Süddeutschland kontert Vorwürfe aus Zürich (NZZ)

Publiziert von VFSNinfo am
Starre Fronten im Fluglärmstreit

Südbaden profitiert stark vom Metropolitanraum Zürich: Dies zeigt eine am Montag vorgestellte Studie der Universität St. Gallen. Der Fluglärmstreit wird dadurch kaum entschärft, wie erste Reaktionen nahelegen.

Andreas Schürer

Die Süddeutschen und die Nordschweizer sind geschäftstüchtig, und sie wissen voneinander zu profitieren. Das ist bekannt – eine Studie der Universität St. Gallen, die vom Komitee Weltoffenes Zürich in Auftrag gegeben wurde, untermauert diese Einschätzung nun mit Zahlen. Diese belegen, dass gewisse Landkreise in Südbaden, besonders Waldshut und Konstanz, aus der Nähe zum Wirtschaftsraum Zürich mit seinem Flughafen hohen Nutzen ziehen. So erzielen zum Beispiel rund 22 000 deutsche Grenzgänger im Grossraum Zürich jährlich Gehälter von 1,2 Milliarden Franken. Allein in die Landkreise Waldshut und Konstanz werden Gehaltssummen von 440 beziehungsweise 420 Millionen Franken transferiert. Umgekehrt ist der Effekt vernachlässigbar; einzig Schaffhausen weist mit 11 Prozent einen vergleichbar hohen Anteil an Grenzgängern aus.

Fluglärmstreit versachlichen

Martin Naville, Präsident des Komitees Weltoffenes Zürich, leitet aus den Resultaten der Studie die Forderung ab, auch Deutschland solle sich zu dem im Luftverkehrsabkommen gefundenen Kompromiss bekennen. Die Schweiz sei bereit, zähneknirschend zuzustimmen, in Süddeutschland seien aber gegenwärtig leider jene Politiker am Drücker, für die der Flughafenstreit ein nützliches Problem sei, das sie seit Jahren zu bewirtschaften verstünden.

Zu wünschen wäre, dass die Studie die Beurteilung der fairen Verteilung der Nutzen und Lasten in eine realitätsnahe Region rücke. Naville meinte anlässlich der Präsentation der Studie in Zürich: «Wir profitieren stark voneinander. Deshalb sollten wir auch grenzüberschreitende Probleme partnerschaftlich lösen.» Und der Geschäftsführer des Komitees, Thomas Koller, sagte: «Südbaden sollte nun auch die Leistung ästimieren, die Zürich für seine internationale Anbindung erbringt.»

Gisela Splett, Staatssekretärin und Lärmschutzbeauftragte der Landesregierung von Baden-Württemberg, nimmt die Studie gelassen auf – Gründe zum Umdenken sieht sie nicht darin. Niemand in Südbaden bestreite, dass es in der Grenzregion enge wirtschaftliche Verflechtungen gebe. Korrekt sei auch, dass Süddeutsche oft den Flughafen Zürich nutzten. Genau deshalb sei die Region Südbaden auch bereit, einen Teil der Lasten zu übernehmen – konkret die 80 000 Anflüge jährlich, die in der «Stuttgarter Erklärung» als Maximalzahl genannt würden. Alles andere wäre für die Staatssekretärin eine Belastung über Gebühr, eine unfaire Verteilung zulasten der eigenen Bürger.

Dem Appell des Komitees Weltoffenes Zürich an die Adresse der Politik in Süddeutschland, dem Staatsvertrag nun doch zum Durchbruch zu verhelfen, leistet Splett keine Folge. Das Abkommen lasse bezüglich der Anzahl der Überflüge, der Flughöhen und der Flugrouten zu viele Fragen offen: «Für uns ist klar, dass es Nachverhandlungen braucht.» Die Schweiz müsse endlich zur Kenntnis nehmen, dass der Vertrag in Südbaden nicht als Kompromiss wahrgenommen werde. Viele hätten Angst, dass die Belastung sogar noch zunehme, wenn der Vertrag in Kraft trete.

Nicht gut zu sprechen auf die Studie ist der Waldshuter Landrat Tilman Bollacher. Er lässt sich auf Anfrage einzig mit dem Satz zitieren: «Ich habe die Studie vorgelegt bekommen, doch ich betrachte sie als nicht zielführend im Fluglärm-Verteilungs-Konflikt.»

Hoher Exportüberschuss

Nicht um Politik geht es den Autoren von der Universität St. Gallen, Roland Scherer und Andreas Wittmer. In ihrer Arbeit stellen sie eine erhebliche grenzüberschreitende Verflechtung von Unternehmen fest. Sowohl in Südbaden als auch in der Nordschweiz sind laut einer für die Studie durchgeführten Befragung je rund die Hälfte der Unternehmen grenzüberschreitend tätig. Je rund ein Drittel der Firmen verfügt jenseits der Grenze über eine Niederlassung. Insgesamt exportieren südbadische Unternehmen klar mehr Güter und Dienstleistungen in den Metropolitanraum Zürich, als sie importieren – der Überschuss beträgt rund 600 Millionen Franken. Der Metropolitanraum wird dabei als Fläche der Gebiete definiert, die in einer guten Stunde ab dem Zentrum in Zürich erreicht werden können.

Gestützt auf diese Definition, führen Scherer und Wittmer auch aus, dass sich Reisende aus südbadischen Landkreisen nach Zürich orientierten, wenn sie interkontinental flögen. Der nächstgelegene Metropolitanraum mit einem entsprechenden Flughafen, München, liegt bedeutend weiter entfernt. Zürich sei der «deutschere» Flughafen als Stuttgart: 2012 habe er rund vier Millionen deutsche Passagiere gezählt, Stuttgart dagegen nur 2,9 Millionen.

Ins Gewicht fällt laut der Studie auch der Einkaufstourismus. Schweizer Kunden aus grenznahen Regionen erzeugten in Südbaden einen jährlichen Warenumsatz von rund 2,5 Milliarden Franken. Erstaunlich wenig verflochten seien dagegen die Bildungssysteme, sagte Wittmer. Der Wissens-Pool Zürich werde von Südbaden kaum genutzt.

Um den Vorwurf der Parteilichkeit zu entkräften, fungierte als externer Begleiter der Studie ein Deutscher, Professor Alexander Eisenkopf von der Zeppelin-Universität Friedrichshafen. Er hält die Resultate der Studie für valide, auch wenn es gewisse Aussagen zu relativieren gelte. So seien die Grenzgänger auch ein Verlust für Deutschland, da auf diese Weise viele gut qualifizierte Arbeitskräfte verloren gingen. Zu den grossen Effekten des Einkaufstourismus sei hinzufügen, dass sich diese wieder verringern könnten, wenn sich der starke Franken im Vergleich zum Euro wieder abschwäche.

NZZ, 11.06.2013