«Es wäre unfair, Herrn Hollenstein zu bearbeiten» (NZZ)

Publiziert von VFSNinfo am

Volkswirtschaftsdirektorin Rita Fuhrer über ihre Flughafenpolitik

Rita Fuhrer bemüht sich im Regierungsrat um eine Mehrheit gegen die Plafonierungsinitiative. Bis Januar darf mit einem Antrag gerechnet werden. Sie will eng mit Baden- Württemberg zusammenarbeiten, weit über den Flughafen hinaus. Sie bestätigt, dass die Zürcher Regierung den Ostanflug verstärken und Pistenverlängerungen prüfen will, und strebt weiterhin den Verzicht auf den Südanflug und eine Lärmverteilung an.

Frau Fuhrer, Sie haben mit einer Studie die Kosten der deutschen Überflugverbote (DVO) berechnen lassen, was nützt eine solche Studie?

Rita Fuhrer: Solche Studien dienen als Grundlage für Entscheidungen. Diese Studie soll vor allem aufzeigen, welche Nachteile dem Flughafen und damit der Zürcher und der Schweizer Volkswirtschaft aus diesen Einschränkungen entstehen und ob sie kompensierbar sind.

Aber politisch kann man mit einer solchen Studie nichts bewirken?

Es geht ja auch nicht nur darum, politisch etwas zu bewirken. Wir haben ja auch noch die hängigen Verfahren vor deutschen Gerichten. Als Behörde hat der Regierungsrat in der Luftfahrt beschränkte Handlungsmöglichkeiten, deshalb unterstützen wir den Bund ganz stark und intensiv bei seinen Bemühungen, die DVO mindestens zu relativieren, vielleicht auch wegzubekommen, und wollen ihm helfen, politisch handeln zu können. Wir sind eine Art Scharnier.

Hoffen Sie, mit der Studie das Verfahren am Europäischen Gerichtshof beeinflussen zu können?

Diese Prozesse laufen ja schon, und es wurde bereits gesagt, dass die DVO die Schweizer Wettbewerbsfähigkeit negativ beeinflusst. Diese Studie soll aber zusätzlich unterstützend wirken.

Ist es für eine Einigung nicht kontraproduktiv, mit dem Finger auf die deutsche Seite zu zeigen und zu sagen: Ihr seid schuld an unseren Problemen?

Wenn ich davor Angst hätte, dann dürfte ich gar nichts mehr sagen, und wenn wir gar nichts mehr sagen, kommen wir auch nicht zu Lösungen. Wir wollen zeigen, dass die Probleme nicht nur emotionale Empfindungen sind, sondern sachliche Argumente. Es geht nicht um Vorwürfe, wir machen lediglich eine Auslegeordnung.

Glauben Sie, dass der Regierungswechsel irgendetwas an der gegenwärtigen deutschen Politik ändern wird?

Ich habe gehofft, dass eine klare CDU/CSU- Mehrheit entsteht. Das hätte dazu geführt, dass die deutsche Politik nicht länger in einer derart labilen Abhängigkeit von den Bundesländern stünde, die ein starkes Gewicht haben. Trotzdem bin ich der Meinung, dass man mit dem baden- württembergischen Ministerpräsidenten Oettinger die Probleme sehr sachlich diskutieren kann.

Sie haben also mit Herrn Oettinger über die Thematik Flughafen gesprochen?

Ich sage nicht, worüber ich mit wem in Deutschland gesprochen habe. Es finden viele Gespräche statt, und es ist klar, dass man über vieles sehr viel besser sprechen kann als über das Problem Flughafen.

Aber haben Sie jetzt mit Herrn Oettinger gesprochen oder nicht?

Ich habe natürlich mit ihm gesprochen, aber wir sagen nicht, worüber, und nicht, in welchem Zusammenhang. Man sieht sich, ich bin oft in Deutschland. Wir haben eine Reihe von Gesprächen geführt, welche die Grundlage bilden für eine gute Beziehung. Dereinst können wir dann vielleicht konkret über den Flughafen sprechen.

«Kein Kuhhandel S-Bahn gegen Fluglärm»

Was tun Sie konkret, um neben diesen Gesprächen das Verhältnis zu Deutschland zu verbessern?

