«Wie in einer Bananenrepublik» (NZZ)

Publiziert von VFSNinfo am

Gegner des Südanflugs im Gespräch

Am frühen Donnerstagmorgen sollen erstmals Südanflüge auf Piste 34 stattfinden. Im Gespräch mit Adrian Krebs äussern sich Richard Hirt, Kantonsrat und Präsident der Gemeinde Fällanden sowie der Behörden-Plattform Fluglärmforum Süd, und Thomas Morf, Präsident der Bürgerinitiative «Flugschneise Süd - Nein», zum Kampf gegen das neue Verfahren und zu ihrer Frustration über das Vorgehen von Unique und Behörden.

Der Südanflug wird kommen, oder haben Sie noch Hoffnung, dass sich etwas ändert?

Thomas Morf: Die Hoffnung ist mit dem Entzug der aufschiebenden Wirkung der Beschwerden am Montagmorgen erloschen. Mein Glaube an den Schweizer Rechtsstaat ist seither kaputt. Bundesrat Leuenberger hat schon vor 14 Tagen gesagt, wie das Resultat aussehen muss. Ich befürchte, dass zwischen dem UVEK und der Rekurskommission die Gewaltentrennung fehlt. An der Begründung sieht man, wie menschenverachtend die Zuständigen denken. Imageverlust und finanzielle Einbussen von Unique werden höher gewichtet als die Lebensqualität und die Sicherheit von 200 000 Menschen.

Richard Hirt: Nein, ein anderer Entscheid der Rekurskommission UVEK wäre einem Wunder gleichgekommen. Auch mein Vertrauen in den Rechtsstaat ist stark erschüttert. Das zeitliche Zusammenfallen der Medienkonferenz des UVEK- Chefs und der Bekanntgabe des Rekursentscheids deutet auf eine konzertierte Aktion hin. Ausserdem wurde der Kantonsrat völlig ausgeschaltet. Was jetzt gemacht wird, widerspricht dem kantonalen Richtplan völlig, und der Regierungsrat lässt diesen Rechtsbruch zu. Es scheint mir, die Regierung vertritt lieber die Interessen von Unique als diejenigen des Volkes.

«Sitzstreik wäre eine Option»

Herr Morf, Ihre Organisation hat angekündigt, sie wolle den ersten Südanflug verhindern. Wie wollen sie das bewerkstelligen, ohne die Grenzen der Legalität zu überschreiten?

Morf: Das will ich Ihnen noch nicht sagen. Bei allen Aktionen, die wir planen, hat die Sicherheit aber oberste Priorität. Zudem sind wir kategorisch gegen Gewalt gegen Leib und Leben.

Wie steht es mit Gewalt gegen Gegenstände und Einrichtungen?

Morf: Gewalt gibt es nicht. Dort hört es auf für mich, genauso wie bei der Gefährdung der Sicherheit.

Das Eindringen auf das Flughafengelände ist für den Verein «Flugschneise Süd - Nein» (VFSN) also tabu?

Morf: Wenn die Türe offen ist, dann ist das sicher keine Gewalt.

Das Aufschneiden des Zauns ist keine Option?

Morf (zögert): Das ist keine realistische Option.

Ist ein Sitzstreik auf der Piste vorstellbar?

Morf: Ein Sitzstreik ist sicher vorstellbar, über den Ort können wir uns nachher noch unterhalten. Ein Sitzstreik, der friedlich durchgeführt wird, das wäre in Anbetracht der Situation ein durchaus taugliches und legitimes Mittel.

Ist Sitzstreik auf der Piste also ein Thema?

Morf: Zuerst müssen Sie auf die Piste kommen, das wäre sicher nicht so einfach. Sobald Sie den inneren Teil des Flughafens betreten, wird es schon wieder schwierig bezüglich der Sicherheit.

Ist der VFSN bereit, die Grenze der Legalität zu überschreiten?

Morf: Was heisst legal, sind Sie noch nie bei Rot über die Strasse gegangen? Es gibt gewisse Dinge, die je nach Situation und äusseren Umständen anders angeschaut werden, je nach Standpunkt. Ich muss langsam zur Kenntnis nehmen, dass ich nicht die ganze Bevölkerung kontrollieren kann. Wut und Frustration sind enorm gross. Unter anderem hat uns das dazu bewogen, am Donnerstag selber etwas zu organisieren, das wir im Griff haben. Wir wollen der gesamten Bevölkerung eine Plattform bieten und die Heisssporne davon abhalten, unbedachte und gefährliche Aktionen zu machen.

«Wir mussten kein Feuer entfachen»

Haben Sie diese Wut nicht selber geschürt?

