Studie der Universität Zürich zu Fluglärm um Kloten (TA)

Publiziert von VFSNinfo am
ZÜRICH - Fluglärm kann psychische Belastungen und Krankheiten auslösen. Dies bestätigt eine Stellungnahme von zwei Forschern, die von Gegnern der Südanflüge veröffentlicht wurde.

Der Expertise zufolge bewirkt Fluglärm Stress, der zu einer körperlichen Alarmreaktion führt. Diese äussert sich unter anderem durch Anstieg des Blutdrucks sowie reduzierte Nahrungsaufnahme. Bei kurzfristigem Stress kommt es zu einer Normalisierung im Körper.

Lang anhaltender Stress kann allerdings körperliche Beschwerden verursachen, so zum Beispiel Schlafstörungen, Magen-Darm-Probleme, Gewichtsveränderungen, dauerhaft erhöhter Blutdruck, gravierende Herzkreislauferkrankungen und Störungen des Immunsystems. Eine weitere Wirkung ist das Gefühl von Ohnmacht und Frustration.

Das Papier befasst sich gemäss einem Communiqué mit den gesundheitlichen Auswirkungen der neuen Anflugfverfahren auf den Flughafen Zürich (zusätzliche Ost- und neue Südanflüge infolge der deutschen Luftfahrtverordnung).

Verfasst wurde die Stellungnahme von zwei Forschern der Universität Zürich. Dabei handelt es sich um Ulrike Ehlert, Professorin für Klinische Psychologie und Psychotherapie, und Adriano Fontana, Direktor der Klinik für Immunologie. (TA, 14.10.05)


Im Original:

Fluglärm kann schädigenden Stress auslösen

Von Prof. Dr. Ulrike Ehlert und Prof. Dr. Adriano Fontana, Universität Zürich

Die Auswirkungen von Fluglärm lassen sich anhand einer Vielzahl materieller Variablen objektivieren. Die Quantifizierung der Auswirkungen auf immaterielle Variablen wie die psychische Befindlichkeit, ist schwieriger, da die Definition der Messgrössen aufwendiger ist. Trotzdem besteht heute laut den Autoren dieses Beitrags Einigkeit darüber, dass erlebter Stress einen besonders grossen Einfluss nimmt.

Stress wird von jeder Person anders empfunden. Gemeinsam ist dem Erleben von Stress jedoch, dass sich jede Art von Stress auf Körper und Psyche auswirkt. Stress kann in seinem Ausmass sehr unterschiedlich sein. So wird sich ein Alltagsereignis wie das Verpassen der S-Bahn weniger belastend auswirken als eine chronische Arbeitsüberlastung oder der Verlust des Arbeitsplatzes. Jede Situation in der wir uns befinden, wird von uns nach zwei Merkmalen bewertet: Im ersten Schritt wird geprüft, inwiefern die Situation für uns bedrohlich ist und im zweiten Schritt werden die zur Verfügung stehenden Ressourcen zur Bewältigung der Situation aktualisiert. Eine Situation wird dann als belastend erlebt, wenn eine hohe Unklarheit über deren Ausgang vorliegt und die Situation wenig kontrollierbar ist.

Betrachten wir die Ereignisse rund um die als Folge der deutschen Verordnung eingeführten Südanflüge und vermehrt praktizierten Ostanflüge, so ist das Moment der Unklarheit und Unkontrollierbarkeit in hohem Ausmass gegeben. Dies deshalb, weil sich die Behörden und der Flughafen widersprüchlich äussern, Fehlinformationen kursieren und verschiedene Lösungsansätze (Staatsvertrag, runder Tisch, Mediation) fehlschlugen. Verstärkt wird das Unvermögen der Betroffenen, sich Klarheit zu verschaffen, mitunter durch die einer sachlichen Auseinandersetzung entgegenwirkende enge Verknüpfung der Wirtschaft mit den Behörden, womit die Bedürfnisse der geschädigten Bevölkerung in deren Augen nicht adäquat berücksichtigt werden.

Aktivierung einer «Alarmreaktion»

Die Belastung in den genannten neuen Anflugwegen ist für Zehntausende von Menschen erheblich und betrifft auch Kleinkinder und Schulkinder, sowie ältere und kranke Menschen. In der Südanflugschneise ergeben sich für die Bewohner vierzehn Überflüge zwischen 6 und 7 Uhr beziehungsweise an Wochenenden und an baden-württembergischen Feiertagen über sechzig Überflüge zwischen 6 und 9 Uhr; in der Ostanflugschneise sowie bei Bise in der Südanflugschneise tritt diese zusätzliche Belastung in den Nachtstunden ab 21 Uhr auf, über das Wochenende bereits ab 20 Uhr.

