Kein voreiliger Verzicht auf längere Pisten (NZZ)

Publiziert von VFSNinfo am

Vermutlich gibt es zahlreiche Zeitgenossen, die die Abkürzung SIL schon gar nicht mehr hören mögen oder sich bei ihrer Erwähnung gelangweilt abwenden. Zu lange schon diskutiert man an runden und eckigen Tischen über den damit gemeinten Sachplan Infrastruktur Luftfahrt des Bundes und namentlich das Objektblatt für den Flughafen Zürich. Ein erster Anlauf zu dessen Erarbeitung scheiterte 2002 an den divergierenden Interessen rund um den Flughafen, danach beschloss der Bund die Durchführung einer Mediation zur Klärung der strittigen Fragen. Diese scheiterte in Rekordzeit am Anspruch auf Konsens, die Gesprächsrunde war von Beginn an so zerstritten, dass die Übung schon nach dem zweiten Treffen abgebrochen wurde.

«ES LÄUFT ALLES GUT»

Ausgestattet mit der Erkenntnis, dass sich der Fluglärmkonflikt nicht in Minne lösen lässt, nahmen UVEK, Kanton Zürich und Flughafen Zürich AG im Jahr 2004 einen neuen Anlauf für einen SIL-Koordinations-Prozess. Zunächst wollte man das Projekt bis Ende 2007 abschliessen, musste aber schnell eine zweijährige Verlängerung anhängen. Nun scheint man aber im Zeitplan zu sein: «Es läuft alles gut im Moment» lautet die offizielle Sprachregelung der kantonalen Volkswirtschaftsdirektion. Am kommenden 6. Juli wollen sich die beteiligten Parteien unter Einbezug der Kantone Aargau und Schaffhausen auf eine künftige Betriebsvariante einigen. Zur Auswahl stehen 19 Vorschläge, die im vergangenen Dezember der Öffentlichkeit vorgestellt worden sind. 7 Varianten enthalten Konzepte für das bestehende Pistensystem, 6 basieren auf der Verlängerung der Westpiste 10/28 und der Hauptlandepiste 14/32, und weitere 6 Betriebsvarianten arbeiten mit einer neuen Parallelpiste zur Landebahn 16/34 anstelle von 14/32.

Einige Positionsbezüge liegen bereits vor. Diese Woche waren Behördenvertreter der zwölf Zürcher Bezirke bei Regierungsrätin Fuhrer zu Gast. Die sogenannte Konsultative Konferenz brachte ein relativ klares Resultat. Drei Viertel der Bezirke sprachen sich für eine Nord- oder Nord-/Ost-Ausrichtung des Flughafens und eine Konzentration der Flugbewegungen aus. Im Weiteren plädierte die Hälfte der Bezirke mit etwa zwei Dritteln der Zürcher Bevölkerung für eine Variante mit Pistenverlängerung. Die Nachbarkantone haben sich zwar noch nicht offiziell geäussert, dem Vernehmen nach stehen sie den Varianten mit Änderungen am Pistensystem aber skeptisch gegenüber. Bereits im Dezember, unmittelbar nach der Präsentation der Varianten, hatte sich auch die Zürcher Regierung gegen die 12 Varianten mit Pistenverlängerungen und Parallelpisten ausgesprochen. Die federführende Volkswirtschaftsdirektorin musste den Entscheid damals offensichtlich à contrecœur vertreten, sie war von einer klaren Mehrheit der Regierungskollegen überstimmt worden.

ÜBEREILTES NEIN DER REGIERUNG

Der Entscheid der Regierung war damals voreilig gefällt worden, und es wäre zu wünschen, dass sie - in neuer Zusammensetzung und nach längerer Bedenkzeit - noch einmal über die Bücher geht. Die Bezirke haben ihr hierzu mit ihren Stellungnahmen den idealen Steilpass zugespielt. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt schiene es ratsam, den Fächer auf die Varianten mit Pistenverlängerungen zu erweitern. Ein Parallelpisten-System dagegen ist ein derart gigantisches und politisch prekäres Projekt, dass sich eine vertiefte Auseinandersetzung damit derzeit nicht aufdrängt.

