Doris Leuthard: «Wir müssen zu unseren Landesflughäfen Sorge tragen» (NZZ)

Publiziert von VFSNinfo am
Nicht nur auf den Strassen und Schienen wächst die Mobilität, auch in der Luft. Weil Schweizer Flughäfen an ihre Kapazitätsgrenzen gelangen, müsse die Schweiz handeln, schreibt Bundesrätin Doris Leuthard in ihrem Gastkommentar. Die Kompetenzen des Bundes seien allerdings sehr beschränkt.

Als 1910 in Dübendorf erste militärische Flugschauen durchgeführt wurden, ahnte kaum jemand, welch grosse Bedeutung die Aviatik für die breite Bevölkerung erlangen sollte. Mit dem Aufkommen des Passagierverkehrs änderte sich dies aber rasant – und so buhlten neben Kloten auch Langenthal, Cham und Utzenstorf um den Zuschlag als Landesflughafen. Der Bund setzte letztlich auf Kloten, weil sich das Flugfeld des Waffenplatzes bereits in seinem Besitz befand. Genf packte die Chance selbst und baute den Flughafen ohne Unterstützung des Bundes aus.

Mobilität wächst auch in der Luft

Dank diesem Pioniergeist sind wir heute gut vernetzt: Die Schweizer Luftfahrt verbindet uns mit über 280 Destinationen in aller Welt. Sie transportiert immer mehr Personen und Güter: Die Anzahl Passagiere, die unsere Landesflughäfen nutzen, stieg in den letzten zehn Jahren um über 60 Prozent. Bei den Gütern werden gemessen am Warenwert heute über 40 Prozent der Schweizer Exporte per Luftfracht befördert. Rund 140 000 Arbeitsplätze und eine Wertschöpfung von 24,5 Milliarden Franken hängen mit ihr zusammen. Das wird oft verkannt. Die Luftfahrt ist für unsere ganze Volkswirtschaft zentral: Für die Schweiz als Exportland ebenso wie für die Schweiz als Standort grosser globaler Unternehmen und internationaler Organisationen sowie als Ferienland. Die gute Anbindung trägt dazu bei, dass die Schweiz in internationalen Rankings regelmässig Spitzenplätze belegt.

Wir müssen der Luftfahrt darum ebenso Beachtung schenken wie unserem Schienen- und Strassennetz, zumal die Mobilität auch in der Luftfahrt weiterwachsen wird. Gemäss den Prognosen des Bundes ist bei den Passagierzahlen sowohl in Zürich als auch in Genf und Basel bis 2030 mit einem Anstieg um jährlich 3 Prozent und mehr zu rechnen.

Mit der heutigen Infrastruktur ist das nicht zu bewältigen, wie ein Blick auf die Landesflughäfen zeigt: Der Linien- und Charterverkehr wird bei uns seit bald vierzig Jahren auf unveränderten Pisten abgewickelt. Dies führt dazu, dass sowohl der Flughafen Zürich als auch der Flughafen Genf in Spitzenzeiten an Kapazitätsgrenzen stösst. Entsprechend komplex ist der Betrieb, und entsprechend schwierig ist es, Verspätungen zu vermeiden. Diese sind für die Bevölkerung abends ein Ärgernis und für die betroffenen Passagiere problematisch.

Infrastruktur besser nutzen

Wie bei Strasse und Schiene gilt es daher, auch unsere Landesflughäfen weiterzuentwickeln. Die Kapazitätsengpässe mit dem Bau von Parallelpisten zu beseitigen, ist heute weder in Zürich noch in Genf möglich. Es gilt daher, die vorhandene Infrastruktur und den technischen Fortschritt besser zu nutzen. In Zürich konnten im Rahmen des Sachplans Infrastruktur der Luftfahrt bereits einige Verbesserungen aufgegleist werden, zum Beispiel neue Abflugrouten Richtung Westen.

