«Nur wegen des Fluglärms weggezogen» (TA)

Publiziert von VFSNinfo am

Der Kampf gegen die Südanflüge hat seine Chronik. Herausgeber ist Urs P. Gasche, der ehemalige Leiter des «Kassensturzes».

Mit Urs P. Gasche sprach Daniel Suter

«Geplagt und enteignet» heisst der schmale Band, in dem Betroffene schildern, was es heisst, täglich nach nur sechseinhalb Stunden Nachtruhe vom ersten Flugzeug geweckt zu werden. Die Darstellung ist bewusst einseitig (auch geografisch, denn die Ostanfluggegner kommen kaum vor). Doch sie zeigt, wie viele Bewohnerinnen und Bewohner auf der Schattenels sich vom Flughafen und von den Behörden verschaukelt fühlen. Dennoch resignieren sie nicht, sondern sie reagieren und organisieren. So ist das Buch auch ein Lehrstück dafür,  wie eine Basisbewegung entsteht.

Herr Gasche, Sie geben ein Buch über die Südanflüge heraus, von denen Sie selbst betroffen sind. Sind Sie vom nationalen Konsumentenschützer zum Anwalt in eigener Sache geworden?
Die beiden Rollen sind in diesem Fall identisch. Ich habe immer offen dargelegt, dass ich selbst betroffen bin, auch als ich über die Südanflüge Artikel schrieb. Das muss transparent sein.

Sie haben Gockhausen im Jahr 2004 wegen des Fluglärms verlassen?
Ja, nur wegen des Fluglärms, jeden Morgen ab sechs Uhr früh. Wir waren 1985 nach Gockhausen gezogen, als ich Leiter des «Kassensturzes» wurde. Wir waren dort sehr gut integriert mit vielen Freunden und Bekannten. Noch vor fünf Jahren hatten wir nie daran gedacht, jemals wegzuziehen.

Hatten Sie dort ein Haus oder eine Wohnung?
Ein Doppeleinfamilienhaus.

Haben Sie das jetzt verkauft?
Nein, das wäre jetzt zu schwierig. Das Haus ist vermietet, aber natürlich könnten wir es ohne Fluglärm teurer vermieten.

Ist das Buch, das Sie herausgeben, quasi die «Schneiser-Bibel»?
Wenigstens gibt es der Basis-Oppositionsbewegung gegen den Fluglärm eine gemeinsame Stimme. Eine solche Bewegung hat es in der Schweiz seit längerem nicht mehr gegeben – sie ist zwar regional, aber sehr stark und vernetzt. Sie hat ihre eigene Schneiser-Sprache, ihre Farben und Symbole, und das Buch ist nun auch ein Teil davon.

Und was soll das Buch leisten? Abstimmungspropaganda für die Initiative zur Plafonierung der Flugbewegungen?
Nein, das Buch ist nicht das Sprachrohr einer bestimmten Initiative oder Gruppe. Es unterstützt aber die Grundforderungen, mit denen im Süden und Osten des Flughafens alle ausserhalb der politischen Parteien einverstanden sind: eine Plafonierung, eine längere Nachtruhe als die heutigen sechseinhalb Stunden und die sofortige Einführung des gekröpften Nordanflugs.

In den 20 Beiträgen im Buch ist der Pfannenstiel – nicht die Goldküste – gut vertreten. Aber kein Bericht kommt aus Schwamendingen, wo am meisten Menschen vom Fluglärm betroffen sind.
Das ist ein Schwachpunkt. Schwamendingen ist wichtig. Heute hat dieser Stadtteil eine sehr gute Durchmischung, es ist ein relativ attraktiver und beliebter Standort. Nur leben vor allem Mieter dort, die schneller wegziehen können als Hausbesitzer. Deshalb kann sich Schwamendingen relativ rasch in Richtung eines wirtschaftlich schwachen Unterschichtgettos entwickeln. Schon viele Schweizer Mieter sind ausgezogen, und es ziehen vermehrt wirtschaftlich schwache Ausländer ein. In Opfikon gibt es schon ein solches Getto, in Schwamendingen riskiert man das Gleiche. Das schafft dann die sozialen und politischen Probleme, welche später alle Politiker aufschreien lassen.

Wer sollte Ihr Buch besonders lesen?
Meine Hoffnung ist, dass es Menschen lesen, die nicht selbst vom Fluglärm betroffen sind. Ausserhalb von Zürich wird das Problem nämlich unterschätzt. Das Buch schildert, wie Betroffene auf den Lärm und die Hinhaltetaktik emotional und mit Taten reagieren. Die Behörden und der Flughafen behandeln die Opposition nicht viel besser als früher die in Südbaden. Das kann sich rächen.


Urs P. Gasche (Hrsg.): Geplagt und enteignet. Die Süd- und Ostanflüge auf den Flughafen Zürich – und ihre Folgen für die Anwohner. Orell-Füssli-Verlag, Zürich 2006. 134 Seiten, 19.80Franken.

Tages-Anzeiger, 23.8.2006  Seite 17



siehe auch:
Website: Geplagt und enteignet
Medienmitteilung (PDF, 40 kB)
Medienkonferenz (PDF, 16 kB)
Fluglärm-Gegner veröffentlichen Buch (TA)
Facetten des Widerstands gegen Südanflüge (NZZ)


Bezugsquellen: