«Emotionen aus Debatte nehmen» (BZ)

Publiziert von VFSNinfo am
BZ-INTERVIEW mit Jochen Stotmeister, Chef der Sto AG, zum Thema Fluglärmstreit / Flughafen Zürich hat für die Unternehmen eine große Bedeutung .

KREIS WALDSHUT. Seit Mitte der 80er Jahre schwelt der Fluglärmstreit zwischen der Schweiz und Deutschland. Die Lärmbelastung durch die An- und Abflüge am Flughafen Zürich-Kloten sorgt immer wieder für heftige Diskussionen. In jüngster Zeit kochen die Gemüter beidseits der Grenze wieder kräftig hoch. Der Ton wird rauer, die Fronten scheinen sich zu verhärten. Grund: Von deutscher Seite her wird gefordert, die bislang vereinbarten 100\'000 Überflüge im Jahr über deutsches Gebiet auf 80\'000 zu reduzieren. Bundesverkehrsminister Ramsauer hat bereits deutlich gemacht, dass man den Druck auf die Schweiz erhöhen werde. Seitens der Eidgenossen schießt man mittlerweile scharf zurück. Wie beurteilen aber die Unternehmen in der strukturschwachen Region Hochrhein die derzeitigen Störungen in den bilateralen Beziehungen und welche Bedeutung hat der Flughafen Zürich für die Wirtschaftsregion? Über diese Fragen unterhielt sich unsere Redakteurin Juliane Kühnemund mit Jochen Stotmeister, Vorstandsvorsitzender der Sto AG mit Sitz in Weizen.

BZ: Herr Stotmeister, Sie sind Chef eines weltweit agierenden Unternehmens mit Hauptsitz in Stühlingen-Weizen. Welche Bedeutung hat der Flughafen Zürich für die Sto AG?
Stotmeister: Er ist für uns unverzichtbar. Im Jahr 2010 gab es von Zürich aus allein 2000 An- und Abflüge durch Mitarbeiter der Sto AG. Außerdem empfangen wir in Weizen im Jahr rund 5000 Besucher aus aller Welt. Insbesondere unsere Geschäftskunden aus Hamburg, Berlin und Hannover fliegen nach Zürich, um schnell bei uns zu sein. Das heißt, die Entwicklung unserer nördlichen Märkte ist eng mit der Nutzung des Flughafens verbunden und unser internationales Geschäft logischerweise auch. Auch ich persönlich fliege am liebsten von Zürich aus, schon allein aus Zeitgründen. Mir graust’s, wenn ich von Frankfurt aus fliegen muss, das ist ein Riesenaufwand.

BZ: Nun will ja niemand den Flughafen schließen. Von deutscher Seite aus wird ja lediglich gefordert, die Lärmbelastung zu reduzieren, sprich die bislang erlaubten 100\'000 Flugbewegungen auf jährlich 80\'000 zu reduzieren. Was ist dagegen einzuwenden?
Stotmeister: Zunächst einmal eines: Wenn die höchsten politischen Kräfte beider Länder, Bundeskanzlerin Angela Merkel und der damalige Bundespräsident Pascal Couchepin, eine Vereinbarung in Sachen ausgehender Lärmbelastung treffen, dann sollte diese auch eine Bedeutung haben und verbindlich sein, egal welche politischen Kräfte nachgeordnet folgen. Wo bleibt da sonst die Verlässlichkeit? Außerdem: Werden die Rahmenbedingungen für den Flughafen geändert, besteht die Gefahr, dass dadurch die Kosten für die Flüge steigen. Die Flugzeiten könnten sich verlängern, wodurch der Kerosinverbrauch steigen könnte. Wenn die Herrschaften verlangen, dass die Zahl der Überflüge über deutsches Gebiet gesenkt wird, weiß ich als Unternehmer, dass dies nicht ohne zusätzlichen finanziellen Aufwand umsetzbar ist. Wenn die Flugkosten für die vielen Sto-Mitarbeiter, die aus beruflichen Gründen um den Globus fliegen müssen, steigen, dann verlieren wir einen Wettbewerbsvorteil. Das heißt, die politische Diskussion schwächt unsere Konkurrenzfähigkeit. Wir haben am Standort Weizen im Vergleich zu anderen großen Unternehmen sowieso schon Nachteile, da wir keine direkte Autobahn-Anbindung haben. Viele andere Unternehmen haben ihren Hauptsitz inzwischen in eine Metropol-Region verlegt. Wir dagegen möchten im Schwarzwald bleiben und die Arbeitsplätze für die Menschen hier erhalten.

