Der Flughafen-Showdown (TA)

Publiziert von VFSNinfo am
Am 27. November stimmt der Kanton Zürich zum vorläufig letzten Mal über die Zukunft des Flughafens ab. Es geht darum, ob das Pistensystem noch verändert werden darf – und was das bedeuten würde.

Von Liliane Minor

Zürich – Zwei Vorlagen stehen zur Auswahl: Die erste ist eine von 42 Gemeinden lancierte Behördeninitiative. Sie will dem Regierungsrat im Flughafengesetz vorschreiben, sich gegen Ausund Neubauten von Pisten einzusetzen. Der Kantonsrat unterstützte die Initiative mit 100:64 Stimmen und machte sie damit zu seinem eigenen Beschluss. Die Vorlage kommt aus Sicht des Flughafens einem Bauverbot gleich. Denn der Regierungsrat hat bei Veränderungen am Pistensystem im Flughafenverwaltungsrat ein Vetorecht.

Die zweite Vorlage ist ein Gegenvorschlag der Südschneiser, der weiter geht. Demnach sollen auch keine neuen Abrollwege mehr gebaut werden dürfen; zudem wird der Regierungsrat verpflichtet, sich gegen Flugrouten über dicht besiedeltem Gebiet einzusetzen, die seit dem Jahr 2000 eingeführt wurden oder künftig eingeführt werden. Faktisch geht es den Initianten um Südanflüge und Südstarts geradeaus. Den Kantonsratsbeschluss lehnen die Südschneiser ab. Sie glauben, dass dem Süden mehr Lärm drohe, wenn das Pistensystem auf dem heutigen Stand eingefroren werde.

Längere Piste, mehr Flüge?

Gemeinsam ist den beiden Vorlagen, dass bei einem Ja die vom Flughafen gewünschte Verlängerung der Pisten 10/28 und 14/32 hinfällig würde – dies ist die einzige Art von Pistenausbau, die gemäss den Plänen des Bundes überhaupt zulässig wäre. Die Befürworter befürchten, dass bei einer solchen Pistenverlängerung bedeutend mehr Flüge möglich würden. Und sie sind der Meinung, dass der Flughafen die geschätzten Kosten dafür, 2,4 Milliarden Franken, nicht aufbringen kann, ohne letztlich die Steuerzahler zu behelligen.

Laut dem Flughafen trifft weder die eine noch die andere Befürchtung zu. Der Flughafen finanziere Bauprojekte selbst. Die geplante Verlängerung erhöhe die Kapazität nicht, aber sie würde es ermöglichen, fast bei jedem Wetter von Osten her zu landen und nach Norden zu starten. Die Südanflüge würden damit praktisch hinfällig; und die Zahl der massiv von Lärm belästigten Menschen würde sinken. Die Gegner zweifeln diese Berechnungen an.

Noch einmal anders argumentieren Wirtschaftsverbände und bürgerliche Politiker: Sie wollen den Flughafen nicht einschränken, weil das der Wirtschaft schade. Die Befürworter stellen dies in Abrede. Der Flughafen habe auch mit einem Ausbaustopp noch Kapazität für gut 70\'000 zusätzliche Flüge pro Jahr. Im Moment wickelt der Flughafen pro Jahr 270\'000 Flüge ab.

Die beiden Vorlagen, die jetzt zur Abstimmung stehen, sind die vorläufig letzten in einer ganzen Reihe, welche der fluglärmgeplagten Bevölkerung eine Entlastung bringen sollten. Zur Diskussion standen in der Vergangenheit eine Begrenzung der Flugbewegungen, die gerechte Verteilung des Fluglärms sowie eine Höchstzahl von Leuten, die stark vom Lärm belästigt werden dürfen.

Immer wieder neue Ideen

Ursprung all dieser Vorlagen sind die frühen 2000er-Jahre, eine Zeit, die geprägt war von sich überstürzenden Ereignissen und Veränderungen am Flughafen. Ihren Anfang fand die Misere in der Entscheidung der Swissair, 1996 und 1997 8000 Langstreckenflüge von Genf nach Zürich zu verlegen. Die Proteste dagegen waren laut, heftig und erfolglos. Aber die Verlegung hatte unabsehbare Folgen. Deutschland kündigte an, die Anflüge über Süddeutschland in den Morgen- und Abendstunden zu verbieten. Im Oktober 2001 wurde die Ankündigung in Form der Durchführungsverordnung (DVO) Realität, mit den bekannten Auswirkungen: Der Flughafen führte die Ostanflüge ein, zwei Jahre später die Südanflüge. Die Empörung war riesig.

In den folgenden Jahren versuchten Bund und Kanton Zürich fieberhaft, die Deutschen zu einer Lockerung der Einschränkungen zu bewegen. Gleichzeitig suchten sie hektisch nach einem Betriebssystem für den Flughafen, das die Lärmbelastung für die Bevölkerung erträglich machen und gleichzeitig dem Flughafen eine möglichst ungehemmte Entwicklung sichern sollte. Dabei standen immer wieder neue Ideen und Pläne zur Diskussion – und viele davon waren für die Anwohner die reinsten Horrorszenarien. So schlug 2004 die damalige Volkswirtschaftsdirektorin Dorothée Fierz (FDP) vor, den Flughafen zu mindestens 50 Prozent von Osten her anzufliegen und nach Norden zu starten. Für die betroffene Bevölkerung eine indiskutable Idee, während man im Süden jubelte und auf Ruhe hoffte. Gleichzeitig nahm der Bund die Arbeiten am sogenannten Sachplan Infrastruktur Luftfahrt (SIL) wieder auf. Und goss weiter Öl ins Feuer. Denn eine im Verlauf der Arbeiten diskutierte Möglichkeit war der Bau einer parallelen Piste zur Piste 16/34 – definitiv verworfen wurde die Parallelpiste vor zwei Jahren. Hinzu kam die schockartige Erkenntnis, dass der Flughafen bis zu 420 000 Bewegungen pro Jahr anpeilte – während in den 90er-Jahren noch von maximal 250 000 die Rede gewesen war.

Alle Initiativen scheiterten

In dieser Zeit formierte sich in der Bevölkerung der Widerstand. Sowohl Bürgerorganisationen als auch die Behörden der betroffenen Gemeinden wurden mit politischen Vorstössen aktiv, um den Flughafen in die Schranken zu weisen. Auf eine gemeinsame Strategie konnten sich die Regionen indes nie einigen, der Süden scherte jedes Mal aus. Bislang scheiterten alle Vorlagen vor dem Volk – mit einer Ausnahme: Die Stimmbürger sagten vor vier Jahren Ja zum Zürcher Fluglärmindex (ZFI).

Tages-Anzeiger, 01.11.2011, Seite 17