Knapp befüllte Flugzeugtanks: Piloten fürchten um Sicherheit (TA)

Publiziert von VFSNinfo am
Die Airlines zwingen Piloten, mit immer weniger Kerosin im Tank zu fliegen. Jetzt schlagen die Piloten Alarm - weil sie um die Sicherheit der Fluggäste fürchten.

Die amerikanische Pilotengewerkschaften haben bei der Flugaufsichtsbehörde FAA eine Beschwerde gegen American Airlines und US Airways eingelegt. Sie beklagen, die Sicherheit der Fluggäste sei in Gefahr, weil die Piloten beim Treibstoff sparen müssten. American Airlines (AA) habe die Piloten darauf hingewiesen, dass genau beobachtet werde, wieviel Kerosin sie für jeden Flug einplanten. Wer sich dabei nicht an die Richtlinien des Unternehmens halte, könne in letzter Konsequenz sogar entlassen werden.

AA rechtfertigte sich, dass sich die Treibstoffkosten in diesem Jahr um die Hälfte auf zehn Milliarden Dollar erhöhen dürften. «Die zusätzlichen Kosten für den Transport unnötigen Treibstoffs beeinträchtigen den finanziellen Erfolg von American», heisst es in einem Brief an die Flugdienstberater. Die Gewerkschaften kritisierten, Sicherheit habe offenbar nicht mehr Priorität. Die FAA sieht bisher keinen Hinweis darauf, dass Sicherheitsbestimmungen verletzt würden.

Landung im letzten Moment

Im März dieses Jahres meldete der Pilot eines Regionalflugzeugs, dass er bei einer Landung weniger Kerosin im Tank hatte als vorgeschrieben. Seine Fluggesellschaft erstelle sogar eine Rangliste der Piloten, die mit möglichst wenig Restsprit landeten. Der Flugkapitän meldete sich bei der NASA, die Berichte über Sicherheitsprobleme im US-Luftverkehr sammelt. Die Behörde gibt keine Namen preis, um Piloten, Flugbegleiter und Dispatcher (Flugdienstberater) zur Mitarbeit zu ermuntern.

Auf einem Flug nach New York ging einer B747 das Kerosin zur Neige, weil der Jumbo über dem Atlantik mit starken Gegenwind zu kämpfen hatte. Der Pilot meldete der NASA im Februar, er habe einen Tank-Zwischenstopp einlegen wollen, sei dann aber weitergeflogen, weil ihm der zuständige Manager seiner Fluggesellschaft gesagt habe, der Sprit reiche noch. Als er schliesslich den John-F.-Kennedy-Flughafen erreichte, hatte er so wenig Treibstoff in den Tanks, dass er bei einer Verzögerung der Landung eine sogenannte «fuel emergency», einen Spritnotfall, hätte erklären müssen. Er durfte daraufhin schneller landen.

Die Situation spitzt sich zu

Schon im September 2005 gab die NASA wegen ähnlicher Vorfälle eine Sicherheitswarnung heraus. Seitdem hat sich der Kostendruck durch den dramatisch gestiegenen Ölpreis noch verschärft und die Fluggesellschaften versuchen immer aggressiver, Kerosin zu sparen. Es sei zu Situationen gekommen, in denen Flugkapitäne den Lotsen mitgeteilt hätten, dass sie wegen Treibstoffmangels sofort landen müssten, sagte die Direktorin des Aviation Safety Reporting System (ASRS) der NASA, Linda Connell.

Zuletzt führte Kerosinmangel im Januar 1990 zu einem Unfall in der US-Verkehrsluftfahrt. 73 Menschen kamen ums Leben, als einer Boeing 707 der kolumbianischen Gesellschaft Aviancia vor der Landung in New York der Sprit ausging. Nach den Vorschriften der FAA müssen die Jets genügend Treibstoff haben, um den Ziel- oder einen Ersatzflughafen erreichen zu können, plus eine Reserve für weitere 45 Minuten Flugzeit.

Das Verkehrsministerium empfahl der FAA bereits im April, die Praxis der Airlines bei der Kerosinzuteilung landesweit unter die Lupe zu nehmen. Es verwies darauf, dass sich die Zahl der Piloten, die beim Anflug auf den internationalen Flughafen von Newark über nur noch wenig Treibstoff verfügten, seit 2005 verdreifacht habe - wenn auch bei keinem der von ihm aufgeführten 20 Flüge die 45-Minuten-Reserve unterschritten wurde.

Branchenkenner: In Europa ist der Druck kleiner

In Europa sind Reserven für 30 Minuten Pflicht, wie Niels Stüben von der Pilotenvereinigung Cockpit (VC) erläutert. Zusätzlich muss noch genügend Sprit im Tank bleiben, um einmal durchstarten zu können. Allgemein werden demnach fünf Prozent mehr Kerosin getankt als der errechnete Treibstoffverbrauch - schliesslich kann das Wetter einen Umweg erzwingen. Der Flugkapitän habe das letzte Wort, mit wieviel Sprit er letztlich seine Reise beginne, sagt Stüben.

Dem VC-Vizepräsident ist nichts davon bekannt, dass sich Piloten in Deutschland unter Druck gesetzt fühlten, mit möglichst wenig Kerosin im Tank zu starten. Er verwies auf die dramatische wirtschaftliche Situation der Branche in den USA.

Info-Box:
Warum Treibstoff ein Kostenfaktor ist Zusätzlicher Treibstoff ist in der Kostenrechnung der Airlines zusätzliches Gewicht, das die Betriebskosten erhöht. Auf einem Flug von Washington nach Los Angeles verbraucht ein Airbus A320 mit 150 Passagieren etwa 16.300 Liter Kerosin, was die Fluggesellschaft rund 14.000 Dollar (9.500 Euro) kostet. Zusätzliche 830 Liter schlagen mit weiteren 750 Dollar zu Buche.

Tages-Anzeiger, 26.08.2008