BZ: Nicht nur ihr Firmensitz, auch ihr Wohnsitz liegt in der Region, die vom Fluglärm betroffen ist. Ganz abgesehen vom wirtschaftlichen Interesse, stört sie der Lärm privat nicht auch ein bisschen?
Stotmeister: Der Fluglärm ist eine Sache der persönlichen Empfindung. Ich kann alle gut verstehen, die sich gegen den Fluglärm wehren. Das ist ja nicht nur im Einzugsbereich von Zürich so, sondern überall, wo Flughäfen sind. Aber man sollte den Fluglärm mal in Relation zu den Lärmquellen am Boden einschätzen. Natürlich hört man den Flieger, der über einen hinweg gleitet, eine Unterhaltung ist aber noch möglich. Fährt dagegen ein Motorrad oder ein Moped vorbei, ist’s auch mit der Unterhaltung vorbei. Wie gesagt, es ist alles eine Frage der Empfindung.

BZ: Also spielen hier Emotionen eine große Rolle?
Stotmeister: Auf jeden Fall. Leider laufen auch die Debatten mittlerweile mehr auf emotionaler Ebene als auf sachlicher. Dabei bringt das niemanden weiter. Wieso lässt man sich von Dingen leiten, die nicht faktenorientiert sind? Die verbalen Ausrutscher der politischen Vertreter beider Länder, egal ob "Indianer" oder "Taliban", tragen wenig dazu bei, eine vernünftige Lösung herbeizuführen.

BZ: Der Fluglärmstreit ist auf dem besten Wege, die gesamten deutsch-schweizerischen Beziehungen zu belasten. Dabei setzt man insbesondere entlang der Rheinschiene auf ein gutes Miteinander mit den Eidgenossen. Welche Bedeutung hat der Schweizer Markt für Sto?
Stotmeister: Wir erzielten im vergangenen Jahr in der Schweiz einen Umsatz von 86 Millionen Schweizer Franken und gehen auf die 100 Millionen zu. Und unser Hauptmarkt liegt entlang der Rheinschiene. Sto beschäftigt 23 Mitarbeiter aus dem Landkreis Waldshut in der Schweiz. Die ewigen Fluglärmdiskussionen verbessern nicht gerade die Stimmung den deutschen Kollegen gegenüber. Und ganz abgesehen von Sto: Baden-Württemberg ist einer der stärksten Wirtschaftspartner der Schweiz und die Schweiz stärkster Partner von Baden-Württemberg. Wir nehmen Spitzenplätze im Handelspartnerranking ein. Und wenn ich Handelspartner bin, setze ich mich an einen Tisch und ringe so lange, bis ich ein gutes Ergebnis habe.