Wir müssen von der Idee loskommen, dass wir alle unsere gemeinsamen Probleme in einzelnen Tranchen besprechen und lösen. Wir müssen vielmehr das Ganze sehen. Zwischen Süddeutschland und unserer Region besteht ein sehr starker Pendelverkehr. Dieser ist nicht einseitig, der süddeutsche Raum hat durchaus ein starkes Interesse, mit uns zusammenzuarbeiten.

Was hat denn der Kanton Zürich zu bieten?

Der Kanton Zürich hat ein grosses Potenzial an Arbeitsplätzen. Wir bilden gemeinsam mit rund elf anderen Kantonen sowie mit Teilen Süddeutschlands einen grossen Wirtschaftsraum. Der Ausbau der Verkehrsinfrastruktur beispielsweise liegt sicherlich auch im Interesse der süddeutschen Regionen. Wie auch Herr Oettinger gesagt hat, müssen wir immer das Ganze sehen. Da braucht es institutionalisierte Zusammenarbeit.

Es gibt aber noch keine konkreten Projekte?

Es gibt keinen Kuhhandel im Sinne von S-Bahn-Anschluss gegen Fluglärm. Verhandlungen sind ganz klar Bundessache. Wir können nur den Boden dafür vorbereiten.

Gegen Plafonierungs-Gegenvorschlag

Zur Plafonierung: Bis Januar 2006 muss der Regierungsrat Bericht und Antrag an den Kantonsrat präsentieren, sind Sie sich schon einig?

Nein, aber natürlich ist auch noch gar nicht versucht worden, eine Einigung herzustellen. Im Moment suche ich die politische Gewichtung im Regierungsrat noch gar nicht, sondern versuche, den Wissensstand bei meinen Regierungskollegen laufend aufzudatieren und auszubauen, so dass diese dann in der Lage sind, darüber eine politische Diskussion zu führen. Diese wird rechtzeitig geführt. Sie können im Januar mit einem Antrag rechnen.

Sie haben noch keine Einigung gesucht, hat das auch mit der neuen Zusammensetzung des Regierungsrats mit Hollenstein statt Huber zu tun?

Die Unterschiede zwischen den beiden werde ich noch ausloten müssen. Ich habe in der neuen Zusammensetzung noch keinen Entscheid provoziert, ganz bewusst nicht. Die Sicht eines Behördenmitglieds der Stadt Winterthur ist anders als diejenige eines Regierungsrats. Der Regierungsrat muss bei seinen Entscheidungen das Gesamtinteresse des Kantons berücksichtigen. Das erfordert einen anderen Wissensstand. Ich bin daran interessiert, die ganze Geschichte der Flughafenpolitik des Kantons Zürich so aufzubereiten, dass sie für ein neues Mitglied nachvollziehbar ist.

Das heisst, Sie bearbeiten Herrn Hollenstein, dass er von seiner Plafonierungsidee abkommt?

Nein, das wäre unfair, ihn zu bearbeiten, ich informiere ihn. Ich versuche, die Regierung so zu informieren, dass jedes Mitglied für sich in der Lage ist, selbständig eine Beurteilung abzugeben.

Linke und Grüne favorisieren mehrheitlich eine Plafonierung. Zusammen mit Herrn Hollenstein könnte das eine Mehrheit im Regierungsrat geben. Haben Sie Angst davor?

Nein, es ist sicher nicht Angst, und so einfach lassen sich die Mehrheiten im Regierungsrat auch nicht berechnen, weil wir noch ganz andere Dinge in unserer Verantwortung haben als die Schwerpunkte der jeweiligen Parteiprogramme.

Die Initiative fordert einen Plafond bei 250 000 Flugbewegungen. Ist ein Gegenvorschlag, beispielsweise bei 320 000, denkbar?

Ich habe immer gesagt, dass ich gegen einen Plafond bei einer bestimmten Bewegungszahl bin. Man ist natürlich in unserer politischen Kultur geneigt, einen Kompromiss zwischen den Extrempositionen zu finden. Der Kompromiss ist aber nicht zwischen verschiedenen Zahlen zu suchen, sondern im Anliegen der Initiative: möglichst viel Ruhe und eine möglichst geringe Belastung zu erreichen. Ich suche nach einem Instrument, das hilft, dieses Ziel für möglichst viele Bewohner des Kantons zu erreichen.

