«Wir planen am Flughafen Module für Gesundheit und Schönheit» (TA)

Publiziert von VFSNinfo am
Trotz Widerstand gegen den Fluglärm setzt Flughafen-Chef Thomas Kern mit dem Dienstleistungszentrum Circle klar auf die Karte Ausbau. Ein Volks-Ja zum Pistenbaustopp wäre für ihn «ein ganz schlechtes Signal».

Herr Kern, mit dem Projekt Circle wird das Fluggeschäft in Kloten definitiv zur Nebensache. Freut Sie das als früheren Detailhändler?
Da liegen Sie absolut falsch. Mich freut, dass der Flughafen Zürich heute die bedeutendste Verkehrsdrehscheibe der Schweiz ist und das auch bleiben will. Die Tatsache, dass 24\'000 Menschen am Flughafen arbeiten und über 60\'000 Passagiere täglich am Flughafen sind, nutzen wir auch für den Kommerz. Und so ist der Flughafen Zürich heute das zweitgrösste Einkaufszentrum der Schweiz. Das freut mich.

Und jetzt kommt noch der Circle . . .
Damit beginnt die dritte Phase der Entwicklung: Der Flughafen wird zur eigenen Destination ausgebaut. Neben Büros und Hotels sind verschiedene Dienstleistungsmodule geplant, etwa Gesundheit und Schönheit, Aus- und Weiterbildung sowie ein Konferenzzentrum für 1500 Besucher. Entscheidend ist die Vernetzung der Module untereinander.

Es gibt Gerüchte, wonach sich die Schulthess-Klinik interessieren soll.
Ein hochkarätiger Gesundheitsanbieter hat im Circle sicher Platz. Es ist aber viel zu früh, um über Namen zu sprechen. Wir sprechen bei allen Modulen mit entsprechenden Anbietern, und diese Gespräche sind unterschiedlich weit gediehen. Das Projekt wird jedenfalls nur realisiert, wenn für jedes Modul ein hoher Prozentsatz an Mietern gesichert ist.

Wie hoch ist dieser Prozentsatz?
Das ist von Modul zu Modul unterschiedlich und hängt von verschiedenen Faktoren ab. Bei kleinen Modulen wie Gesundheit und Schönheit wollen wir sicher einen guten Ankermieter. Und auch die Hotelbetreiber müssen von Anfang an feststehen. Bei den Büros hingegen akzeptieren wir zu Beginn einen gewissen Leerstand. Über alles müssen mindestens 50 Prozent der Flächen vermietet sein, bevor wir zu bauen beginnen.

Was heisst Gesundheit? Geht es um Check-ups oder Operationen?
Ersteres steht sicher im Vordergrund. Vorstellbar sind Diagnosen, Prävention und ambulante Behandlungen, die kurze Aufenthalte erfordern. Da kann man kommen, vielleicht mit der Familie, die dann im Hotel wohnt, lässt sich behandeln und fliegt wieder weg. Und das bei maximaler Diskretion und Effizienz.

Der Kanton und die Stadt Kloten haben nur knapp 1000 statt 1500 Parkplätze bewilligt. Werden Sie diesen Entscheid weiterziehen?
Das wissen wir noch nicht. Wir sind enttäuscht, dass dem Antrag nicht Folge geleistet wird. Aber der Entscheid stellt das Projekt Circle nicht infrage.

Die Circle-Kunden werden vor allem aus dem Ausland kommen. Braucht es da überhaupt so viele Parkplätze?
Für diese Kunden sicher nicht. Die gehen zu Fuss vom Flugzeug zum Circle. Wir erwarten jedoch einen Drittel der Kunden aus der Region. Zudem entstehen rund 3000 neue Arbeitsplätze. Von den Angestellten wird ein Teil mit dem Privatauto anreisen, und das werden auch einzelne Besucher tun. Was aber bleibt, ist die Vorschrift, dass fast die Hälfte aller Flughafennutzer mit dem öffentlichen Verkehr anreisen müssen.

Wie lässt sich das steuern?
Durch ein attraktives Angebot im öffentlichen Verkehr. Mit dem unterirdischen Bahnhof hat uns vor vielen Jahren die Bahn einen grossen Dienst erwiesen. Wir waren immer schon sehr gut erschlossen durch Busse, und neu haben wir die zwei Linien der Glattalbahn. So wird es immer weniger nötig, mit dem Auto anzureisen. Das gilt natürlich nicht für Schichtarbeiter mit sehr frühem Arbeitsbeginn, weil da oft noch gar keine Züge fahren. Auch bei sehr frühen Abflugzeiten gibt es nicht immer eine Verbindung mit dem öffentlichen Verkehr.

