Süden wehrt sich gegen neue Starts (NZZ)

Publiziert von VFSNinfo am
Südstarts bei Nebel und Bise sind neu möglich: Dies hat der Bundesrat am Mittwoch entschieden. Die Stadt Zürich und Organisationen aus dem Süden sind empört. Vertagt ist der Entscheid zum Pistenausbau.

Andreas Schürer

Wie bereits im Vorfeld der Bundesratssitzung durchgesickert ist, sind die Südstarts geradeaus ab der Piste 16 bei Nebel und Bise am Flughafen Zürich neu grundsätzlich zulässig. Der sogenannte «Straight out 16» ist mit den erwähnten Auflagen Teil des ersten Objektblatts des Sachplans Infrastruktur der Luftfahrt (SIL), das der Bundesrat am Mittwoch verabschiedet hat. Zu rechnen wäre im Falle einer Umsetzung mit rund 1000 Starts pro Jahr über den Süden.

Noch nicht entschieden hat der Bundesrat über eine weiterführende Nutzung der Südstarts über Teile der Stadt Zürich, des Zürcher Oberlandes und der Zürichseeregion. In einer im Februar veröffentlichten Sicherheitsüberprüfung haben Experten den «Straight out 16» in Kombination mit Nordanflügen als mögliche Massnahme genannt, um den komplizierten Betrieb am Flughafen Zürich zu vereinfachen. Das Bundesamt für Zivilluftfahrt (Bazl) verweist darauf, dass es dem Flughafen und der Flugsicherung Skyguide den Auftrag erteilt habe, eine solche Option zu prüfen. Nur wenn sich dieses Verfahren als wirksames und verhältnismässiges Mittel zur Erhöhung der Sicherheit erweise, komme eine Aufnahme in das zweite Objektblatt infrage. Dieses soll erst festgelegt werden, wenn sich im Fluglärmstreit mit Deutschland eine Lösung abzeichnet; derzeit ist die Ratifikation des Staatsvertrags in Berlin blockiert.

Harsche Kritik aus dem Süden

Im Kanton Zürich sorgt bereits die «Light-Variante» mit Südstarts geradeaus bei Nebel und Bise für Wirbel. Die Stadt Zürich spricht sich «vehement und entschieden» gegen diese Option aus, wie sie mitteilte. Dieses Startverfahren betreffe in den nördlichen Stadtquartieren dichtestbesiedelte Gebiete, die schon heute hohe Fluglärmlasten trügen. Positiv würdigt die Stadt Zürich den Entscheid des Flughafens, vorläufig keinen Gebrauch von der neuen Option zu machen (siehe Artikel unten). Sollte doch ein konkreter Antrag des Flughafens folgen, werde vom Kanton erwartet, dass er von seinem Vetorecht Gebrauch mache.

Das Fluglärmforum Süd, die Plattform der Gemeinden im Süden des Flughafens, bezeichnet den Entscheid des Bundesrats als inakzeptabel. Für Präsident Richard Hirt verheisst die grundsätzliche Öffnung des neuen Startverfahrens nichts Gutes, auch wenn derzeit noch Auflagen gälten. Die Gefahr sei gross, dass der «Straight out 16» vermehrt genutzt werde – offiziell aus Sicherheitsgründen, inoffiziell um die Kapazität zu erhöhen. Diese Befürchtung teilt der Verein Flugschneise Süd – Nein (VFSN), der eine geharnischte Mitteilung verschickte. Einmal mehr werde die Bevölkerung rund um den Flughafen betrogen.

Einen anderen Akzent setzt die Vereinigung Bürgerprotest Fluglärm Ost (BFO). Es sei falsch, dass Bundesrätin Doris Leuthard den Südstart geradeaus nicht stärker forciere, obwohl mit diesem Verfahren diverse Risiken im Flugbetrieb eliminiert oder zumindest reduziert werden könnten. Die Losung, die das BFO der Verkehrsministerin Leuthard mit auf den Weg gibt, ist simpel: «Straight forward».

Neben dem Südstart geradeaus bei Nebel und Bise sichert der Bundesrat mit dem ersten Teil des SIL weitgehend den heutigen Betrieb, die im Entwurf als E DVO bezeichnete Variante. Zusätzlich werden dem Flughafen Anträge auf diverse bodenseitige Anpassungen ermöglicht. Raumplanerisch gesichert sind nun etwa Schnellabrollwege für die Pisten 28 und 32 sowie die Umrollung der Piste 28. Letzteres, quasi eine Umfahrung dieser Bahn, soll pistenquerende Manöver verhindern.

Pistenausbau verzögert

Nur als sogenannte Vororientierung enthalten sind im ersten SIL-Objektblatt die Verlängerungen der Pisten 28 und 32. Damit wird laut dem Bazl bekräftigt, dass der Bund hinter diesem Vorhaben steht und der Flughafen Vorabklärungen treffen kann. Allerdings ist er noch nicht befugt, ein Gesuch für einen Pistenausbau zu stellen. Dazu braucht es in einer zweiten Etappe eine Festsetzung im SIL. Letztlich muss einem allfälligen Ausbauvorhaben der Kanton Zürich zustimmen. Das Komitee Pro Flughafen teilte am Mittwoch mit, es werde auf alle Fälle für eine Volksabstimmung sorgen und damit verhindern, dass eingefleischte Flughafengegner im Kantonsrat das Ausbauvorhaben abwürgen könnten. Zu diesem Zweck ist wohl eine Volksinitiative nötig, da ein Nein des Kantonsrats nicht referendumsfähig wäre.