Übernahme des Lärmfonds: Abklärungen

Ist dieses Instrument immer noch die Forcierung des Ostanflugs bei gleichzeitiger Aufhebung des Südanflugs?

Die Regierung hat in ihrem Beschluss vom vergangenen Herbst gesagt, dass sie die Belastungen konzentrieren und möglichst wenig Leute mit Lärm belasten will. Das vermehrte Benutzen der Piste 10/28 ist ein möglicher Weg zu diesem Ziel. Eine Anflugvariante über den Süden würde dem Beschluss des Regierungsrats widersprechen. Die Verteilung mit einem Rotationsmodell steht auch nicht mehr zur Diskussion.

Die Pistenverlängerungen im Westen und Norden bleiben ebenfalls Teil dieser Politik?

Ja, wir wollen, dass diese geprüft werden. Noch viel wichtiger ist aber, dass der SIL-Prozess diese Variante prüft. Wir wollen prüfen lassen, ob die Verlängerung überhaupt eine Option wäre.

Die Verlängerung im Westen scheint sehr konkret geplant zu sein. Es gibt ja bereits Bauverbote.

Wenn man diese Option prüft, wäre es doch unehrlich, wenn man gleichzeitig Baubewilligungen erteilen würde, die genau diese Option verbauen. Das ist auch gegenüber den betroffenen Gemeinden kommuniziert worden. Ich verstehe aber, wenn diese damit Mühe haben. Ich möchte aber betonen, dass in jedem Fall letztlich die Bevölkerung des Kantons Zürich in einer Abstimmung über eine allfällige Verlängerung zu beschliessen hätte.

Der Flughafen möchte den Lärmfonds gerne an eine staatliche Trägerschaft auslagern. Der Bund hat bereits abgesagt. Ist die Übernahme durch den Kanton eine Option?

Ich kann Ihnen diese Frage nicht beantworten, weil die Abklärungen dazu noch nicht abgeschlossen sind. Es ist jedoch wichtig, zu verstehen, dass der Lärmfonds über Gebühren und nicht direkt aus der Betriebskasse des Flughafens gespeist wird. Es geht bei dieser Frage also nicht um frankenmässige Entlastungen des Flughafens, sondern um klare Verantwortlichkeiten. Und für die über 80 Prozent der Lärmforderungen, die vor der Privatisierung des Flughafens eingereicht wurden, haftet der Kanton ohnehin subsidiär.

Was ist der gegenwärtige Stand beim gekröpften Nordanflug?

Die Sichtflug-Variante liegt seit Anfang Jahr beim BAZL, dieses macht noch Sicherheitsabklärungen, und ich erwarte, dass in diesem Jahr noch etwas kommuniziert werden kann, ich bin nicht sicher, ob es schon die Bewilligung sein wird.

Glauben Sie, dass auch der Kanton Aargau dereinst dem neuen Verfahren zustimmen wird?

Es ist mir sehr bewusst, dass der Kanton Aargau dem gekröpften Nordanflug sehr skeptisch gegenübersteht. Ich erlebe den Aargau aber auch als sehr innovativ, wirtschaftsorientiert und reformwillig. Deshalb kann ich mir vorstellen, dass man zugunsten der volkswirtschaftlichen Entwicklung letztlich einwilligen wird, es geht schliesslich darum, ob wir den Flughafen weiter betreiben können oder nicht.

Ständerätin? «Enorm viel Lust auf Politik»

Hans Hofmann beendet 2007 seine Karriere als Ständerat. Werden Sie kandidieren für das Amt?

Diese Frage steht derzeit nicht zur Diskussion.

Sie könnten sich so elegant von den Flughafenproblemen verabschieden.

Ich bin noch nie einem Problem aus dem Weg gegangen und habe enorm viel Lust, Politik zu machen. Ich habe absolut nicht im Sinn, mich daraus zurückzuziehen. Wir haben viele Probleme auf kantonaler und nationaler Ebene, also ist meine Partei gefordert, hier Gespräche zu führen und einen Nachfolger für Hofmann zu suchen.

Interview: ark. (NZZ, 10.10.05)

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