«Ich schäme mich als Deutscher» (ZOL)

Publiziert von VFSNinfo am
Immer mehr Deutsche ziehen in die Schweiz - auch in die Südschneise. Drei deutsche Schneiser, die schon lange hier leben, klagen: Die Südanflüge betreffen viel mehr Deutsche als die Nordanflüge.

Andreas Schürer  

1. August 2006: Einige Südschneiser sind in Berlin, stehen vor dem Reichstagsgebäude, wie gewohnt ganz in Gelb, mit Mützen und Ballonen ausgestattet. Ihr Anführer, Thomas Morf, der Präsident des Vereins Flugschneise Süd - Nein (VFSN), wirbt in der deutschen Hauptstadt für die Anliegen der Zürcher Bevölkerung, die schwer trage an den Auswirkungen der deutschen Anflugsperre.
Unter den Schneisern mit den gelben Leibchen sind aber nicht nur solche, die mit Schweizer Akzent den Berlinern darlegen, wie das Wilhelm-Tell-Volk unter den vom grossen Nachbarn einseitig verhängten Sperrzeiten des Luftraums leidet, sondern auch ein waschechter Deutscher: Nils Groten, als Banker in die Schweiz gekommen, heute pensioniert, mit Wohnsitz in Konstanz und Gockhausen, Mitglied des VFSN. Groten begründet seinen Einsatz: «In Deutschland sind die Leute dem verbreiteten Lügengespinst aufgesessen, dass Süddeutschland den grössten Teil der Lärmbelastung des Flughafens Zürich-Kloten tragen müsse. Das ist völliger Unsinn - und das muss man erklären.» Schon vor der Einführung der Südanflüge seien über 95 Prozent des vom Flughafen in Kloten verursachten Fluglärms im Kanton Zürich angefallen.  

Viele Deutsche am Pfannenstiel  

Bislang waren Erklärungsversuche und Protestaktionen vergeblich. Morgen Dienstag sind seit der Einführung der Südanflüge bereits vier Jahre vergangen. Ein Ende ist nicht absehbar. Tröstlich ist für den deutschen Südschneiser Groten nur eines: Er ist nicht der einzige Deutsche, der sich gegen die deutsche Verordnung (DVO) und gegen die Südanflüge wehrt. Die Schweiz ist das beliebteste Auswanderungsland der Deutschen - viele von ihnen zieht es in die schöne Pfannenstiel-Region. In den Bezirken Meilen, Uster und Pfäffikon lebten Ende 2006 9200 deutsche Staatsbürger. Viele von ihnen wohnen in relativ sehr stark von den Südanflügen betroffenen Gemeinden: zum Beispiel 210 in Zumikon, 294 in Egg, 336 in Fällanden, 439 in Maur, 400 in Opfikon-Glattbrugg, 766 in Dübendorf, 510 in Männedorf, 534 in Stäfa und 226 in Uetikon. Aber auch in Zürich-Schwamendingen lebten Ende 2006 821 Deutsche.  

«Kaum Lärm in Hohentengen»  

Zum Vergleich: Das am stärksten von den Nordanflügen betroffene süddeutsche Dorf Hohentengen zählt rund 3600 Einwohner. Das Dorf wird in etwa 900 Meter Höhe überflogen - deutlich höher als in der Südschneise zum Beispiel Zumikon, Gockhausen oder Schwamendingen. Der deutsche Südschneiser Groten kommentiert: «Es ist verrückt - von den Südanflügen sind mehr deutsche Staatsbürger betroffen als Süddeutsche von den Nordanflügen.»
Die «Lüge» von der starken deutschen Betroffenheit sei ungeheuerlich, findet Groten. Deutschland zähle einzig die sichtbaren Kondensstreifen am Himmel - ohne die tatsächliche Lärmbelastung für die Bevölkerung am Boden zu berücksichtigen. In Hohentengen seien die Flugzeuge kaum zu hören, so hoch und versetzt würden sie fliegen, sagt Groten. «Wir in Gockhausen dagegen werden in 300 Meter Höhe überflogen und sind um sechs Uhr wach.»
In mehreren Schreiben an deutsche Spitzenpolitiker hat Groten seinen Unmut kundgetan. An den baden-württembergischen Ministerpräsidenten Günther Oettinger schrieb er: «Ich schäme mich als Deutscher, dass mit Unwahrheiten unser Nachbarvolk so unter Druck gesetzt wird, dass das Bild des hochnäsigen Deutschen in der Schweiz verstärkt wird.» Zudem werde nicht berücksichtigt, dass Zürich-Kloten der Heimatflughafen der Süddeutschen sei - und durch die deutsche Haltung massiv geschädigt werden könne.  

«Unser Protest verhallt»  

Eine andere deutsche Staatsbürgerin, die sich gegen die Südanflüge wehrt, ist Annette Schulz Marty. Vor fünf Jahren hat sich die Gemälderestauratorin zusammen mit ihrem Schweizer Ehemann in Gockhausen ein Haus gekauft. Auch ihr Protest in Deutschland hat nichts gefruchtet. Ein von ihr und 600 anderen Deutschen aus der Region Pfannenstiel unterschriebener Beschwerdebrief an den ehemaligen Verkehrsminister Manfred Stolpe zeitigte keine Wirkung. Die Deutschen aus dem «Schneiserland» hatten sich an Stolpe gewandt «in der Hoffnung, als stimmberechtigte Bürger bei Ihnen Gehör zu finden». Sie klagten: «Der Lärm, der die Menschen morgens um 6 Uhr aus dem Schlaf reisst, ist um ein Vielfaches lauter, als die süddeutschen Gemeinden je zu hören bekommen.» Betroffen seien auch mehrere tausend Deutsche. Der Brief schliesst: «Wir fordern von Ihnen, auch unsere Interessen zu vertreten.» Die Resonanz war gleich null. Schulz Marty ist frustriert: «Unser Protest verhallt im Walde. Unsere Anliegen sind den deutschen Politikern schnuppe.»
Ernüchtert ist auch die Deutsche Yvonne Hurtienne, ebenfalls aus Gockhausen: «Ich bin erschüttert darüber, wie stur Deutschland auf seiner Position beharrt und zu keinem Kompromiss bereit ist.» Um «einige Tannen im Schwarzwald» zu schützen, würden tausende Menschen in der Südschneise gefährdet. Doch ganz ohnmächtig ist die Mutter zweier Kinder nicht: «Ich komme aus Baden-Württemberg und bin immer noch dort stimmberechtigt.»

ZOL, 29.10.2007


siehe auch:
Schneiser erfolgreich in Berlin (VFSN)
Anzahl betroffener Bewohner im Süden, Osten und Norden (VFSN)
Anzahl betroffene Menschen kumuliert nach Überflughöhe (VFSN)
4 Jahre Südanflüge (VFSN)