18\'800 deutsche Grenzgänger (Leserbriefe TA)

Publiziert von VFSNinfo am
Mit ihrem Kommentar «Schweizer Politiker sind sich nicht bewusst, was sie verlangen» zu den Forderungen von Landrat Tilman Bollacher, Waldshut, war/ist TA-Redaktorin Liliane Minor auf dem Holzweg.   Besonders ausgeprägtes Verständnis oder sogar Mitleid mit den Süddeutschen scheint mir unangebracht. Denn: Einer von zwanzig Flugpassagieren wohnt in Baden-Württemberg, das ist mehr, als zum Beispiel Basler oder Luzerner ab Zürich fliegen. Wäre Südbaden ein Kanton, läge er an fünfter Stelle der Nutzer (hinter Zürich, Aargau, Bern und St. Gallen). Im grenznahen Deutschland (Lörrach, Tuttlingen, Konstanz) hat der Flughafen Zürich einen Marktanteil von 25 Prozent und mehr. Zürich ist de facto ein Lufthansa-Hub: Zwei Drittel aller Passagiere fliegen mit einer deutschen Fluggesellschaft (Swiss: 56,3%, Lufthansa: 4,3%, Air Berlin: 6,8%) ab Zürich. Auf dem Gebiet des Kantons Zürich arbeiten etwa 4\'400, im gesamten grenznahen Zürcher Wirtschaftsraum (Aargau, Zürich, Schaffhausen, Thurgau) etwa 18\'800 Grenzgänger aus Deutschland, die fast ausschliesslich aus Baden-Württemberg stammen. Das Grenzgängertum in die umgekehrte Richtung spielt dagegen eine vernachlässigbare Rolle. Deutsche Staatsbürger sind darüber hinaus die stärkste Gruppe von Nichtschweizern im wirtschaftlich nicht zuletzt wegen des Flughafens sehr leistungsfähigen Grossraum Zürich. Im Kanton Zürich wohnen rund 70\'000 Deutsche. Das führt paradoxerweise dazu, dass durch die DVO mehr Deutsche belärmt werden, als wenn nach Regime 2000 geflogen würde. Wenn sich Tilman Bollacher über die Anflüge beschwert und meint, 80\'000 seien das Äusserste, was zumutbar sei, so möchte ich daran erinnern, dass die Einwohner des Kantons Zürich jährlich mit 270\'000 Bewegungen leben, die Hälfte davon sind gegenüber Landungen ungleich lautere Starts.
Thomas O. Koller, Zürich
Komitee Weltoffenes Zürich

Zu viel Verkehr aus Deutschland.
Tilman Bollacher möge mal die Pseudokrupp-kranken Kinder in der Innerschweiz besuchen. Auch wegen der Personenwagen und des Lastwagenverkehrs aus Deutschland hat es in der Innerschweiz meines Erachtens zunehmend Lärm und Abgase; nicht nur Kinder werden davon krank. Ich bin der Meinung, dass die Schweiz einmal während der Ferienzeit die Durchfahrt für deutsche PW und LKW für eine Woche sperren sollte.
Dorli Läubli, Zürich

Beide sind aufeinander angewiesen.
Wenn man die Presseberichte süddeutscher Politiker auf die Veröffentlichung der Lärmmessergebnisse zum Flughafen Zürich betrachtet, muss man erstaunt und erschreckt zugleich feststellen, wie schnell längst überwunden geglaubte Grenzen plötzlich wieder errichtet werden. Und sei es nur in den Köpfen Einzelner. Dabei dokumentiert die von den nationalen Fachstellen Deutschlands und der Schweiz auf Basis aktuellster deutscher Gesetzesvorschriften erstellte Lärmmessung ein eindeutiges Ergebnis hinsichtlich der vom Flughafen Zürich auf die umliegenden Regionen ausgehenden Lärmbelastung. Es ist somit müssig, sich mit nachgereichten «Gutachten» und behaupteten Lärmgrenzwerten auseinanderzusetzen. Trotz der entbrannten Kontroverse, Fakt ist und bleibt: Bei der Region Südbaden-Nordschweiz handelt es sich um eine gesellschaftlich wie wirtschaftlich sehr eng verbundene und daher in Europa sehr erfolgreiche Grenzregion. Dieser Erfolg macht aber auch abhängig, weshalb die beiden Regionen in wichtigen Lebensbereichen sehr stark aufeinander angewiesen sind. Der rege Waren- und Personenverkehr zwischen den beiden Ländern ist eine grundlegende Voraussetzung, dass hier auch in Zukunft Wirtschaftswachstum stattfinden kann. Dieses Wirtschaftswachstum wird bekanntlich zu einem bedeutenden Teil von der regionalen Exportwirtschaft vorangetrieben. Grundvoraussetzung für einen florierenden Aussenhandel mit der übrigen Welt ist aber Mobilität – dazu zählt auch das Fliegen. Und hierfür stellt der Flughafen Zürich der Schweiz, aber auch Südbaden die erforderliche Infrastruktur zur Verfügung. Bei uns hört die Welt also nicht einfach auf der anderen Seite des Rheins auf zu existieren, wie dies von Zonengrenzen her bekannt ist. Ganz im Gegenteil: Zunehmend funktionale Räume und immer weniger politische Verwaltungsstrukturen bestimmen die Realität. Ein an Landesgrenzen orientiertes Denken ist folglich überholt. Die jüngsten, von beiden Verhandlungsparteien akzeptierten Ergebnisse über die Lärmbelastung bieten daher eine grosse Chance, ein zukunftsfähiges An- und Abflugregime am Flughafen Zürich zu entwickeln, das den Bedürfnissen der Gesamtregion gerecht wird. Diese Chance sollten sich die Verantwortlichen in Berlin und Bern nicht schlecht reden lassen.
Rudolf Weber, Steinmaur,
Unternehmerinitiative Wirtschaftsraum DCH (Kopräsident)

Tages-Anzeiger, 17.12.2009, Seite 15



siehe auch:
Weniger Flüge statt mehr: Waldshut heizt den Fluglärmstreit an (TA)