Die unmittelbaren Konsequenzen von erlebtem Stress äussern sich auf der körperlichen Ebene in Form von physischer Aktivierung, der so genannten Alarmreaktion. Diese äussert sich unter anderem durch Anstieg des Blutdrucks und reduzierte Nahrungsaufnahme. Nach der Bewältigung eines kurzfristigen Stressors kehrt der Körper in seinen Ausgangszustand zurück. Dieser Vorgang wird auch als homöostatisches Prinzip bezeichnet. Lang anhaltender Stress kann jedoch zu  körperlichen Beschwerden wie Schlafstörungen, Gewichts-Veränderungen, Magen-Darm-Problemen, dauerhaft erhöhtem Blutdruck gravierenden Herz-Kreislauferkrankungen und Störungen des Immunsystems führen. Lang anhaltender Stress führt  zu einer psychobiologischen Überbelastung und der Körper versucht diesen abnormen Zustand zu kompensieren.

Amerikanische Psychologen konnten bereits vor 50 Jahren in Tierexperimenten nachweisen, dass Tiere, die in einem Käfig Elektroschocks ausgesetzt wurden und den Käfig nicht verlassen konnten, in späteren Situationen, in denen sie einem Elektroschock durch Verlassen des Käfigs hätten entweichen können, dies nicht tun, sondern hilflos in dem Käfig verbleiben und die Elektroschocks über sich ergehen lassen. Vergleichbare Befunde zeigten sich im Humanbereich. Dieser Vorgang wird als «erlernte Hilflosigkeit» bezeichnet und gilt heute als eine wissenschaftlich gut belegte Erklärung für depressive Denkmuster und depressives Verhalten.

Gefühl der Ohnmacht

Die Bewohner der Südgemeinden des Flughafen Zürich-Kloten gingen vor der Einführung der Südanflüge davon aus, dass sie in einer Region leben, in der sie der Belastung durch Fluglärm nicht ausgesetzt sind. Ihre Lebensqualität wurde durch die bewusste Entscheidung, in einer ruhigeren Lage zu wohnen, positiv beeinflusst. Diese Entscheidung ging bei einem Teil der Bewohner mit einem höheren finanziellen Engagement für ihre Wohnverhältnisse einher. Je nach dem wie gross nun der Stellenwert des ruhigen Wohnens und die subjektive Belastung durch das finanzielle Engagement bei den jeweiligen Anwohnern sind, kann eine Situation im Sinne der erlernten Hilflosigkeit entstehen. Dies trifft insbesondere in zwei Fällen zu:

  • Wenn der ungestörten Wohnsituation ein hoher Stellenwert bei der Erholung zugeschrieben wird und diese primär im häuslichen Umfeld erfolgt.
  •  Wenn die finanzielle Belastung aufgrund der gewählten Wohnumgebung so hoch ist, dass die jeweilige Liegenschaft aufgrund der fallenden Immobilienpreise in Folge des Fluglärms nur mit Verlust veräussert werden könnte und damit ein deutlicher materieller Schaden entstehen würde.

Erlernte Hilflosigkeit ergibt sich jedoch nicht nur für Immobilienbesitzer, sondern auch für die grosse Zahl von unterprivilegierten Mietern, die sich aufgrund günstiger Mietkonditionen zwangsläufig entscheiden mussten, in geringerer Distanz zum Flughafen zu leben und durch das geänderte Flugregime nun neben einem hohen Geräuschpegel aufgrund des Strassenverkehrs zusätzlich starken Fluglärm tolerieren müssen. Ein geeignetes kostengünstiges Mietobjekt zu finden, ist für unterprivilegierte Familien mit Kindern, die in Zürich Nord stark vertreten sind, sehr schwierig. Das Gefühl der Ohnmacht ergibt sich nicht nur aus finanziellen Überlegungen, sondern für all jene Bewohner in der Südschneise und im Ostanflug, welche durch die Einführung der Süd- und zusätzlichen Ostanflüge die Grundwerte des Staates verletzt sehen. Der Verlust dieser Werte, verbunden mit finanzieller Vermögenseinbusse durch Fluglärm oder unausweichbaren Mietkonditionen, potenzieren das Ausmass der durch die erlernte Hilflosigkeit bewirkten Frustration.

Prof. Dr. rer. nat. Ulrike Ehlert
Professorin für Klinische Psychologie und Psychotherapie an der Universität Zürich.

Prof. Adriano Fontana
Klinikdirektor, Klinik für Immunologie, Universitätsspital Zürich

 

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