Bis die Massnahmen zum Tragen kommen, können aber noch Jahre vergehen, da viele davon vor Gericht angefochten werden. Eine wichtige Massnahme ist daher das neue Bisenkonzept mit Starts Richtung Süden geradeaus, weil es mithilft, Verspätungen zu vermeiden. Es sollte möglichst rasch umgesetzt und auch während einer Testphase in der Sommerzeit zur Abfederung saisonaler Spitzen geprüft werden. Kapazitätssteigernde Massnahmen wie Südstarts über die Mittagsspitze werden dagegen bis heute vom Standortkanton und von der betroffenen Bevölkerung abgelehnt.

Der Bund hat ergänzend die Grundlagen geschaffen, um den Militärflugplatz Dübendorf künftig als ziviles Flugfeld zu nutzen und die grösste verbleibende Landreserve des Bundes für kommende Generationen zu erhalten. Die Auslagerung eines Teils der Geschäftsfliegerei nach Dübendorf stärkt den für den Standort Zürich volkswirtschaftlich wichtigen Luftfahrtbereich. In Genf werden die raumplanerischen Voraussetzungen geschaffen, um eine massvolle Entwicklung des Flughafens für die nächsten Jahrzehnte zu sichern.

Der Bund ist zudem daran, die Schweizer Luftraum- und Aviatikinfrastruktur grundlegend neu zu gestalten (Projekt Avistrat-CH). Dies dient dazu, die komplexen Strukturen zu vereinfachen sowie Sicherheit und Effizienz zu verbessern, wovon auch die Landesflughäfen profitieren. Im Rahmen des Single European Sky und des Fabec gilt es zudem, die heute stark auf nationale Interessen ausgerichtete europäische Flugsicherung effizienter und koordinierter auszugestalten. Die Schweiz bringt sich seit Jahren mit Rat und Tat ein.

«Luftanbindung 2050»

All dies zeigt: Wir können die Schweizer Luftfahrt stärken. Es braucht dafür aber das Zusammenspiel aller involvierten Akteure. Gemäss Bundesverfassung ist die Luftfahrt Sache des Bundes. Das Bazl als Bewilligungs- und Aufsichtsbehörde des Bundes kann heute aber nur indirekt Einfluss nehmen. Wohl gibt der Sachplan Infrastruktur der Luftfahrt den Rahmen und verbindliche Entwicklungsziele vor. Letztlich entscheiden aber die Flughäfen und die Standortkantone über wichtige Schritte. Der Bund ist weder Besitzer noch Operateur der Landesflughäfen. Sein Einfluss ist bei den Landesflughäfen somit heute deutlich geringer als bei den Nationalstrassen oder national wichtigen Bahnprojekten.

Um dies zu ändern, müsste man seine Kompetenzen erweitern. Als der Bund diese Debatte im Rahmen des luftfahrtpolitischen Berichts 2016 vorsichtig anschob, regte sich indes sofort Widerstand. Umso mehr ist es angezeigt, die nötigen Verbesserungen zur Linderung der Kapazitätsengpässe und zum Abbau der Verspätungen gemeinsam voranzutreiben. Ich habe meine Fachleute beauftragt, in einem neuen Bericht («Luftanbindung 2050»), der auch Prognosen zur Entwicklung der Luftfahrt sowie technologische, gesellschaftliche und klimapolitische Aspekte einbeziehen muss, konkrete Umsetzungsvorschläge vorzulegen.

Wir müssen zu unseren Landesflughäfen Sorge tragen, gute Rahmenbedingungen erhalten und sie mit Mass weiterentwickeln. Wie bei Schiene und Strasse müssen wir auch in der Luft Schritt halten mit den Mobilitätsbedürfnissen der Gesellschaft und der Wirtschaft. Davon hängt unser Wohlstand ab.



Bundesrätin Doris Leuthard ist Vorsteherin des Eidgenössischen Departements für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK).

NZZ, 14.12.2018