«Ohne Zugeständnisse keine Pistenverlängerung» (NZZ)

Publiziert von VFSNinfo am
Fünf Jahre Südanflug – Bundesrat Leuenbergers Bilanz und Ausblick

Der schweizerische Verkehrsminister Leuenberger hat fünf Jahre nach dem ersten Südanflug die Hoffnung auf eine neue Lösung mit Deutschland noch nicht aufgegeben. Er ist überzeugt, dass sich mit einem klaren Bekenntnis zur Pistenverlängerung eine Lockerung der Überflugverbote erwirken liesse.izerische Verkehrsminister

err Bundesrat, vor fünf Jahren wurde erstmals von Süden angeflogen, hätten Sie damals geglaubt, dass es den Südanflug heute immer noch gibt?

Moritz Leuenberger: Ich habe vor allem daran geglaubt, dass möglichst rasch eine vernünftige andere Lösung gefunden werden kann und habe auch darauf hingearbeitet.

Eine vernünftige andere Lösung, was meinen Sie damit konkret?

Ich meine damit vor allem, dass die jetzige Situation unvernünftig ist. Mit einer Nordausrichtung könnte viel CO2 gespart werden. Es wären wesentlich weniger Menschen von Lärm betroffen und es könnten betriebliche Schwierigkeiten für Swiss und Flughafen verhindert werden.

Sie glauben noch an die Möglichkeit des Status quo ante ohne Südanflug?

Die beste Lösung ist die Nordausrichtung. Nur ist das keine realistische Option, weil Deutschland nicht bereit ist, die nach Ablehnung des Staatsvertrags einseitig verhängte Verordnung DVO tel quel und ersatzlos aufzuheben.

Es scheint, dass das heutige Flugregime zementiert ist.

Nein, das stimmt nicht. Von deutscher Seite steht nur etwas nicht zur Diskussion: Die DVO ersatzlos aufzuheben. Hingegen ist eine Neuregelung, insbesondere auch mit der Nord/Ost-Variante, mit Deutschland sehr wohl verhandelbar. Es hat ja auch einiges Interesse am gemeinsamen Wirtschafts- und Lebensraum über die Grenze hinweg.

Warum soll Deutschland nach einer Verlängerung der Westpiste seine Verordnung lockern? Die Folge wäre ja nur eine Verkehrsverlagerung hierzulande.

Nein, denn die zusätzlichen Ostanflüge sollen ja nicht einfach die Südanflüge ersetzen, sondern es müsste ein neues Konzept mit Nord- und Ostausrichtung gefunden werden. Dazu gehört die Aufhebung der deutschen Sperrzeiten. Ohne Zugeständnisse beim Nordanflug kann es natürlich keine Pistenverlängerung geben.

Nach wie vor sind Schweizer Klagen am europäischen Gerichtshof hängig, welche Hoffnungen hegen Sie bezüglich dem gerichtlichen Weg?

Meine Hoffnung auf internationale Gerechtigkeit ist ungebrochen. Die Erfahrungen zeigen allerdings, dass all jene, die damals sagten, man solle es nur auf dem gerichtlichen Weg versuchen, die zeitlichen Dimensionen falsch eingeschätzt haben.

Sie wurden oft kritisiert, dass Sie aus persönlicher Kränkung über die Ablehnung des Staatsvertrags nicht mehr allzu intensiv für neue Lösungen gekämpft haben. Wie beurteilen Sie Ihre Leistungsbilanz?

Dann soll man mir mal sagen, was mehr hätte gemacht werden können. Es war ja sehr interessant beim Besuch von Angela Merkel. Als sie sich gegen die Paketlösung ausgesprochen hatte, haben plötzlich alle eingesehen, dass es nicht geht. Immerhin ist es gelungen, die Deutschen wieder an den Verhandlungstisch zu bringen, und immerhin sind sie offen für eine neue Lösung.

Erwarten Sie, dass Deutschland in allfälligen Verhandlungen den Fluglärm-Konflikt mit dem schwelenden Steuerstreit verlinken will?

