Kant-Stiftung mischt sich in den Fluglärmstreit ein (NZZ)

Publiziert von VFSNinfo am
Das südbadische Bündnis gegen Fluglärmbelastungen trimmt die Region auf eine einseitige und verbissene Haltung im Konflikt mit der Schweiz – und wird nun von der Freiburger Kant-Stiftung geehrt. Mutig: Deutsche FDP-Politiker protestieren scharf.

Andreas Schürer

Eines muss man dem südbadischen Aktionsbündnis gegen Zürcher Flugverkehrsbelastungen lassen: Seit Jahren wirkt es so energisch, dass es jenseits des Rheins in der Diskussion um die Anflüge auf den Flughafen Zürich den Takt vorgibt. Über jedes Votum von Politikern legen die Fluglärmgegner die Folie der «Stuttgarter Erklärung», die eine Beschränkung der Anflüge über Südbaden auf jährlich 80\'000 fordert. Gibt es Abweichungen, wird der Politiker angeprangert. Inzwischen buhlen süddeutsche Politiker so intensiv um die Gunst des Bündnisses, dass es einem Schaulaufen gleichkommt. Der Lauchringer SPD-Bundestagsabgeordneten Rita Schwarzelühr-Sutter war es letzte Woche nicht zu liebedienerisch, sich offensiv darüber zu beklagen, dass die Bürgerinitiative die SPD in einer Wahlempfehlung hinter die CDU gesetzt hatte; die SPD sei es schliesslich, die sich wahrhaftig gegen Fluglärm einsetze.

Verbissen, ja sektiererisch wirkt der Eifer, mit dem das Bündnis den Fluglärm-Staatsvertrag mit der Schweiz bekämpft – populistisch warnt es vor 200\'000 Überflügen jährlich. So wird ein Klima geschaffen, das die Schweizer Verkehrsministerin Doris Leuthard zur Aussage bewog, gewisse Exponenten in Süddeutschland erinnerten sie an die Taliban. Ihr Amtskollege in Berlin, Peter Ramsauer, rechtfertigte seinen Marschhalt im Prozess der Vertragsratifizierung derweil unter anderem damit, er habe noch nie einen solch emotionalen Widerstand erfahren. Nach dem Vertragsabschluss hatte er noch von Kompromiss geschwärmt, der Deutschland mehr Ruhe bringe. Im Falle einer Umsetzung des Staatsvertrags hätten die Südbadener unter der Woche von 18 bis 7 Uhr Ruhe, an Wochenenden und Feiertagen sogar von 18 bis 9 Uhr.

Widerstand im Sinne Kants
Die Freiburger Kant-Stiftung stellt die süddeutschen Aktivisten nicht in die Hardliner-Ecke, im Gegenteil. Ende April hat die Stiftung dem Bündnis sowie dessen Koordinator Edwin Fluck den Allmende-Preis 2013 verliehen – «in Anerkennung ihres beharrlichen Bürgerengagements». In der Urkunde heisst es, das Bündnis stelle hartnäckig transnationale Abkommen infrage, die soziale und ökologische Kosten des internationalen Flugverkehrs zulasten einer regionalen Minderheit externalisieren wollten. So lege das Bündnis den Finger in die Wunde einer Politik, die den Klima- und Umweltschutz hinter die Interessen von Global Playern zurückstelle. Die Duldung einer solchen Trittbrettfahrerei verstosse gegen Kants Forderung, das Recht müsse nie der Politik, wohl aber die Politik jederzeit dem Recht angepasst werden.

