Taktischer Taliban-Vergleich (BaZ)

Publiziert von VFSNinfo am
Doris Leuthard erntet nach ihrer Provokation gegenüber deutschen Fluglärmgeplagten Verständnis, auch von den Deutschlandkennern Thomas Borer und Klaus Stöhlker. Vielleicht sei dies sogar der Anstoss für substanzielle Verhandlungen.

Das hatte sich die Verkehrsministerin wohl nicht im Skript notiert: Der giftige Hinweis auf die «Taliban», einen Teil der Bevölkerung von Hohentengen, die den Flughafen Zürich torpedierten. Der Vergleich, den Doris Leuthard bei einem Podiumsgespräch mit CDU-Fraktionschef Volker Kauder Anfang Woche anstellte, muss ein spontaner Einfall gewesen sein. Doch einer mit Folgen, tags darauf überboten sich deutsche Zeitungen mit Tadel für die Schweizer Vorsteherin des Verkehrsdepartements (Uvek).

Was ist nur in Doris Leuthard gefahren? Zwar ist sie auch bei ihrem USA-Besuch vor einigen Wochen durch eigenwillige Rhetorik aufgefallen, als sie ihre Gastgeber unumwunden aufforderte, energiepolitisch von der Schweiz zu lernen. Doch die Beschimpfung vom Montagabend ist eine andere Kategorie. Wahlkampf scheint die naheliegendste Erklärung zu sein. Doch das sei es nicht, sagen Thomas Borer, ehemaliger Botschafter in Deutschland, und Kommunikationsfachmann Klaus Stöhlker. Der verbale Ausrutscher sei Ausdruck von aufgestautem Unmut und vielleicht taktisch gar nicht so ungeschickt. Er könnte Bewegung ins lahmgelegte Flughafen-Dossier bringen.

Verbale Entgleisungen in der Aussenpolitik rufen auf der Gegenseite empörte Reaktionen hervor – erzielen manchmal aber auch die gewünschte Wirkung. Ein Beispiel gab der frühere deutsche Finanzminister Peer Steinbrück, der mit einem grossen «Peitschenknall» die Aufweichung des Schweizer Bankgeheimnisses eingeläutet hat; er drohte, neben Zuckerbrot auch die Peitsche gegen die Schweiz einzusetzen.

«Vielleicht ein Auslöser»

Könnte auch Leuthards Taliban-Vergleich das Ziel einer Lösung im Fluglärmstreit näherbringen? Thomas Borer hält es für möglich. «Ich könnte mir vorstellen, dass dies ein Auslöser ist für substanzielle Verhandlungen.» Borer, der am Podiumsgespräch selber anwesend war, hat Verständnis für Leuthard, wie er sagt: «Das ist menschlich.» Der verbale Ausrutscher sei Ausdruck von aufgestauter Verzweiflung und eines verbreiteten Unmuts über die deutsche Regierung, die in der Flughafenfrage eine Verzögerungstaktik betreibe. «Das Dossier liegt seit Jahren auf Eis, obwohl beidseits angestossene Lärmbelastungsanalysen schon lange auf dem Tisch liegen, und das nur, weil einer Seite die Ergebnisse nicht gefallen.»

Dem Erfolg des Flughafens sei nicht nur die schweizerische Volkswirtschaft auf Gedeih und Verderb ausgeliefert, sondern auch die süddeutsche. Trotzdem übe sich Berlin in wohlwollender Nichtbeachtung gegenüber der Schweiz und gebe sich nur in Sonntagsreden konstruktiv, sagt Borer. Dass es zu einer Verschärfung des Tones kommen musste, sei zwar bedauerlich. Doch man sollte die Aussage nicht überbewerten. «Die Zuständigkeiten liegen ohnehin auf Bundesebene, die Minister Ramsauer und Leuthard sollten nun zügig eine Lösung vorantreiben und die erreichte Verständigung nicht durch Zwischenrufe aus den Regionen torpedieren lassen.»

Persönliche Beleidigungen sind kontraproduktiv

Auch Klaus Stöhlker hat Verständnis für Bundesrätin Doris Leuthard. «Der Taliban-Vergleich ist die Folge eines enormen Drucks. Leuthard muss liefern, das Flughafen-Problem ist seit Jahren pendent, der Ärger darüber ist gross.» Als Fluglärmgeplagter könne er das gut nachvollziehen. Wirkung könnten solche Provokationen nur entfalten, wenn sie von der Partei oder einem grossen Teil der Bevölkerung mitgetragen werden. «In der Schweiz kriegen wir das leider selten zustande, das ist schade», sagt Stöhlker.

Laut Nicola Forster, Präsident des aussenpolitischen Think-Tanks Foraus, können Provokationen in der Aussenpolitik Gutes bewirken; etwa dann, wenn sie einen regionalen Streit durch die mediale Aufmerksamkeit auf nationale Ebene hieven. Aufpassen müssten Politiker allerdings mit persönlichen Beleidigungen. «Es ist schwierig, mit jemanden an den Verhandlungstisch zu sitzen, den man zuvor persönlich angegriffen hat.»

Sukkurs erhält Doris Leuthard übrigens von SVP-Regierungsrat Ernst Stocker, der sich im «Tages-Anzeiger» froh darüber gibt, dass sich Leuthard in die Flughafen-Diskussion einmische. Und Stockers Vorgängerin Rita Fuhrer doppelt auf Radio 1 nach: «Ernst Stocker hat völlig recht, wenn er das locker nimmt. Das ist das Niveau und die Wortwahl, welche die Deutschen uns gegenüber verwenden.»

Basler-Zeitung, 24.08.2011

siehe auch :
Harsche Töne im Fluglärmstreit (NZZ)
Leuthards Worte empören Deutschland (TA)
Die Taliban, die den Flughafen torpedieren (20min)
Frust über frühere Versäumnisse (TA)
Leuthard entschuldigt sich für Taliban-Vergleich (TA)