Nächtliche Fliegerei in Zürich ohne Not? (TA)

Publiziert von VFSNinfo am
Kloten lässt Maschinen nach Notfall-Landungen mitten in der Nacht wieder starten. Anderswo käme man damit nicht durch.

Der Zürcher Flughafen bricht das Nachtflugverbot sorgloser als andere: Dieser Vorwurf steht im Raum, nachdem Ende letzter Woche eine türkische Maschine mitten in der Nacht einen unplanmässigen Zwischenstopp in Kloten gemacht hat.

Zwar bestreiten nicht mal hartgesottene Fluglärmgegner, dass das Grossraumflugzeug des Typs A330 zu Recht eine Landebewilligung erhielt. An Bord war es zu einem nicht näher bestimmten medizinischen Notfall gekommen – und wo Menschenleben auf dem Spiel stehen, hört der Widerstand auf. Weniger Verständnis haben sie aber für den Entscheid, die Maschine von Turkish Airlines in derselben Nacht ohne Not wieder starten zu lassen.

Dass man auch anders entscheiden könnte, zeigt der Vergleich mit Frankfurt, wo es wie in Zürich ein Nachtflugverbot gibt – anders als an den meisten europäischen Grossflughäfen. Der Blick in die Frankfurter Statistik zeigt: In den vergangenen 12 Monaten sind dort vier Flugzeuge wegen medizinischer Notfälle gelandet, aber kein einziges hob während der Nacht wieder ab.

In Frankfurt ist man strikt

In den dort geltenden Bestimmungen heisst es, Ausnahmen vom Startverbot gebe es nur bei besonderem öffentlichen Interesse, bei Evakuierungen, Katastropheneinsätzen oder medizinischen Hilfeleistungen. Das heisst: Wenn ein Flugzeug unbedingt wieder abheben muss, zum Beispiel für einen lebensrettenden Organtransport, dann wird das erlaubt. In allen anderen Fällen aber heisst es: warten bis zum Morgen.

Mit diesem Regime Bekanntschaft gemacht haben vor zwei Jahren auch die Passagiere einer Easyjet-Maschine nach Basel, die ihren Flug wegen eines medizinischen Notfalls in Frankfurt unterbrechen musste. Der Pilot bemühte sich danach vergeblich um eine Ausnahmebewilligung für den Weiterflug, die Passagiere mussten die Nacht im Hotel verbringen.

Für Passagiere «unzumutbar»

Am Zürcher Flughafen hätte man in dieser Situation anders gehandelt. Gemäss Betriebsreglement darf die Flughafen AG «bei unvorhersehbaren ausserordentlichen Ereignissen» auch während der Nacht ausnahmsweise Starts bewilligen – und nach Landungen wegen medizinischer Notfälle tut sie das konsequent. Es sei «gängige Praxis», Flugzeuge in einem solchen Ausnahmefall trotz Nachtflugverbot wieder abheben zu lassen, sagt Flughafensprecher Philipp Bircher.

Nachdem am vergangenen Freitag gegen drei Uhr morgens die türkische Maschine in Zürich-Kloten gelandet war, sprachen laut Bircher mehrere Gründe dagegen, dieser den Weiterflug zu verweigern: Zunächst einmal stehe in der Nacht kein Personal bereit, das die Passagiere zum Terminal hätte fahren und dort in Empfang nehmen können. Deshalb hätten die Reisenden fast dreieinhalb Stunden im stehenden Flugzeug ausharren müssen statt nur zwei, was «nicht zumutbar» gewesen wäre. Überdies hätte sich der Arbeitstag der Flugzeugcrew, die seit dem Abflug in New York im Einsatz war, dadurch so lange verzögert, dass man sie aus Sicherheitsgründen wohl hätte auswechseln müssen – oder der Flug wäre ganz ausgefallen.

Was ist ein Härtefall?

Anders als in Zürich spielen solche Überlegungen in Frankfurt keine Rolle. Dort heisst es explizit, es sei kein Härtefall, wenn die Planung der Fluggesellschaft durch das Nachtflugverbot erschwert werde oder man deswegen Passagiere unterbringen müsse.

Der Zürcher Flughafen verweist darauf, dass nächtliche Starts nach medizinischen Notfällen absolute Ausnahmefälle seien. Tatsächlich gab es laut offiziellen Lärmbulletins in den letzten zwölf Monaten nur deren zwei. Für die Lärmgegner fallen sie gleichwohl ins Gewicht, handelt es sich doch um ein Fünftel jener insgesamt zehn Linien- und Charterflugzeuge, die nach Mitternacht noch abheben durften.

Der Bürgerprotest Fluglärm Ost interpretiert den Fall der Turkish Airlines so: «Anderswo zählen die Anwohner noch etwas, die Nachtruhe wird penibel eingehalten. In der Flughafenregion Kloten kann die lärmbetroffene Bevölkerung folgenlos übergangen werden.»

Tages-Anzeiger, 05.09.2017