Berthold Lange, der Gründer und Vorsitzende der Kant-Stiftung, lobte in seiner Laudatio den Einsatz von Fluck und seiner südbadischen Mitstreiter als vorbildlichen Gemeinsinn, den Kant mit seiner Äusserung gemeint habe, die Erde sei nicht als res nullius zu betrachten, als Niemandsland, sondern als res omnium, als Gemeinbesitz. In Bezug auf den Fluglärmstreit sagte Lange an die Adresse Flucks: «Sie haben es geschafft, einen schludrig gearbeiteten Staatsvertrag mit der Schweiz wegen fahrlässiger Verletzung von Bürgerrechten vorerst einmal zu stoppen.» Und zum Schluss setzte er noch einen drauf: «Die Landschaften des Hegaus, des Bodensees und des Schwarzwald-Baar-Kreises sind viel zu kostbar, als dass man sie zu einer Zürcher Deponie verkommen lassen dürfte.»

Auf Nachfrage relativiert Lange, seine Stiftung wolle mit der Preisvergabe nicht Partei ergreifen im Konflikt um den Fluglärm und schon gar nicht nationale Differenzen schüren. Vielmehr gehe es darum, beispielhaft eine Bürgerinitiative auszuzeichnen, denn gerade in Europa müssten die Bürger mehr Gehör erhalten: «Wir wollen kein Europa, das von oben regiert wird.»

FDP hält an Staatsvertrag fest
Dennoch: Karsten Jung, Vorsitzender der FDP Kreis Waldshut und Kandidat für den Deutschen Bundestag, ist über die Preisvergabe verärgert: «Immanuel Kant würde sich im Grab umdrehen.» Gerade der Hinweis auf den von Kant betonten Gemeinsinn entlarve die Würdigung der Bürgerinitiative als Fehlgriff. Diese operiere nämlich einseitig, dränge auf eine Lärmverteilung nach dem Sankt-Florians-Prinzip und setze im Konflikt mit der Schweiz statt auf Argumente und Dialog knallhart und kompromisslos auf die nationale Karte.

Der Staatsvertrag ist für Jung noch längst nicht gescheitert. Wie die FDP Baden-Württemberg sei er der Meinung, dass es noch Präzisierungen brauche – etwa bezüglich des Haftungsrechts bei Unfällen. Grundsätzlich sei der Vertrag jedoch ein fairer Kompromiss.

Bedenklich ist für Jung, dass bei keinem anderen Thema so viele Falschinformationen im Umlauf seien. Faktum sei, dass der Flughafen Zürich ein wichtiger Wirtschaftsfaktor für Südbaden sei, dass die Schweiz auch heute die Hauptbelastung trage und es in Deutschland keinen Lärm über den zulässigen Grenzwerten gebe. Jung sagt: «Ohne Staatsgrenze hätte die Region Südbaden überhaupt keine Chance, irgendwelche Forderungen zu stellen.» Die nun prämierte Bürgerinitiative donnerte über solche Argumente bei früherer Gelegenheit in einem Newsletter: «Jungs ohne jede Sachkenntnis vorgelegten Einlassungen sind nur als Klientelargumente zu sehen. Wir empfehlen ihm aufmerksames Studium der vorhandenen Dokumente.»

Dass «so verkorkst denkende, antiliberale Kräfte» von der Kant-Stiftung honoriert würden, schädige das Ansehen der Stiftung und der anderen Preisträger, findet das Donaueschinger FDP-Vorstandsmitglied Ralf-Roland Schmidt-Cotta. In einem offenen Brief an die Kant-Stiftung schreibt er: «Nichts liegt diesen Leuten ferner, als Aufklärung zu betreiben.» Transparenz und offener Diskurs seien für sie Gefahren, Bevormundung, Indoktrination und Einschüchterung ihre Devisen. Feige werde so ein äusserer Gegner als Popanz geschaffen, laut Schmidt-Cotta «eine klassische und gerade in der deutschen Geschichte bewährte Taktik».

Wenig erstaunlich: Die FDP ist in der Wahlempfehlung des Fluglärm-Bündnisses mit einem Stoppschild versehen. Karsten Jung kümmert es nicht. Gerade von jüngeren Leuten erhalte er viel positives Feedback: «Die sehen eben, dass wir Entwicklung und nicht Stillstand brauchen – und dass ein guter Dialog mit der Schweiz nötig ist.»

NZZ, 03.05.2013