«Nachts hört man hier jedes Reh» (ZU)

Publiziert von VFSNinfo am
Fünf Jahre nach Einführung der Südanflüge hat sich die Lage noch keineswegs entspannt. Mit viel Engagement kämpfen die «Schneiser» weiterhin für ihre Ruhe. Ein Augenschein vor Ort. &task

Oliver Steimann.»

Tagsüber ist die Idylle ungebrochen: sonnenbeschienene Häuser und Gärten inmitten einer grossen Waldlichtung. Nur die vielen gelben Plakate erinnern den Besucher daran, dass in Gockhausen nicht alles zum Besten steht. Seit 30. Oktober 2003 bildet das Dorf am Nordhang des Adlisbergs das Zentrum der sogenannten «Südschneise».

Zu den «Schneisern» der ersten Stunde gehören der hier wohnhafte Adolf Spörri und Waltraud Borsodi aus Egg. Beide haben in den vergangenen fünf Jahren viel Zeit und Engagement in Protestaktionen investiert, und trotz ausbleibendem Erfolg denken sie noch lange nicht ans Aufgeben. «Man lässt den Zustand einfach andauern, obwohl er ganz klar gegen geltendes Recht verstösst», begründet Spörri seine Empörung. Als Rechtsanwalt stören ihn die juristischen Missstände im Zusammenhang mit den Südanflügen ebenso stark wie der Lärm selbst.

Ohropax oder Exil

Spörri, der 1995 für seine Familie und sich ein Haus in Gockhausen gebaut hat, spricht von einem «eklatanten Rechtsbruch». Die Beschwerden dagegen würden von den zuständigen Instanzen seit Jahren verschleppt, und von den Medien fühle man sich ebenfalls stiefmütterlich behandelt. Sein Vertrauen in den Rechtsstaat Schweiz habe stark gelitten.

Und der Lärm? Er sei unerträglich, erklärt Borsodi. «Manche versuchen es mit Silikonknöpfen in den Ohren, andere fahren jedes Wochenende weg.» Das Schlimme sei, dass der Lärm praktisch aus dem Nichts auf 90 Dezibel oder mehr anschwelle, ergänzt Spörri, der früher in der Zürcher City gewohnt hat. «Vor 6 Uhr ist es hier sehr still. Nachts hört man jedes Reh.» An diese krassen Pegelunterschiede könne man sich nicht gewöhnen.

Bei vielen Betroffenen mache sich das auch gesundheitlich bemerkbar – in Form von Stress, Herzrhythmusstörungen oder Bluthochdruck. Sowohl Borsodi wie Spörri sind Mitglieder beim Verein Flugschneise Süd – Nein (VFSN). Hier sehen sie eine Möglichkeit, ihrem Protest eine Form zu geben. Beide nehmen seit fünf Jahren fast immer an der monatlichen Mahnwache gegen die Südanflüge am Airport teil, und Borsodi war im Sommer 2006 auch bei der Aufsehen erregenden Brückensperrung in Kaiserstuhl dabei. Ausserdem hat sie unzählige Leserbriefe geschrieben und sucht immer wieder den Kontakt mit den Verantwortlichen in Politik und Wirtschaft.

Protest und Widerstand

Spörri hingegen berät etliche Schneiser juristisch und hat auch die beiden Rentner verteidigt, die 2004 verhaftet worden waren, weil sie mit Taschenlampen Flugzeuge angeleuchtet hatten. Dabei, betont Spörri, habe er gar nichts gegen den Flughafen. «Ich fliege hie und da auch in die Ferien.» Und er sei dezidiert der Meinung, dass man die Leute in der Nordanflugschneise bisher schlecht behandelt habe, sowohl dies- wie jenseits des Rheins. «Doch wie Deutschland die Sache jetzt durchzieht, dafür habe ich kein Verständnis. Das hat mit gutnachbarlichen Gepflogenheiten rein gar nichts mehr zu tun.»

Eine gerechte und rechtskonforme Lösung sieht der Gockhauser in einer Rückkehr zur alten Nordausrichtung, bei gleichzeitiger finanzieller Entschädigung der dort Betroffenen. «Und diese Entschädigung müsste so bemessen sein, dass jeder, der das wünscht, ohne finanzielle Einbussen in ein anderes Gebiet umsiedeln könnte.»

Lärm und Rechtsbruch sind für Borsodi allerdings nur ein Teil des Problems. Viel zu denken gibt der gebürtigen Bayerin auch die Gefahr eines möglichen Flugzeugabsturzes auf dichtbesiedeltes Gebiet. Sie spricht vom «Absturzkorridor» über Gockhausen, Schwamendingen und Glattbrugg, der in den Köpfen präsent sei. «Nicht auszudenken, welche Reaktionen zu gewärtigen wären, wenn Leute am Boden durch einen Flugzeugabsturz zu Schaden kämen», doppelt Spörri nach.

«Gegendruck aufbauen»

Versagt haben in ihren Augen sowohl der Bundesrat, insbesondere Verkehrsminister Moritz Leuenberger, der zu schwach verhandelt habe, als auch das Bundesamt für Zivilluftfahrt (Bazl), das sich – wie beim gekröpften Nordanflug – gegen die Einführung innovativer Anflugverfahren sträube. «Es müssen andere Leute ran», ist Spörri überzeugt. «Gegenüber Deutschland muss man politischen Gegendruck aufbauen.»

Auch Borsodi ist überzeugt, dass die Schweiz mit dem nördlichen Nachbarn viel zu anständig umgeht. «Man agiert lieber mit viel Vorsicht. Aber so ist eben die Schweizer Mentalität.»

Zürcher Unterländer, 25.10.2008



siehe auch:
5 Jahre illegale Südanflüge (VFSN, 05:55 Uhr Forchdenkmal)
Fünf Jahre und kein Ende in Sicht? (ZSZ, 14.10.2008)
5 Jahre Südanflüge (Leserbriefe ZSZ, 14.10.2008)
Kämpfer und Seelsorger (ZSZ, 17.10.2008)
«Nachts hört man hier jedes Reh» (ZU, 25.10.2008)
«Wir müssen den Druck aufrechterhalten» (ZSZ, 25.10.2008)
Glaube an Rechtsstaat verloren (ZSZ, 28.10.2008)
Fünf Jahre Südanflug sind genug! (PR-indside, 28.10.2008)
Der Tag, an dem die Ruhe endete (ZSZ, 29.10.2008)
«Ohne Zugeständnisse keine Pistenverlängerung» (NZZ, 30.10.2008)
Schneiser trotzten Schnee (ZOL, 30.10.2008)
«Trölerisches Verhalten von Gerichten und Politik» (NZZ, 30.10.2008)
Demo Südanflüge (Video Schweiz Aktuell, 30.10.2008)
Morgendliche Fluglärm-Demo auf der nebligen Forch (TA, 31.10.2008)
Schneiser schlottern in Scharen (Glattaler, 31.10.2008)
Pfiffe gegen Jets im Schneegestöber (SZ, 31.10.2008)
«Mir Schneiser sind härti Chäibe» (ZSZ, 31.10.2008)
«Schneiser» trotzen dem Schneegestöber (ZOL, 31.10.2008)