Gekröpfte Anflüge im Visier

Ebenfalls als Vororientierung im ersten Objektblatt enthalten sind gekröpfte Nordanflüge (siehe Artikel unten links). Das Bazl verweist in seiner Mitteilung darauf, dass der Kanton Aargau erklärte habe, diese unter keinen Umständen zu dulden. Trotzdem prüfe gegenwärtig eine Expertengruppe, ob und wie gekröpfte Nordanflüge mit einem satellitengestützten Verfahren möglich seien. Sie würden während der deutschen Sperrzeiten als Alternative zu den Südanflügen eingesetzt. Ein definitiver Entscheid falle dazu erst im zweiten Teil des Sachplans.


asü.  Es wirkt, als hätte einer eine Pizza bestellt – und dann sei ihm der Appetit vergangen. Nicht zuletzt auf Wunsch des Flughafens Zürich hat der Bund den Südstart geradeaus bei Nebel und Bise in den ersten Teil des Sachplans Infrastruktur der Luftfahrt (SIL) aufgenommen. Nun hat der Flughafen aber am Mittwoch erklärt, dass er derzeit nicht beabsichtige, von dieser Möglichkeit Gebrauch zu machen.

Für die Fluggesellschaft Swiss ist dies «nicht nachvollziehbar und unverständlich», wie die Sprecherin Susanne Mühlemann sagt. Grundsätzlich begrüsse die Swiss, dass der Südstart geradeaus bei Nebel und Bise im Objektblatt verankert wurde, da er bei schwierigen Wetterbedingungen die Möglichkeit biete, «die Kapazitäten zu sichern, um einen zuverlässigen Flugbetrieb zu gewährleisten und die Kunden pünktlich an ihr Ziel zu bringen».

Sonja Zöchling, Sprecherin des Flughafens, lässt den Pizza-Service-Vergleich und die Kritik der Swiss nicht gelten. Der Flughafen habe zwar tatsächlich die Aufnahme des Südstarts geradeaus zum Verspätungsabbau bei Nebel und Bise in den SIL beantragt. Dieser regle aber die Langfristplanung. Gegenwärtig gebe es keinen Grund, dieses Startverfahren voranzutreiben. Die Zahl der Lärmbetroffenen würde dadurch aus heutiger Sicht unverhältnismässig stark erhöht. Ändern könne sich diese Beurteilung, wenn zum Beispiel die Südanflüge durch den gekrümmten Nordanflug ersetzt würden. Die Arbeiten für dieses Verfahren würden weiter vorangetrieben, sagt Zöchling.

Weiter geplant wird laut Zöchling auch die Ertüchtigung des Ostkonzepts, das Landungen von Osten und Starts nach Westen vorsieht – und Verlängerungen der Pisten 28 und 32. Falls der Staatsvertrag mit Deutschland wie vorgesehen im Jahr 2020 umgesetzt werden müsse, sei die Zeit für die betriebliche Umsetzung äusserst knapp bemessen, begründet Zöchling.

Klar ist: Auch wenn der Flughafen die Einführung der Südstarts über Teile der Stadt Zürich, das Zürcher Oberland und die Zürichseeregion beantragen würde, wäre der Widerstand gross. Ein Vetorecht hätte bereits die Vertretung der Zürcher Regierung im Verwaltungsrat des Flughafens. Und Volkswirtschaftsdirektor Ernst Stocker sagt: «Den Südstart bei Nebel und Bise würden wir nur akzeptieren, wenn die Südanflüge abgeschafft würden.» Diese Position habe die Regierung bereits im Jahr 2010 im Anhörungsverfahren zur Variante E DVO verabschiedet – heute sei sie unverändert. Die Variante E DVO bildet den heutigen Betrieb des Flughafens ab, ergänzt mit der Option Südstart geradeaus bei Nebel und Bise zum Verspätungsabbau. Die vom Bundesrat beschlossene Etappierung des SIL begrüsst die Regierung grundsätzlich, wie Stocker sagt. Auf diesem Weg werde zumindest teilweise Planungs- und Rechtssicherheit geschaffen.

P. S.  Im Vorfeld der Verabschiedung des ersten Teils des Sachplans Infrastruktur Luftfahrt (SIL) für den Flughafen Zürich hatte der Aargau seine Position gegen den gekröpften Nordanflug über den Ostaargau bekräftigt. Er hat sein Ziel vorläufig insofern erreicht, als der «gekrümmte Nordanflug», wie der Bund diese Option seit einiger Zeit nennt, lediglich im Sinne einer «Vororientierung» in das Objektblatt aufgenommen wurde. Laut dem Bundesamt für Zivilluftfahrt handelt es sich dabei um einen Hinweis auf die Abklärungen, ob sich ein solcher Anflug sicherheitstechnisch und kapazitätsmässig überhaupt in Betracht ziehen lässt.

Der Kanton Aargau wertet das «verhalten positiv», wie der Regierungsrat mitteilt. Die Kantonsregierung hält aber fest, dass sie den gekröpften Nordanflug weiterhin ablehne und gegen dessen Aufnahme in den zweiten Teil des SIL opponieren würde. Rund 10 Prozent der in ihrer Nachtruhe vom Fluglärm um Zürich Kloten gestörten Personen wohnen im Aargau.

NZZ,  27.06.2013

"