Kämpfer und Seelsorger (ZSZ)

Publiziert von VFSNinfo am
Thomas Morf - Wie der Kampf gegen die Südanflüge sein Leben verändert hat
Der Morf: Das ist doch der Oberschneiser mit der gelben Kappe. Und was noch? Erstmals erzählt Thomas Morf, wie er zu seiner Rolle gekommen ist und wie stark sie sein Leben verändert hat.

von Andreas Schürer

Die Passion des Thomas Morf: Mountainbikefahren. 31 000 Höhenmeter hat er letztes Jahr zurückgelegt. Dieses Jahr werden es ähnlich viele sein. (Reto Schneider)

Die Zeit vergeht im Flug. Am 30. Oktober wird es schon fünf Jahre her sein, seit um 6.09 Uhr das erste Flugzeug über Süden den Flughafen Kloten anflog, seit Thomas Morf im Morgengrauen mit gelber Schneisermütze auf dem Pausenplatz des Schulhauses in Gockhausen stand, ein Mikrofon in die Höhe hielt und vor 500 Leuten rief: «Wir stehen hier zusammen, weil wir uns nicht unterjochen lassen.» Jetzt sitzt Thomas Morf in seinem Büro im ersten Stock seines Einfamilienhauses in Pfaffhausen, staunt über die «Zeit, die rast», und sagt: «Ich hätte nie geglaubt, dass es ein so langer Kampf wird.» Nach einer Widerstands-Zentrale sieht sein Büro nicht aus. Hier könnte auch ein Versicherungsberater seine Kunden empfangen. Schreibtisch, Computer, Bücherregal mit privater Sammlung von Cola-Dosen aus aller Welt, Sitzungstisch mit zwei frischen und einer leicht verwelkten Sonnenblume. Nur die schneisergelbe Farbe der Ordner weist darauf hin, dass hier der Mann wirkt, der es in den letzten fünf Jahren zu nationaler Bekanntheit gebracht hat: Als Oberschneiser oder wie er es oft zu hören bekommt: Als «der Morf mit der gelben Kappe, der dummes Zeugs schwatzt und immer Nein sagt».

Begonnen hat alles bei «Sabi»

Doch Morf spricht ganz vernünftig und erinnert sich im Gespräch, wie alles angefangen hat und wie stark sich sein Leben verändert hat seit jenem Sommer 2002, als ruchbar wurde, dass über Süden angeflogen werden soll. Morf war damals hoch oben auf der beruflichen Karriereleiter angelangt: Der gelernte Vermessungsingenieur hatte es zum Mitglied der Direktion einer Schweizer Grossbank gebracht und gerade eine neue Organisationseinheit in der EDV aufgebaut. 49 Jahre alt war er damals, sein Sohn 19, die Tochter 16. Dann besprach er mit Nachbar Urban Scherrer, dass man etwas unternehmen müsse gegen die Südanflug-Pläne. Sie beschlossen, möglichst viele Leute zu einer Einsprache zu bewegen. Also gingen sie zu «Sabi» ins Dorflädeli in Pfaffhausen, mit Katasterplan und Laptop und Drucker, sodass die Leute ihr Einspracheformular gleich ausfüllen konnten. Die Aktion sei symptomatisch gewesen für die weitere Arbeit, sagt Morf: «Es war uns immer wichtig, professionell vorzugehen.»

Unglück am Gründungsabend

Kurze Zeit später, am 1. Juli 2002, sassen Morf und Scherrer und etwa fünf andere, die sich wehren wollten, im Kindergarten von Pfaffhausen zusammen und gründeten den Verein, den sie Flugschneise Süd - Nein (VFSN) nannten und der inzwischen rund 5000 Mitglieder hat. Tragische Ironie: Das Sicherheitsrisiko, ein Kernargument der Schneiser, zeigte sich ausgerechnet an genau diesem Gründungstag des VFSN, kurz vor Mitternacht: In Überlingen kollidierten ein Passagierflugzeug der Bashkirian-Airlines und eine DHL-Frachtmaschine.Gecrasht ist auch Morfs Bank-Karriere. Grund: eine interne Reorganisation. Danach entschied sich Morf ganz für die Sache der Schneiser: «Ich hatte eine Verantwortung übernommen, die ich nicht einfach so ablegen konnte und wollte.» Was nämlich harmlos in der Kleingruppe auf Holzstühlen im Kindergarten begann, hatte sich rasant entwickelt: Die Mitgliederzahl stieg schnell an, die Stimmung heizte sich auf, die Medien interessierten sich für die Bewegung der vielen gut betuchten Bürger, die sich mit gelben Protestutensilien eindeckten, erstmals im Leben an Demos gingen und mit Steuerboykott drohten. Morf, Präsident des VFSN geworden, «weil einer es machen musste», war gefordert - und im Element. Bald schon arbeitete er mehrheitlich für den VFSN, trat in Zeitungen auf und wetterte auf allen Kanälen gegen Bundesrat Leuenberger, Unique und «alle anderen Flughafenturbos» auf dieser Welt.