Nun will der Flughafen insgesamt 50 Prozent mehr Parkplätze. Wird damit nicht der Bogen überspannt?
Nein. Unsere Planung folgt ja dem langfristig prognostizierten Bedarf. Bereits heute ist die Parkplatzsituation an etwa 30 Tagen im Jahr sehr kritisch, Mitarbeiter und Flugzeugbesatzungen müssen auf weit entfernte Parkplätze ausweichen. Die absehbare Zunahme an Lokalpassagieren wird auch die Nachfrage nach Parkplätzen erhöhen. Vom Antrag für rund 8000 Parkplätze, den wir gestellt haben, entfallen etwa 7000 auf Passagiere, der Rest auf den Circle.

Thema Lärmschutz: Das Bundesgericht hat den Flughafen verpflichtet, die auf 2013/15 angekündigte Revision der Lärmgebühren vorzuziehen. Wann wird diese jetzt erfolgen?
Die lautesten Flugzeuge müssen bereits seit April höhere Gebühren bezahlen. In der kurzen Frist bis September werden wir auch ein neues Modell vorlegen.

In welche Richtung wird das gehen?
Wir werden uns an die Vorgaben des Bundesgerichts halten. Es werden mindestens 50 Prozent aller Flieger Lärmgebühren zahlen müssen; weil die Flieger immer leiser werden, sind das heute unter 10 Prozent. Zudem sollen die Tagesrandstunden teurer werden, um eine gewisse Lenkungswirkung zu erzielen.

Das System wird also ähnlich sein wie heute.
Das ist richtig. Das System hat sich bewährt und ist verlässlich. Man muss es aber an die neuen Lärmpegel anpassen und mit neuen Gebühren versehen.

Ende Jahr muss das Schallschutzkonzept für Südanflüge stehen.Wie stellen Sie sich dieses vor?
Das Bundesgericht hat uns einen Auftrag gegeben, wir werden den erfüllen. Er ist aber wenig konkret und in den Optionen offen, was die Aufgabe komplex macht.

Bald wird über den Pistenbaustopp abgestimmt. Was würde ein Ja für den Flughafen bedeuten?
Das würde ein ganz schlechtes Signal aussenden: Wir drosseln den Wirtschaftsmotor Flughafen Zürich. Die Initiativen sind unnötig, denn bereits heute ist jeder Ausbau einer Piste dem fakultativen Referendum des Zürcher Souveräns unterstellt. Der letzte Pistenausbau war übrigens Mitte der 70er-Jahre. Zudem sind die beiden Vorlagen schädlich, weil sie den Status quo zementieren würden und uns auch im Bereich der Lärmbelastung Verbesserungen verwehrt blieben. Könnte die Piste 28 verlängert werden, würden zum Beispiel weniger Menschen belärmt.

Es glaubt Ihnen aber niemand, dass Sie diese Option nur zu Zwecken des Lärmschutzes nutzen würden.
Das verstehe ich. Aber man muss sehen, dass die Verlängerung der Piste 28 einen stabileren Landebetrieb aus dem Osten zulassen würde. Und da im Osten in der Anflugschneise weniger Leute wohnen als im Süden, würden rein quantitativ weniger Leute belärmt. Wer Angst hat, dass mit diesem Ausbau auch vermehrt Abflüge Richtung Westen geführt würden, der irrt. Denn in der Verlängerung dieser Piste steht ein Berg, der das verunmöglicht. Es geht um Landungen.

Einerseits wollen Sie also keine Schranken, anderseits sagen Sie aber, Sie wollten die Kapazität nicht steigern. Wie machen Sie das dem Stimmbürger klar?
Zunächst einmal: Wer zweimal Nein sagt, sagt Ja zum Flughafen und zum Wirtschaftsmotor Zürich. Doch es ist tatsächlich so, dass keine der Varianten, die jetzt noch Teil des sogenannten SIL-Prozesses sind, zu mehr Kapazität führt. Die theoretische Maximalkapazität liegt immer bei maximal 350\'000 Flugbewegungen, heute sind wir bei 270\'000. Ich betone: theoretisch. Denn bei den Spitzenkapazitäten, die durch die Abflugwellen der Swiss bedingt sind, sind wir bereits heute am Anschlag.

Ist die Parallelpiste vom Tisch?
Ich bedaure sehr, dass die Parallelpiste im Sinne einer vorsorglichen raumplanerischen Sicherung im Moment nicht mehr im SIL-Prozess drin ist. Es war ja nie die Meinung, sofort eine Parallelpiste zu bauen. Deshalb verstehen wir nicht, weshalb der damalige Verkehrsminister diese aus dem SIL gekippt hat. Hier wurde eine Chance für die nächsten Generationen vertan.

