Flexiblere Anflugvarianten in Reichweite (NZZ)

Publiziert von VFSNinfo am

Neue Möglichkeiten durch Navigationstechnik PRNAV

bbu. Die Regeln und Verfahren, nach denen Flugzeuge im Instrumentenflug navigieren und sich ins Luftverkehrssystem einfügen, sind teilweise schon jahrzehntealt. Am Prinzip, wonach die Orientierung ausser bei langen Überwasserstrecken noch immer an den bestehenden Radionavigationseinrichtungen (Funkfeuer) am Boden erfolgt, während die Fluglotsen den Verkehrsfluss organisieren, gibt es aber seit den achtziger Jahren stufenweise Verbesserungen.

Auch im Interesse des Lärmschutzes

Inzwischen hat die technische Entwicklung aber mehrere qualitative Sprünge gemacht. Offenkundig wird dies, wenn man sich vor Augen hält, dass selbst für Laien die Verwendung von satellitengestützten GPS-Navigationsgeräten zur Routine geworden ist. Für die Zivilluftfahrt eröffnen sich dadurch ebenfalls neue Möglichkeiten. Eine davon ist die Precision Area Navigation (PRNAV), von der man sich eine Optimierung von An- und Abflugrouten verspricht. PRNAV ermöglicht das von bodengebundenen Einrichtungen wie Funkfeuer unabhängige Navigieren im Nahverkehrsbereich von Flughäfen. Erreicht wird dadurch eine grössere Flexibilität beim Flugweg, die höhere Kapazitäten und gleichzeitig eine stärkere Berücksichtigung von lärmempfindlichen Gebieten erlauben soll. Der Flugverlauf kann dabei anders als bei den bis anhin üblichen Verfahren durch fast frei positionierbare Wegpunkte definiert werden, welche im Flugführungscomputer (FMS) der Flugzeuge festgelegt werden. PRNAV endet aber in jedem Fall beim Auflinieren auf den Leitstrahl des Instrumentenlandesystems (ILS) oder beim entsprechenden Endanflugverfahren.

Im Reiseflug wird im Übrigen schon seit Jahren nach einem ähnlichen Prinzip navigiert. Praktische Versuche mit PRNAV oder noch weitergehenden Varianten davon laufen bereits heute. Seit Ende 2005 gibt es beispielsweise einen sogenannten RNP-Approach auf den Inlandflughäfen der amerikanischen Hauptstadt Washington. Das Kürzel RNP steht dabei für Required Navigation Performance; das heisst, die maximale Abweichung von der vorgegebenen Streckenführung beim Anflug darf höchstens einen genau definierten Wert betragen. Bei RNP 0.3 sind das beispielsweise nur 0,3 nautische Meilen (550 Meter). Erklärtes Ziel ist es laut amerikanischer Zivilluftfahrtbehörde FAA, lärmempfindliche Gebiete auf einem Flugweg zu umfliegen, welcher bisher nur im Sichtflug erflogen werden konnte.

Laut dem Bundesamt für Zivilluftfahrt (BAZL) wäre die Einführung von PRNAV-Verfahren auch in der Schweiz ursprünglich noch für Ende 2006 geplant gewesen. Allerdings ist dies ohne enge Abstimmung mit den Nachbarstaaten nicht möglich, wodurch eine Verzögerung realistisch erscheint. Bei Skyguide wird die Einführung von PRNAV im Rahmen eines umfassenden Safety-Assessments geprüft. Betont wird, dass man grösstes Interesse daran habe, sich für die Einführung von Navigationsverfahren einzusetzen, welche eine bessere Nutzung des vorhandenen Luftraums erlauben. Eine «Insellösung» etwa bei den Anflügen auf Zürich sei aber nicht sinnvoll und eine PRNAV-Einführung nur in europaweiter Harmonisierung praktikabel. Sehr interessiert am neuen Verfahren und an seinem Optimierungspotenzial ist auch der Flughafenbetreiber Unique, der allerdings Rücksicht auf seine Airline-Kunden nehmen muss, für welche die Umstellung zunächst Kosten mit sich bringt. Denn für PRNAV müssten die Fluggesellschaften ihr Fluggerät neu zertifizieren und die Besatzungen sich über eine entsprechende Ausbildung ausweisen. Zu den zentralen Voraussetzungen gehört dabei die Erfüllung besonders strenger Auflagen etwa bei der Zuverlässigkeit der dafür unabdingbaren bordgestützten Navigationssysteme und Datenbanken. Eine Vielzahl von Akteuren (BAZL, Skyguide, Flughafen, Fluggesellschaften) müssen also für einen Systemwechsel am gleichen Strang ziehen. Dabei dürften nach den Erfahrungen der letzten Jahre vor allem BAZL und Skyguide ihre Sicherheitsansprüche hoch ansetzen, um jedes Risiko auszuschliessen.