Morf: Nein, wir mussten wirklich nirgends ein Feuerchen entfachen. Der VFSN ist anerkannt als sachlich argumentierende und professionell organisierte Bürgerinitiative, und wir werden das auch in Zukunft so halten.

Hirt: Ich kann das bestätigen. Die Wut der Bevölkerung ist aufgestaut und das Gefühl, in einer Bananenrepublik zu leben, omnipräsent. Der VFSN kann diese Wut aufnehmen und in Bahnen lenken, die rechtsstaatlich sind.

Unterstützt Ihre Gemeinde Fällanden den Verein finanziell?

Hirt: Nein. Wir haben dem VFSN nur einmal den Gemeindesaal gratis zur Verfügung gestellt.

Morf: Ganz zu Beginn sind wir mit Herrn Hirt zusammengesessen und haben ihn um finanzielle Unterstützung gebeten. Er hat damals klar Nein gesagt. Heute bin ich froh darum und stolz, dass wir auf eigenen Beinen stehen. Wir leben von unseren Mitgliederbeiträgen. Im Gegensatz zum UVEK haben wir Gewaltentrennung.

Inwiefern, Herr Hirt, unterstützen Sie die Aktionen des VFSN, bis hin zu einem Sitzstreik?

Hirt: Wir haben die Bevölkerung in einem Rundschreiben dazu aufgefordert, ihren Protest im Rahmen der Rechtsordnung zu äussern. Ich war beispielsweise Anfang Juli mit vielen anderen Gemeindebehörden an der Demonstration gegen Südanflüge in der Stadt Zürich. Wie die Bevölkerung friedlich für ihre Anliegen kämpfte, das war etwas vom Sensationellsten, was ich je erlebt habe.

Als Südanfluggegner haben Sie sich von Anfang an kategorisch gegen einen einzigen Südanflug gewehrt. Hat Ihre Taktik versagt?

Morf: Wir haben jederzeit gesagt, dass wir auch gegen zusätzliche Ostanflüge sind.

Aber ohne Süd- und Ostanflüge kann der Flughafen seinen Betrieb nicht aufrechterhalten.

Morf: Doch, schauen Sie einmal den Flugplan an. Swiss und Unique haben sich nie auch nur im Ansatz gefragt, ob man den Flugplan etwas anders legen könnte. Die Anflüge in den Randzeiten könnten ohne weiteres reduziert werden.

Das würde aber das Ende des Hubs bedeuten.

Morf: Es ist völlig uneinsichtig, warum Millionen Passagiere mit Billigangeboten zum Umsteigen nach Zürich gekarrt werden, obwohl sie gar nicht hierhin wollen.

Prämisse für Mediation: kein Südanflug

Zürich sollte also zu einem relativ unbedeutenden Zubringerflughafen werden?

Hirt: Wir brauchen keinen Mega-Hub, sondern einen Alpen-Hub, der die wichtigsten Destinationen bedient. Was wir jetzt kriegen, ist ein Billig- Hub. Die Phantasie von Unique ist beschränkt, wenn es um ihre wirtschaftlichen Interessen geht. Genauso wie Skyguide, die gegen den gekröpften Nordanflug ist, weil das nach Arbeit riecht.

Morf: Die Schweizer Wirtschaft braucht keinen Hub. Die Schweizer Wirtschaftsbosse brauchen attraktive Verbindungen in Grossstädte. Man sollte auch nicht vergessen, dass lediglich 15 Prozent der Passagiere geschäftlich unterwegs sind.

Welche Hoffnungen setzen Sie ins Mediationsverfahren, das nächste Woche beginnen soll?

Morf: Vordergründig inszenierte man am Montag mit Bundesrat, Regierungsrat und viel Klimbim die heile Welt Mediation, im Hintergrund zündete man die Bombe Südanflug. Diese Art und Weise lässt mich nichts Gutes ahnen für das Mediationsverfahren. Während des Verfahrens, an dem wir uns beteiligen werden, sind voraussichtlich Demonstrationen und das Ergreifen von Rechtsmitteln durch die Parteien zu unterlassen, wenn aber gleichzeitig hinter den Kulissen aufgerüstet wird, dann geht das nicht auf.

Hirt: Mediation kann nichts anderes heissen als Verteilung des Fluglärms. Mit dem Entscheid für die Mediation hat die Regierung deshalb schon wieder einen «Umfaller» gemacht. Unsere Prämisse für die fast zwingende Teilnahme ist: kein Südanflug. Ausser wenigen SP-Exponenten hält im Kantonsrat niemand etwas von Mediation. Für mich ist das eine Flucht von Bundesrat und Regierungsrat aus der Verantwortung. Nach dem Runden Tisch wird erneut ein Organ mit fehlender demokratischer Legitimation eingesetzt.

NZZ, 29.10.2003