Entgleisungen eines Stadtpräsidenten (VFSN)

Publiziert von VFSNinfo am
Ein Kommentar zum Artikel: Flughafenpolitik à la Salamitaktik vom 2.8.2007 (von Martin Graf, Stadtpräsident von Effretikon im «Kiebitz», siehe unten)

Wenn ein Stadtpräsident sich zum Thema Fluglärm öffentlich äussert, so darf man ein Mindestmass an Sachkenntnis voraussetzen.
Herr Graf, Ihre Seitenhiebe auf die Südschneiser sind billigste Polemik.
Wo genau glauben Sie denn, dass Ihre flughafenfernen Südschneiser wohnen, die angeblich am lautesten rufen? In Gockhausen (Überflughöhe 300 Meter) oder in Pfaffhausen (350 m) oder gar in Zumikon 550 m)? Wenn Sie glauben, dass man da kaum je ein Flugzeug hört, sind Sie auf dem Holzweg. Warum erwähnen Sie eigentlich nicht die vielen Proteste aus dem „fernen Osten“?
Alle bangen um ihre Lebensqualität, aber den Südschneisern sprechen Sie das Recht auf Protest ab, auf Grund deren materiellen Wohlstandes! Ein merkwürdiges Rechtsverständnis.
Zu guter Letzt noch die vollkommen haltlose Unterstellung, dass Südschneiser „wohl zu den häufigsten Nutzern des Flughafens“ gehören und deshalb Schuld tragen am Fluglärm. Sie übersehen dabei, dass im Zeitalter der Billig-Airlines das Fliegen längst nicht mehr eine Frage des dicken Portemonnaies ist.
Zu den Nutzern des Flughafens müsste man wohl auch all die vielen tausend Arbeitnehmer zählen, die in Kloten ihr Geld verdienen. Ob die auch alle in der Südschneise leben?

Verein Flugschneise Süd - NEIN
Yvonne Wewerka, Pressestelle



«Kiebitz», 02.08.2007, Mein Standpunkt von Martin Graf, Stadtpräsident Illnau-Effretikon

Flughafenpolitik à la Salami Taktik

Es lebe das Sankt Florians Prinzip!

Schon immer war klar: Die Flughafenpolitik ist ein betroffenheitsdemokratischer Spielball zwischen Verursachern, Nutzern, Betroffenen und Abseitsstehenden.

Nutzer bangen um Freiheit

Die Verursacher, Unique und die Fluggesellschaften, bangen um ihr Geschäft. Jedenfalls argumentieren sie so, um sich alle Optionen offen zu halten. In diese Optionen (Flughafenausbau, Swissair-Sanierung, und andere) haben Staat und Private allerdings bereits Milliardenbeträge investiert, ohne nachgewiesenen «Return on Investment».

Die Nutzer, vorab die inländischen Fluggäste, bangen um ihre Freiheit. Sie wollen zu jedem Zeitpunkt irgendwohin fliegen können, selbst wenn sie dies unterschiedlich intensiv nutzen und im innereuropäischen Verkehr mit der Bahn leistungsfähige Alternativen zur Verfügung stehen.
Die Betroffenen, die Einwohnerschaft der Flughafenregion und der Anflugschneisen, bangen um ihre Lebensqualität. Eindeutig messbarer Fluglärm und unsichtbare Luftverschmutzung beeinträchtigen ihr Leben je nach Wohnort massiv bis wenig. Am lautesten rufen solche, die kaum je ein Flugzeug hören, die flughafenferneren «Südschneiser», vermutlich weil sie sich aufgrund ihres materiellen Wohlstandes mehr legitimiert fühlen, zu fordern. Sie unterschlagen dabei, dass sie gleichzeitig wohl zu den häufigsten Nutzern gehören. Offenbar sollen die Folgen ihres Verhaltens vor allem andere spüren.
Und die grosse Zahl an Abseitsstehenden? Sie bangen nicht. Das Thema ist ihnen egal, ist es doch nach 40 Jahren flughafenpolitischer Debatten mehr als abgedroschen.

Und was unternimmt die Politik?

Die politischen Mehrheiten trimmen sie auf Salami Taktik. Aus Angst, unpopuläre Entscheide zu fällen, bleibt sie unverbindlich, konzentriert sich auf das Einbringen von zahllosen Vorschlägen in zahnlosen Kantonsratsdebatten. Klare Botschaften wären verheerend für die nächsten Salamischeiben.
Und das Volk? Es zersplittert sich in unzählige betroffenheitsgetriebene Bürgerbewegungen und Interessengruppen. Die sorgen sich um ihr eigenes Wohl und jenes ihrer Sympathisanten. Sie kämpfen für sich, fallweise gegen die anderen und immer gegen die Politik des Aussitzens. Je mehr sie kämpfen, desto mehr sitzt die politische Mehrheit aus. Denn diese ist überzeugt, dass der Markt die Sache regelt, wie er übrigens alles regelt auf dieser Welt: die Kriege, die Umweltverschmutzung, die Ausbeutung der Schwachen, die Abholzung der Wälder und die Verschwendung der natürlichen Ressourcen.
Seit über sieben Jahren ist der Flughafen eine selbständige AG. Die Anzahl der Flugbewegungen in Kloten liegt derzeit bei 260\'000 pro Jahr und stagniert. Ein Sechstel davon sind Privat- und Businessflieger mit durchschnittlich ein bis zwei Passagieren pro Flug. Ihr Anteil wächst rasant, 2006 mit einem Plus von 8,2 Prozent, in der ersten Jahreshälfte 2007 sogar mit 15,2 Prozent. Dock Midfield beschert den Fluggästen einen Zustieg ins Flugzeug, der zusätzlich Zeit und Nerven kostet. Der Verkehr in der Schweiz verbraucht einen Drittel der Energie und produziert 48 Prozent des CO2. Der Flugverkehr ist daran zu einem Fünftel beteiligt, Tendenz steigend. Er ist der einzige Verkehrsträger, der auf seinem Treibstoffverbrauch keine Steuern entrichtet.

Privatisierung war Fehlentscheid

Nachträglich gesehen war die 5. Ausbauetappe eine Fehlinvestition. Nur dank «Schengen» erhält sie noch eine späte Funktion. Die Privatisierung samt Grund und Boden war ein politischer Fehlentscheid. Nun fehlt die Möglichkeit einer direkten demokratischen Mitsprache. Theoretisch hätten wir sie noch, über die Aktienanteile von Kanton, Stadt Zürich, Beamtenversicherungskasse und ZKB. Zudem verfügt unsere Regierung über eine Sperrminorität im Verwaltungsrat.
Die Fliegerei braucht klare gesellschaftliche Grenzen. Noch fehlen sie. Der vom Kantonsrat «verbesserte» Zürcher Fluglärmindex (ZFI plus) ist untauglich. So warten wir denn auf das Verdikt des Stimmvolkes zu den vier anstehenden Initiativen. Über die erste, die «Initiative für eine realistische Flughafenpolitik», wird im November abgestimmt. Vielleicht hat das Sankt FloriansPrinzip dann endlich ein Ende.