Die Swiss wünscht sich auch die Verlängerung der Piste 32 und die Möglichkeit, nach Süden zu starten.
Unsere favorisierte Variante ist J optimiert. Diese bedingt in der Tat eine Verlängerung der Pisten 28 und 32, um einen stabileren und lärmgünstigeren Betrieb zu ermöglichen. Gleichzeitig ist im SIL-Prozess bei den Abflügen nach Süden eine Variante enthalten, die bei Nebel und Bise zum Verspätungsabbau Abflüge von der Piste 16 nach Süden geradeaus erlaubt. Dieses kleine Ventil macht Sinn.

Und die Auseinandersetzung mit Deutschland? Glauben Sie nach all den Jahren noch an eine einvernehmliche Lösung?
Wir haben seit 2003 das Verbot, Zürich am frühen Morgen und am Abend über den süddeutschen Raum anzufliegen. Zudem macht die deutsche Seite Druck, die Anzahl der Flüge zu beschränken. Das wäre eine Verschärfung, die das System sehr schlecht absorbieren könnte. Ich hoffe, die Politik findet eine Lösung, die für beide Seiten gut ist.

Ihnen sind die Hände gebunden?
Der Flughafen liefert fachliche und sachliche Argumente, macht aber keine Politik. Aber: Am Flughafen Zürich werden 70 Prozent der Passagiere durch Fluggesellschaften befördert, die direkt oder indirekt in deutscher Hand sind. 16 Prozent aller Passagiere haben Wohnort in Deutschland. Der Flughafen leistet also nicht nur für die Schweiz einen Dienst.

Nur beweisen Sie Tag für Tag, dass der Betrieb auch mit den deutschen Einschränkungen bestens läuft.
Da haben Sie recht. Wenn Sie als bester Flughafen Europas ausgezeichnet werden, haben Sie Mühe, gegen die Einschränkungen zu argumentieren. Aber man muss sehen: Wir haben wegen der Einschränkungen am Morgen eine rund 20 Prozent tiefere Kapazität, der Flugbetrieb ist störungsanfälliger geworden.

Der Flughafenbetrieb ist durch Umbauten eingeschränkt: Warten Sie sehnlichst auf das Ende?
Solange am Flughafen gebaut wird, so lang lebt der Flughafen. Aber wir warten sehnlichst auf den Abschluss gewisser grosser Projekte: Am 1. Dezember werden wir sowohl das Dock B wie auch das Gebäude für die zentralisierte Sicherheitskontrolle in Betrieb nehmen.

Man kann selber einchecken, aber bei der Gepäckabgabe muss man oft lange warten. Was tun Sie dagegen?
Wir testen effizientere Methoden an allen Nadelöhren im Passagierweg. Viele Passagiere schätzen das, andere brauchen noch Unterstützung. Heute stehen wir am Anfang der Entwicklung in Richtung Selbstbedienung bei Flugreisen. Die nächste Generation wird mit Web-Check-in, Baggage-Drop-off oder Self-Check-in bestens umgehen können. Aber denken Sie daran: Der Flughafen ist nicht für die Automatisierung gebaut worden, wir müssen diese Infrastruktur erst schaffen. Das neue Check-in-2, das wir jetzt umbauen, wird den neuen Technologien genügen.

Wartezeiten sind aber unerfreulich.
Der Flugbetrieb in Zürich läuft in Wellen. Da kommt es automatisch zu temporären Wartezeiten, die jedoch eine bestimmte Grenze nicht überschreiten dürfen. Bei der Sicherheitskontrolle etwa darf die Wartezeit maximal zehn Minuten sein, bei der Passkontrolle für Abflüge sechs Minuten. Das kann leider nicht immer eingehalten werden, weil die Wellen immer akzentuierter werden. Wir können die Infrastruktur nicht nur auf diese Spitzen ausrichten und den Rest des Tages ungenutzt lassen.

Was bringt diesbezüglich die neue zentralisierte Sicherheitskontrolle?
Die 26 Kontrollstellen auf 4 Stockwerken bringen ab Dezember eine wahrnehmbare Qualitätssteigerung, auch in zeitlicher Hinsicht. Zudem wird der Flughafen berechenbarer, weil zumindest die Schengen-Passagiere bereits alle Kontrollen hinter sich haben und nur noch zum Gate gehen müssen. Da bleibt dann hoffentlich auch Zeit fürs Shopping. Ein Flughafen hat kein Interesse an langen Wartezeiten. Er hat aus kommerziellen Überlegungen aber sehr wohl ein Interesse an Verweilzeiten, fürs Einkaufen, Essen oder Ausruhen.

Tages-Anzeiger, 18.07.2011

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