Akribisch Fakten sammeln

Und so wurde sein Präsidialamt wie ein neuer Beruf. Heute noch nimmt die Arbeit für den VFSN einen Grossteil seines Pensums ein. Galt es am Anfang vor allem, Stimmung zu machen und zu mobilisieren, sei heute Dossierkenntnis gefragt, sagt Morf - zum Beispiel um Politiker zu überzeugen, dass die Begründung für die Ablehnung des gekröpften Nordanflugs ein Irrwitz sei und blossstelle, dass das «No go» nur politisch motiviert sei. Hunderte Stunden hat Morf damit verbracht, sich mit Aviatik-Themen vertraut zu machen. Selbst Kritiker attestieren ihm heute gute Fachkenntnisse. Er selber sagt: «Ich bin mir bewusst, dass ich keine aviatische Ausbildung habe. Aber ich sammle akribisch Fakten und suche das Gespräch mit Spezialisten.» Für den VFSN erstellt Morf so Dossier für Dossier, Merkblatt für Merkblatt. Das Entgelt für seine Vereins-, Lobby- und Dossierarbeit: «Ich erhalte seit 2004 eine Entschädigung vom VFSN, mit der ich überleben kann.» Was er zusätzlich mit seiner Firma Kallisto als Projektmanager und Public-Affairs-Experte verdient, sei das «Butter auf dem Brot».In der Selbständigkeit läuft es Morf aber noch nicht wie gewünscht. Er hat gehofft, dass ihm gerade in der Südschneise durch seine Bekanntheit Türen offen stehen - doch «vielleicht wissen viele einfach nicht, dass ich am Markt bin», sagt er. Oft scheitere ein Mandat aber gerade wegen seiner VFSN-Aktivität. «Sind Sie deeer Morf?», heisse es dann, und seine Antwort laute: «Ich weiss zwar nicht, welchen Morf Sie meinen, aber ich bin deeer.» Immerhin: Erste Erfolge in der Selbständigkeit hat er vorzuweisen. So hat er als Kampagnenleiter des Komitees Pro Winkelwiese in der Stadt Zürich eine Abstimmung im Gemeinderat und eine Volksabstimmung gewonnen. Und er hat eine Akkreditierung als Lobbyist im Bundeshaus erhalten, kann dort für die Sache der Schneiser kämpfen - «und könnte auch andere Interessen vertreten», wie er betont.

«Seelsorger» für Schneiser

Dass er als VFSN-Präsident exponiert ist, spürt er auch privat: «Gruselkabi- nett» nennt er das Dokument, in dem er wüste Mails sammelt. Per Post hat er zweimal Morddrohungen erhalten.Stark geschadet habe ihm die Pauschalisierung in den Medien von Aktionen einzelner Schneiser. Ob Rentner Piloten mit Taschenplampen blenden oder sich einige Schneiser in Internetforen primitiv äussern, immer werde er als «Oberschneiser» automatisch mitverantwortlich gemacht. Dabei werde verkannt, dass er im Hintergrund genau das Gegenteil anstrebe: aufgebrachte Schneiser zu beruhigen. In manchen «heissen Phasen» sei er «fast eine Art Seelsorger» gewesen, der beigetragen habe zu verhindern, dass das «Pulverfässchen explodiert». Auch er selber hat allerdings bereits unfreiwilligen Kontakt mit der Polizei gehabt: Wegen eines VFSN-Inserats mit 1.-August-Raketen und Flugzeugen ist er einvernommen worden - die Untersuchung ist dann aber eingestellt worden.

«Geniessbarer geworden»

Trotz «Gruselkabinett», Polizeieinvernahme und harter Selbständigkeit: «Ich bereue nichts», meint Morf. Sein steuerbares Einkommen ist gegenüber der Zeit bei der Bank zwar «extrem gesunken», aber die Lebensqualität habe «unter dem Strich» zugenommen. «Meine Tochter meint, ich sei ruhiger geworden, und auch meine Frau ist der Ansicht, ich sei geniessbarer, seit ich selbständig bin.» Jetzt hat er oft auch Zeit, Ausgleich zu suchen. Seine Leidenschaft: Mountainbike fahren. 31 000 Höhenmeter hat er im Jahr 2007 zurückgelegt, «den Pfannenstil rauf und runter» zum Beispiel. Ausdauer braucht auch der Einsatz für die Sache der Schneiser. Morf sagt: «Es ist ein Abnützungskampf geworden. Am Anfang waren wir als Bürgerbewegung interessant, inzwischen werden wir als lästig empfunden.» Wegen der langen Dauer ihres Kampfs habe zudem das Thema den Reiz für die Medien verloren. «Aber wir bleiben hartnäckig», gibt er zu Protokoll. Auch persönlich sei ihm die Kraft noch lange nicht ausgegangen - nicht zuletzt, «weil wir im VFSN-Vorstand ein super Team sind und null Energie für internen Knatsch brauchen.»

Lärmexil in Flims

Nur Ausschlafen, das kann er nicht. Er wacht schon vor sechs Uhr auf - quasi in Erwartung des ersten Südanflugs. «Für dieses Phänomen gibt es sogar einen medizinischen Begriff», sagt Morf und lacht, «wahrscheinlich müsste ich zum Psychiater.» Das macht er nicht, dafür schliesst er jeweils das Fenster, damit seine Frau eine Chance habe, weiter zu schlafen, trinkt eine Cola light, liest die Zeitung und macht sich an die Arbeit. Und wenn er doch einmal ausschlafen will, geht er nach Flims: «Dort steht unser Lärmexil, ein Wohnwagen.»

ZSZ, 17.10.2008



siehe auch:
5 Jahre illegale Südanflüge (VFSN, 05:55 Uhr Forchdenkmal)
Fünf Jahre und kein Ende in Sicht? (ZSZ, 14.10.2008)
5 Jahre Südanflüge (Leserbriefe ZSZ, 14.10.2008)
Kämpfer und Seelsorger (ZSZ, 17.10.2008)
«Nachts hört man hier jedes Reh» (ZU, 25.10.2008)
«Wir müssen den Druck aufrechterhalten» (ZSZ, 25.10.2008)
Glaube an Rechtsstaat verloren (ZSZ, 28.10.2008)
Fünf Jahre Südanflug sind genug! (PR-indside, 28.10.2008)
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