«Bei der Lufthansa gibt es zu viele Doppelspurigkeiten» (TA)

Publiziert von VFSNinfo am
Die Lufthansa verfehlt ihre Gewinnziele. Die Aktie stürzt ab, Flüge werden gestrichen. Was bedeutet das für die Lufthansa-Tochter Swiss? Aviatikexperte Christoph Brützel über die Folgen der Gewinnwarnung.

Herr Brützel, die Lufthansa hat heute eine Gewinnwarnung herausgegeben – unter anderem wegen einer «überraschend schwachen Umsatzentwicklung im Passagier- und Frachtgeschäft». Hat man das nicht kommen sehen?
Für mich ist es keine Überraschung, dass der operative Gewinn für das laufende Jahr nach unten korrigiert wurde. Im konzernweiten Flugangebot gibt es zu viele Doppelspurigkeiten: Allzu oft werden Lokalinteressen der einzelnen Lufthansa-Töchter berücksichtigt, anstatt dass das konzernweite Angebot optimiert würde. Die Fluggesellschaften verstehen sich mehr als Konkurrenten denn als Teil eines integrierten europäischen Konzerns. Die einzelnen Gesellschaften buhlen gegeneinander um die gleichen Kunden statt miteinander.

Was heisst das konkret?
Wenn zum Beispiel ab Zürich und München je ein Langstreckenflug nach Miami angeboten wird und beide Flugzeuge nur halb voll sind, legt man die Flüge besser zusammen und fliegt noch ab einem der zwei Flughäfen. Je nach Bedarf kann auch eine grössere Maschine eingesetzt werden.

Der operative Gewinn des Lufthansa-Konzerns soll 2014 nur 1 Milliarde Euro erreichen anstatt der angepeilten 1,3 bis 1,5 Milliarden. Wie kann man sich derart verschätzen?
Zum einen scheinen die Golfstaaten-Airlines viel stärker Marktanteile zu gewinnen als erhofft. Zum anderen machen Billigairlines der Lufthansa und ihren Töchtern das Leben auf der Kurz- und Mittelstrecke schwer. Aber man kann den einzelnen Gesellschaften des Lufthansa-Konzerns dennoch nicht vorwerfen, sie hätten unbedacht geplant. Es geht wohl eher darum, dass sie bei besserer Abstimmung insgesamt ein wettbewerbsfähigeres Angebot hätten aufbieten können.

Lufthansa kündigte an, ihr Angebot im Winterflugplan «spürbar zu reduzieren». Was bedeutet das für die Lufthansa-Tochter Swiss?
Wenn man im Konzern Synergievorteile anstrebt, indem man Angebote konzentriert, geht dies nicht zu einseitigen Lasten etwa der Swiss. Jede Gesellschaft im Konzern hat ihre Stärken als Marke und als Produzent von Flugleistungen. Diese gilt es optimal auszuschöpfen. Swiss und auch Brussels Airlines haben zum Beispiel traditionell starke Marktpositionen und Präsenz in weiten Teilen Afrikas. Ich sehe jedenfalls keine einseitige Gefährdung für die Swiss, die in den vergangenen Jahren auf der Kostenseite ihre Hausaufgaben gemacht hat.

Der Lufthansa-Konzern kann auch das Gewinnziel beim Sparprogramm Score bis Ende 2015 nicht halten. Inwiefern ist die Swiss davon betroffen?
Die Lufthansa befindet sich schon seit Jahren permanent in Sparprogrammen mit irgendwelchen neudeutschen Namen, das ist nichts Neues. Die Effizienz im gesamten Konzern ist somit Grundprogramm. Daher gilt es auch für die Swiss, weiterhin haushälterisch mit dem Geld umzugehen.

Wie prekär ist nun die Situation der Lufthansa nach der heutigen Bekanntgabe?
Die Lage des Lufthansa-Konzerns ist nicht erst seit der heutigen Bekanntgabe prekär, und sie ist dadurch auch nicht prekärer geworden. Der neue Vorsitzende hat für den Juli einige grundlegende Ansagen zu den Visionen und Strategien des Konzerns unter seiner Leitung gemacht. Dies ist eine grosse Chance, den Lufthansa-Konzern zu einem schlagkräftigen und effizienten europäischen Airline-Konzern umzubauen und alle Gesellschaften daran teilhaben zu lassen.

Im April fand der grösste Pilotenstreik in der Geschichte der Lufthansa statt. Er kostete den Konzern 60 Millionen Euro. Auch bei der Swiss brodelt es zwischen Management und Gewerkschaften. Ist die Gewinnwarnung ein Druckmittel gegen die Gewerkschaften?
Wenn es denn so wäre, dann wäre es ein weiterer trauriger Beleg für die Kultur im Umgang zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Leider sind es nicht nur die amtlichen Interessenvertreter der Arbeitnehmer, denen der Blick für das Gesamte zuweilen verloren geht. Es gibt auch viele gegenteilige Beispiele. Vielmehr dürfen sich auch die Arbeitgeber nicht wundern, wenn sie mit Aussagen wie «Zitrone ausquetschen» (CEO Carsten Spohr Ende April, Anm. d. Red.) auf wenig Verständnis oder gar Motivation bei ihren Angestellten treffen. (Tagesanzeiger.ch/Newsnet)

Tages-Anzeiger, 11.06.2014