

Diese Gemengelage lässt nur einen Schluss zu: Es braucht einen Kompromiss, der dem Umstand Rechnung trägt, dass Zürich ein Schweizer Flughafen ist, der aber auch die Wichtigkeit des Airports für Süddeutschland berücksichtigt und sich an der tatsächlichen Lärmbelastung orientiert. Bern und Berlin sind jetzt gefordert, der Sachlichkeit in diesem Dossier zum Durchbruch zu verhelfen. Zeichnet sich auch nach der dritten Runde kein solcher Kompromiss ab, muss die Schweiz in Kauf nehmen, dass die Verhandlungen scheitern – und nach dem Streit über das Steuerabkommen einen weiteren «Hauskrach» mit dem befreundeten Nachbarn ausfechten.

Von Andreas Schürer

NZZ, 21.04.2012