Für Ernst Stocker hat die Strasse Vortritt (NZZ)

Publiziert von VFSNinfo am
Der neue Zürcher Regierungsrat zu verkehrspolitischen Prioritäten

Der seit Mai amtierende Regierungsrat Ernst Stocker sieht in Verkehrsfragen seine grössten Herausforderungen. Nachholbedarf ortet er vor allem auf der Strasse. Diese Meinung teilt man im Kantonsrat nur teilweise.

Adrian Krebs

Man merkt, dass Ernst Stocker (svp.) erst seit kurzem das erste Glied der Zürcher Politik ziert. Am Freitag, bei einem der ersten öffentlichen Auftritte als Regierungsrat, wirkte er in Rüschlikon neben den Granden wie Ständerat Gutzwiller und Gewerbeverbandspräsident Rutschmann noch etwas scheu. Zur Eröffnung der Gewerbemesse spricht er unaufgeregt und ohne rhetorisch gross zu brillieren. Damit ist er schon in bester Gesellschaft mit den meisten seiner neuen Kollegen. Von diesen, so sagt Stocker, sei er sehr gut aufgenommen worden. Auch über die «hochmotivierten» Mitarbeiter ist er voll des Lobes, es gebe keinen Anlass zu Rochaden.

Laut ersten Kommentaren stösst Stockers ruhige und bodenständige Art auch bei den ehemaligen Kantonsratskollegen auf gutes Echo. Er hatte zwar seit dem Amtsantritt am 1. Mai noch keinen Auftritt im Plenum, aber mindestens in der Kommission für Energie, Verkehr und Umwelt (Kevu) hinterliess er einen guten Eindruck. Er stehe mit beiden Beinen auf dem Boden und könne gut zuhören, heisst es dort.

Zentrale Finanzierungsfragen
Daraus sollte man aber nicht schliessen, dass Stocker ein Spaziergang bevorsteht. In seiner Funktion betreut er zentrale und teilweise umstrittene Dossiers. Sein Amt für Verkehr ist Schaltstelle für wichtige Infrastrukturentscheide. Dabei sind sich die Fraktionen im Kantonsrat nicht einig, ob die Priorität nun auf Strasse, Schiene oder Luft zu liegen hat.

CVP-Kantonsrat Willi Germann (Winterthur) betrachtet die Koordination mit dem Bund in Fragen des Bahnbaus als vordringlich. Erste Priorität habe die Weichenstellung beim Vierspur-Ausbau der Strecke Zürich–Winterthur mit dem Brüttener Tunnel als langfristigem Ziel. Stocker müsse sich dabei ähnlich wie Rita Fuhrer bei der Finanzierung der Durchmesserlinie mit anderen Kantonen absprechen. Er traue dem Bund in dieser Frage nicht über den Weg. Parallel dazu müsse Stocker die «Herausforderung Limmattalbahn» anpacken und die Erweiterung der Glatttalbahn vorantreiben.

"Auf die Strasse konzentrieren"
Kantonsrat Robert Brunner (gp., Steinmaur) sieht das ähnlich. Die nötige Kapazitätserhöhung auf der Schiene werde Stocker bis zum letzten Tag in der Exekutive beschäftigen. Er spricht von der vierten und der bereits sich abzeichnenden fünften Teilergänzung der S-Bahn und den dringenden Sanierungen von Bahnhöfen im Kanton. Mit Strassenbau dagegen solle Stocker besser nicht die Zeit vergeuden, da helfe der Landwirt besser dem Sohn beim Heuen, polemisiert Brunner. Germann sieht hier Bedarf höchstens bei der Schaffung von mehr Raum für den Langsamverkehr in der Stadt Zürich.

Dezidiert anderer Ansicht ist der Kevu-Präsident Ruedi Menz (svp., Rüti). Die Bahnprojekte seien auf Kurs, da sehe er keinen Handlungsbedarf. Stocker müsse sich jetzt auf die Strassen konzentrieren. Er erwähnt als Beispiele den Gubrist und die Stadt Zürich, die mit ihren Projekten nicht vorwärtsmache. Wichtig sei auch die Oberlandautobahn, so Menzi. Allerdings wage er kaum noch an deren Realisierung zu glauben. Zwar habe der Kanton durch die beabsichtigte Abtretung an den Bund an Einfluss verloren, aber eine Vor- oder Mitfinanzierung, wie sie diskutiert werde, sei zu verhindern.

In der Luftfahrt ist der Bund am Ball
Was den Flughafen angeht, sieht Menzi ruhigere Zeiten auf Stocker zukommen. Wichtigstes Anliegen des Kevu-Präsidenten ist die Rückkehr zum «anständigen» Flugregime, wie es vor den deutschen Flugbeschränkungen herrschte. Dabei sieht er grösseren Handlungsbedarf beim Bund als bei Stocker, der hier nur beschränkten Einfluss habe. Brunner hat andere Prioritäten. Die Koordination zwischen dem Sachplan Infrastruktur Luftfahrt (SIL) und dem kantonalen Richtplan werde «sehr schnell sehr akut», prognostiziert er. Stocker solle schnellstmöglich die Möglichkeit eines Pistenausbaus ausschliessen. Damit stünde er zwar in Opposition zum SIL, «aber er muss sich überlegen, ob er lieber einen Konflikt mit dem Bund oder seinem Elektorat will». Auch Germann empfiehlt den Verzicht auf den Pistenausbau, im Übrigen aber einen gegenüber der Ära Fuhrer «reduzierten Flughafen-Aktivismus».

«Volk bestimmt über Pisten»
Stocker selber will von sich aus vorläufig nichts unternehmen in Richtung Pistenbauverbot. Könne er auch gar nicht, betonte er am Freitag. Man müsse nun den Entscheid des Bundesgerichts zur Behördeninitiative für ein Pistenmoratorium abwarten. Anschliessend werde das Volk entscheiden, ob es einen Verzicht wolle, und im Fall eines konkreten Projektes werde es ja ohnehin zu einer zweiten Volksabstimmung kommen.

Befragt nach den grössten Herausforderungen, erwähnt Stocker zunächst die Sanierung der Kantonsfinanzen. In Verkehrsfragen sieht er grösseren Handlungsbedarf auf der Strasse als bei der Bahn: «Auf der Schiene passiert bereits viel», sagt der neue Volkswirtschaftsdirektor. Beim Strassenbau betrachtet er es als seine wichtigste Aufgabe, die Autobahnlücken zu schliessen, dafür wolle er sich beim Bund einsetzen. Neben der Nordumfahrung erwähnt Stocker die Oberlandautobahn, an die er immer noch glaube.

NZZ, 21.06.2010


Kommentar VFSN: Ob Kantonsrat Brunner etwas übersehen hat?
1. Das "Elektorat"  durfte sich zu diesem Thema noch gar nicht äussern.
2. Kantonsrat Brunner, und mit ihm alle anderen Unterstützer der Behördeninitiative, wollen erreichen, dass durch ein Abstimmungsverbot das "Elektorat" gar nie über eine allfällige Pistenfairlängerung abstimmen darf.