Bund sagt starke Zunahme der Flugbewegungen voraus (NZZaS)

Publiziert von VFSNinfo am

Studie birgt Zündstoff für Flughafen-Verhandlungen

Der Bund geht von einer Zunahme der Flugbewegungen auf dem Flughafen Zürich von 3 bis 4 Prozent pro Jahr aus. Somit stösst der Flughafen bald an seine Kapazitätsgrenze - es sei denn, das Betriebskonzept würde drastisch geändert.

Aus welchen Himmelsrichtungen wird der Flughafen Zürich angeflogen, in welche Richtungen heben die Flugzeuge ab? Kommenden Dienstag findet das erste Koordinationsgespräch statt, an dem dauerhafte Betriebskonzepte für den Flughafen Zürich diskutiert werden. Teilnehmen werden Vertreter des Bundes, der Kantone Zürich, Aargau und Schaffhausen sowie des Flughafens. Der Bund legt als Gesprächsgrundlage eine Studie zur Nachfrageentwicklung des Luftverkehrs vor. Laut gut informierten Quellen enthält das Papier die Aussage, dass die Flugbewegungen auf dem Flughafen Zürich in den kommenden Jahren um «3 bis 4 Prozent» pro Jahr zunehmen werden.

Diese wissenschaftliche Prognose birgt Zündstoff für die Suche nach einem neuen Betriebsreglement. Der Flughafen Zürich verzeichnete im vergangenen Jahr 267 000 Flugbewegungen. Bei einer jährlichen Zunahme von 3 bis 4 Prozent wäre die Zahl der An- und Abflüge innerhalb von zehn Jahren nahe bei 400 000. Das ist mehr, als der Flughafen mit dem gegenwärtigen Pistensystem und den Einschränkungen der deutschen Flug-Verordnung verkraften kann. Zurzeit bewältigt der Flughafen 66 Flugbewegungen pro Stunde, in Zukunft müssten es 90 sein. Keiner der Beteiligten am SIL-Koordinationsgespräch (SIL steht für «Sachplan Infrastruktur der Luftfahrt») will sich vor dem kommenden Mittwoch zur Luftverkehrsprognose äussern.

An einer Pressekonferenz zum SIL- Prozess merkte die Zürcher Volkswirtschaftsdirektorin Rita Fuhrer am Freitag maliziös an, dass die Haltung des Bundes zum Flughafen «nicht so ganz klar sei». Im Bericht des Bundesrats über die Luftfahrtpolitik ist zu lesen: «Der Bundesrat bekennt sich weiterhin zu einer nachfrageorientierten Entwicklung der Landesflughäfen. Im Rahmen von Nachhaltigkeitsüberlegungen sind jedoch Ausnahmen denkbar, in denen von diesem Grundsatz abgewichen werden kann.» Der Bundesrat vermeidet eine klare Aussage darüber, ob er die Voraussetzungen dafür schaffen will, dass der Flughafen Zürich und somit der Wirtschaftsraum Schweiz von einer Zunahme der Flugbewegungen profitieren kann. Ohne den Bau von Parallelpisten erreicht der Flughafen Zürich in absehbarer Zeit die Kapazitätsgrenze. Steht der Bundesrat zu einer Anpassung der Flughafen-Infrastruktur an die voraussichtlich steigende Nachfrage nach Flügen, oder sollen Schweizer Passagiere auf ausländische Flughäfen ausweichen?

Schwerer noch als der Bundesrat tut sich gegenwärtig die Zürcher Regierung mit dem Schweizer Drehkreuz. Regierungsrätin Rita Fuhrer will die Volksinitiative, die eine Plafonierung der An- und Abflüge bei 250 000 Bewegungen verlangt, zur Ablehnung empfehlen. Es scheint ihr aber nicht zu gelingen, die Regierungskollegen davon zu überzeugen. Finanzdirektor Hans Hollenstein, seit vergangenem Frühling im Amt, vertrat im Wahlkampf die Haltung, dass die Zahl der Flugbewegungen bei 320 000 zu begrenzen sei. Dieser Wert wäre schon in fünf Jahren erreicht, wenn die Prognose des Bundes zutrifft. Wie der Bundesrat auf eine Annahme der Flugbegrenzungs-Initiative reagieren würde, ist offen. Der Direktor des Bundesamts für Zivilluftfahrt, Raymond Cron, gibt keine klare Antwort auf die Frage, ob sich der Bund an den Zürcher Volksentscheid gebunden fühlen würde.

Es gibt jedoch auch Zeichen der Hoffnung im flughafenpolitischen Blindflug, auf dem sich die Schweiz seit Jahren befindet. Die Neuverhandlungen mit Deutschland könnten eine Besserung bringen, und in Kantonen wie dem Aargau setzt sich die Einsicht durch, dass der Anti-Zürich-Reflex in Bezug auf den Flughafen kontraproduktiv ist, handelt es sich doch um Infrastruktur von nationaler Bedeutung. (NZZ am Sonntag, 23.10.05)