Warum ein SIL-Objektblatt mit Pistenverlängerungen, aber ohne Parallelpisten? Der SIL ist noch kein Betriebsreglement, sondern setzt nur den Rahmen für die künftige Nutzung des Flughafens. Deshalb gilt es, ein vernünftiges Gleichgewicht zu finden zwischen der Offenhaltung von langfristigen Optionen für den Flughafen und den gegenwärtigen politischen Opportunitäten. Der Flugverkehr ist, wie jüngste Zahlen wiederum bestätigt haben, im Wachstum begriffen. Der Flughafen Zürich ist der wichtigste im Land, und man darf ihn nicht auf Vorrat korsettieren. Pistenverlängerungen, die vor dem Baubeginn ohnehin noch durch das Volk abgesegnet werden müssten, dienen nicht prioritär einer Strategie zur Steigerung der Kapazität des Flughafens, sondern auch der Verbesserung der Betriebssicherheit und -stabilität. Zudem können sie helfen, die von der Mehrheit gewünschte Konzentration der Flugbewegungen in dünner besiedeltem Gebiet im Norden und Osten des Flughafens zu fördern.

Gleichzeitig wird man im SIL die Variante Südanflug offenhalten müssen. Eine Einigung mit Deutschland ist in weiter Ferne, und wenn eine solche eines Tages zustande kommt, kann man nicht davon ausgehen, dass der Urzustand mit dem Hauptgewicht auf Nord- und wenigen Ostanflügen wiederherstellbar ist. Die künftige Betriebsvariante muss aber auch den gekröpften Nordanflug enthalten. Dieser ist in seiner jetzt beantragten Form zwar noch ein kleines Pflaster auf einer grossen Wunde. Man darf jedoch hoffen, dass er mittelfristig robuster ausgestaltet wird (Instrumenten- statt Sichtanflug) und damit stärker zur Entlastung im Süden beitragen kann. Besonders wichtig ist er auch als Zeichen gegenüber den deutschen Nachbarn, dass man sich nicht alles bieten lassen will und dazu bereit ist, bei der Suche nach Alternativen alle Register zu ziehen.

Weniger tauglich als Alternative wäre die Offenhaltung der raumplanerischen Optionen für ein Parallelpisten-System. Mit einem derartigen Schritt würden sich die SIL-Verantwortlichen gleich an mehreren Fronten tief in die Nesseln setzen. Er würde dem Flughafen potenziell mehr schaden als nützen. Hier gilt es, die konzilianter gewordene Haltung der Nachbarkantone, vor allem des Aargaus, hervorzuheben. Der Regierungsrat hat dort zuletzt durchblicken lassen, dass er unter Umständen bereit wäre, die Kröte gekröpfter Nordanflug zu schlucken. Seine Duldung durch den westlichen Nachbarkanton ist wichtig und könnte durch eine offensive Parallelpisten-Strategie gefährdet werden.

BELASTENDE PARALLELPISTEN

Auch innerhalb des Standortkantons würden Pläne für Parallelpisten wohl wenig Wünschenswertes bewirken. Volkswirtschafts- und Flughafendirektion sind sich einig, dass der Flughafen nicht gegen eine Bevölkerungsmehrheit betrieben werden kann und soll. Mit andern Worten wollen sich Unique und die Regierung eine Mehrheit für ihre Flughafenpolitik sichern. Diese Mehrheit wird in den kommenden Jahren wiederholt auf die Probe gestellt werden. Derzeit befinden sich nicht weniger als vier Flughafen-Initiativen in der Pipeline. Die erste davon, die Plafonierungsinitiative, kommt am 25. November zur Abstimmung. Mitten im Abstimmungskampf gegen die schädliche Bewegungsbegrenzung stünden Pläne für Parallelpisten schräg in der Landschaft. In den kommenden Jahren wird das Zürchervolk dann voraussichtlich über die Behördeninitiative mit einem Plafond bei 320 000 Bewegungen, über ein Ausbauverbot bei sämtlichen Pisten und über die soeben zustande gekommene Verteilungs-Initiative abzustimmen haben. Gegen all diese Begehren braucht es Mehrheiten, und mit diesen muss die Regierung sorgfältig umgehen.

NZZ, 09.06.2007