Gekrümmter Nordanflug in Zürich

PRNAV-Anflüge auf den Flughafen Zürich würden sich in einer ersten Phase von den bisherigen Anflugvarianten noch kaum unterscheiden. Bei den Abflügen könnte sich hingegen durch eine Verkürzung des Flugweges nach Starts Richtung Norden eine leichte Kapazitätserhöhung ergeben. Hier zeigt sich, dass sich durch PRNAV ein neues Potenzial eröffnet, dessen Möglichkeiten in der Zukunft etappenweise genutzt werden dürften. Anders verhält es sich mit den geplanten gekrümmten Nordanflügen: Diese wäre ohne vorgängige Einführung von PRNAV gar nicht möglich. In einer ersten Stufe würde diese Anflugvariante noch in einen Endanflug nach Sicht münden. Erst in einer späteren Stufe könnte beim gekrümmten Nordanflug ein lückenloser RNP-Approach die konventionellen Verfahren vollständig ersetzen und dem Standard eines heutigen CAT-III-Instrumentenanflugs gleichkommen. In Expertenkreisen hält man eine europaweite Einführung von RNP aber kaum vor Mitte des kommenden Jahrzehnts für möglich.

Zukunftsmusik 4DT

Noch eine Stufe weiter in Richtung auf ein integriertes Steuerungssystem für einen optimierten Verkehrsfluss im Umfeld von Flughäfen geht das «4DT»-Projekt (Four-Dimensional Trajectory). In Schweden fand Ende Januar der erste kommerzielle Flug statt, der sich dieser Technologie bediente: Der bordseitige Flugführungscomputer stand während des ganzen Anfluges auf den Flughafen Stockholm Arlanda über eine permanente Datenverbindung in Kontakt mit dem Computer der Flugsicherung. Dies ermöglichte eine optimierte Koordination mit dem übrigen Anflugverkehr und die Zuteilung eines Landefensters, das zeitlich vor der flugplanmässigen Landezeit lag. Das Prozedere erlaubt insgesamt eine kürzere Flugzeit mit weniger Treibstoffverbrauch und weniger Schadstoffausstoss als beim konventionellen Anflugverfahren. Ausserdem wird weniger Lärm verursacht, weil der herkömmliche stufenweise («Step down»-)Abstieg von der Reiseflughöhe durch einen kontinuierlichen Sinkflug mit ausgeglichener Triebwerkleistung ersetzt werden kann.

Für ihre Arbeit erhielt die 4DT-Entwicklerfirma Avtech im April 2006 eine Auszeichnung des amerikanischen Fachmagazins «Aviation Week & Space Technology». Auch hier gilt, dass es bis zu einem weltweit verbreiteten Einsatz angesichts der Komplexität der Steuerung von Flugbewegungen in viel beflogenen Lufträumen auf jeden Fall noch ein weiter Weg ist. Das Beispiel zeigt aber auch, welche Möglichkeiten sich durch die technische Entwicklung in Zukunft erschliessen könnten.

NZZ, 12.06.06


Kommentar von Thomas Morf, VFSN