BZ: Aber was wäre nun ein gutes Ergebnis? Die Ansichten darüber gehen auf deutscher und schweizer Seite ja auseinander.
Stotmeister: Die Schweiz lebt ja mit den bisherigen Vereinbarungen, nach denen die Hauptlast des Flugverkehrs ganz klar auf schweizer Gebiet liegt. Von den insgesamt 268 000 Flugbewegungen entfallen ja nur 100\'000 auf Deutschland, wobei nach neuem deutschem Fluglärmgesetz die relevanten Grenzwertkurven vollumfänglich in der Schweiz liegen, und durch das Nachtflugverbot betrifft die Nachtbelastung ebenfalls komplett die Schweiz. Nach dem jüngsten Lärmgutachten mit kartierten Lärmteppichen liegen alle nach deutschem Lärmschutzrecht relevanten Lärmpegel bei Tag und insbesondere bei Nacht in unserem Nachbarland. Damit müsste es sich doch leben lassen. Zumal man, wenn man im Flugzeug sitzt, beobachten kann, dass gut die Hälfte der Passagiere Deutsche sind. Von daher habe ich ein Problem, die Klagen zu akzeptieren. Mit dieser Meinung stehe ich übrigens nicht alleine da. Die IHK beschäftigt sich intensiv mit dem Thema, ebenso wie die Unternehmerinitiative DCH, der ich auch angehöre. Und auch die entsprechenden Schweizer Organisationen sind an einer schnellen einvernehmlichen Lösung interessiert.

BZ: Wie würde für Sie eine Lösung aussehen?
Stotmeister: Eine Lösung muss so aussehen, dass eine Weiterentwicklung des Flughafens möglich ist. Denn spätestens dann, wenn sie aufgrund der Kostenstrukturen und der Komplexität der Abläufe nicht mehr gewährleistet ist, wenn Arbeitsplätze abgebaut werden müssen, leidet die gesamte Region darunter. Und das wäre aus meiner Sicht der Fall, wenn sich Deutschland tatsächlich mit seinen neuen Forderungen durchsetzt.

BZ: Sie haben Arbeitsplätze angesprochen. Der Flughafen ist insgesamt ein riesiges Unternehmen. Kennen Sie Zahlen über die Arbeitsplätze?
Stotmeister: Der Flughafen beschäftigt insgesamt 23 000 Personen, davon 1400 Deutsche, das entspricht immerhin sechs Prozent. Außerdem darf der Arbeitsmarkt in der Schweiz insgesamt nicht unterschätzt werden. Nach den jüngsten Erhebungen arbeiten 50 000 deutsche Grenzgänger in der Schweiz, davon leben 12 500 im Landkreis Waldshut. Jeder sechste Erwerbstätige des Landkreises arbeitet demnach im Nachbarland. Auch dies ist ein Grund, warum die Politik daran interessiert sein sollte, ein vernünftiges Miteinander zu pflegen.

BZ: Nochmals zurück zum Fluglärm: Sie sind also der Meinung, dass die Durchsetzung der deutschen Forderungen auch für die eigene Region kontraproduktiv wäre?
Stotmeister: Ja. Mit 22,9 Millionen Passagieren im Jahr ist der Flughafen Zürich im Vergleich zu Frankfurt oder München relativ klein. Er braucht Entwicklungsmöglichkeiten, und deshalb ist es notwendig, dass die Rahmenbedingungen stabil bleiben. Schließlich ist eines klar: Stillstand ist Rückschritt. Für die Unternehmen in der Region ist dies ebenfalls von großer Bedeutung. Wenn die Bedingungen am Flughafen konstant bleiben, brauchen sie auch nicht zu befürchten, dass die Kosten steigen. Zudem, das haben wir noch gar nicht angesprochen: Auch die Menschen in der Schweiz sind nicht glücklich über den Fluglärm. Auch dort hat die Politik eine Verantwortung. Zwei Regionen wollen einerseits einen großen Wirtschaftsraum bilden, andererseits existiert aber eben die Landesgrenze. Und alles, was unangenehm ist, versucht man über die Grenze zu schieben, und was schön ist, möchte man haben. Die Politiker sollten sich nicht treiben lassen von einzelnen Gruppierungen, sondern unter Berücksichtigung der Sachargumente eine schnelle und verträgliche Lösung für beide Seiten herbeiführen. Mein Appell an alle Beteiligten: Es muss endlich Stabilität durch einen beidseitigen Nutzen einkehren. Denn: Die nächste Rezession kommt bestimmt!

BZ: Vielen Dank für das informative Gespräch. 

Badische Zeitung, 03.09.2011