Ich habe bisher mit meinen Partnern, den Verkehrsministern, stets sachbezogene Diskussionen geführt, ein anderes Dossier hat nie hineingefunkt, mit den EU-Kommissaren übrigens auch nicht. Aber ich kann nur in die Vergangenheit blicken. Eine derartige Vermischung dieser Sachverhalte wäre dann wieder eine Paketlösung der anderen Art. Nach der bisherigen Verhaltensweise von Deutschland ist dies nicht zu erwarten.

Streben Sie im Hinblick auf eine neue Lösung einen neuen Staatsvertrag an?

Ein Staatsvertrag wäre ideal. Dann hätten wir Verbindlichkeit und einen Ansprechpartner. Zuweilen höre ich auf deutscher Seite die Frage, warum nehmen wir nicht den alten? Aber da wäre auf Schweizer Seite wohl nichts zu machen, da steckt zu viel Prestige dahinter.

NZZ, 29.10.2008


Kommentar

Treten an Ort

Von Adrian Krebs

Fünf Jahre nachdem die ersten Flugzeuge in der Südschneise mit Pfeifkonzerten empfangen worden sind, ist man keinen Schritt weiter, aber um einige Illusionen ärmer. Sämtliche Hoffnungen, an denen sich die geplagten Anwohner im Süden aufzurichten versuchten, erwiesen sich als untauglich. Die einseitige deutsche Verordnung ist nach wie vor in Kraft, und eine Lockerung scheint in weiter Ferne.

Ergebnislos blieb erstens der Gang vor internationale Gerichte. In Deutschland wurden die Schweizer Klagen sang- und klanglos abgewiesen, und der Weiterzug an den Europäischen Gerichtshof hat bisher nur Anwaltskosten, aber keinerlei greifbare Resultate gezeitigt. Chancenlos blieben zweitens sämtliche Versuche, neue Verhandlungen über eine für die Schweiz bessere Anflug-Lösung auszuhandeln. Kläglich gescheitert ist drittens der Versuch, Deutschland mit einer sogenannten Paketlösung zurück an den Verhandlungstisch zu locken. Das Tuttifrutti von allerhand Anliegen, die den Schweizern teilweise wichtiger waren als den Nachbarn, wurde im Norden als Mogelpackung empfunden und eiskalt abserviert. Erfolglos blieb viertens der Ansatz, mit dem gekröpften Nordanflug über Schweizer Gebiet entlang der Grenze einen Teil der Südanflüge zu ersetzen und gleichzeitig den Nachbarn etwas zu provozieren. Geblieben ist ein mageres transnationales Arbeitsgrüppchen, das einen gemeinsamen Nenner für Lärmberechnungen sucht. Dabei handelt es sich um eine Verlegenheitslösung, mit der beim Publikum mindestens der Anschein von Lösungssuche erweckt werden soll.

Nach fünf Jahren Treten an Ort sind Schuldzuweisungen müssig, man hält sich sowohl in Bern wie auch rund um den Flughafen schon zu lange damit auf. Wie weiter? Man wird sich im Süden damit abfinden müssen, dass ein Teil Südanflüge bleiben wird. Leuenberger hofft mit einer Pistenverlängerung und forciertem Ostanflug für eine Entlastung des Südens und eine Lockerung der deutschen Verordnung sorgen zu können. Die Zürcher Regierung und die Südanfluggegner hat er dabei wohl im Boot. Im Osten wird man sich aber vehement zur Wehr setzen, und die nächste, jahrelange und kräftezehrende Auseinandersetzung ist programmiert. Der lachende Dritte bleibt der gleiche wie heute. Er verfolgt das Ganze entspannt vom nördlichen Rheinufer aus.

NZZ, 29.10.2008



siehe auch:
5 Jahre illegale Südanflüge (VFSN, 05:55 Uhr Forchdenkmal)
Fünf Jahre und kein Ende in Sicht? (ZSZ, 14.10.2008)
5 Jahre Südanflüge (Leserbriefe ZSZ, 14.10.2008)
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