Mit klaren Zielen nach Berlin für eine bessere Anflugregelung (NZZ)

Publiziert von VFSNinfo am
Vergangene Woche hat der baden-württembergische Staatsminister Willi Stächele hierzulande in Rekordzeit Berühmtheit erlangt. Mit einem furiosen flughafenpolitischen Ausritt ist es ihm gelungen, einen kleinen Sturm im Wasserglas auszulösen. Er erklärte in einem Mediengespräch, Deutschland fordere eine Obergrenze von 80 000 Anflügen auf Zürich über seinem Hoheitsgebiet und Verhandlungen stünden unmittelbar bevor. Dieser Vorstoss - bis jetzt gibt es keine zahlenmässige Begrenzung der Anflüge - löste verschiedenenorts in der Schweiz Entrüstung aus.

Stächeles Ankündigung wurde auf deutscher Landes- und Bundesebene zwar umgehend dementiert. Von einer Forderung nach maximal 80 000 Bewegungen wollte in Berlin niemand etwas gewusst haben, und Verhandlungen wurden lediglich in den Bereich des Möglichen gerückt. Nur wenige Tage später ist nun aber bekannt geworden, dass Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee seinen Schweizer Kollegen Moritz Leuenberger zu Gesprächen eingeladen hat. Die offizielle Ankündigung des Termins im Herbst deutet darauf hin, dass es sich beim geplanten Treffen um mehr als nur ein unverbindliches Gespräch handelt.

VOR GERICHT ERFOLGLOS

Die Einladung aus Berlin ist ein erster Schritt auf dem steinigen politischen Weg zu einer besseren Regelung im Anflugkonflikt. Dass man zurückkehrt zur Politik, ist angesichts des Misserfolgs auf juristischem Parkett richtig und wichtig. Gut drei Jahre nach der Ablehnung des Staatsvertrags durch die Bundesversammlung hat sich entgegen den damals formulierten Erwartungen von Politikern und Vertretern der Luftfahrtindustrie der Rechtsweg als Sackgasse erwiesen. Nach wie vor hat keine gerichtliche Institution die Rechtmässigkeit der deutschen Position in Frage gestellt.

Im Gegenteil: Die Schweizer Kläger, sei es die Eidgenossenschaft vor der EU-Kommission, seien es Unique und Swiss vor dem deutschen oder Zürcher Gemeinden vor dem baden-württembergischen Verwaltungsgericht, sind allesamt erfolglos geblieben. Zwar steht ein abschliessendes Urteil des Europäischen Gerichtshofs noch aus, es gibt aber wenig Anzeichen, dass dieser anders entscheiden könnte als die Vorinstanzen und plötzlich eine Diskriminierung der Schweiz oder der Swiss zu erkennen vermöchte. Diese Faktenlage kontrastiert scharf mit den damaligen Hoffnungen etwa der Zürcher Regierung, welche die Ablehnung des Staatsvertrags begrüsste und erklärte, die Zürcher Bevölkerung habe zwar kurzfristig negative Folgen zu gewärtigen, gleichzeitig aber langfristig bedeutend bessere Chancen für ein gutes Anflugregime.

Mittlerweile wird der Flughafen Zürich seit über 1000 Tagen von Süden und vermehrt von Osten angeflogen. Zehntausende von neu mit Fluglärm belasteten Anwohnern im Süden werden täglich nach 6 Uhr unsanft geweckt, und Besserung scheint derzeit in weiter Ferne. Dass man ausserhalb der Gerichtssäle überhaupt wieder miteinander spricht, ist deshalb eine positive Neuigkeit.

Ins Vorfeld solcher Verhandlungen gehören wie das Salz in die Suppe die unbescheidenen Verhandlungsziele der beteiligten Parteien. Die völlig überrissene Forderung nach maximal 80 000 Anflügen bei gleichzeitiger Beibehaltung der Flugverbote am Morgen und am Abend ist im süddeutschen Raum weit verbreitet. Diese Obergrenze, welche die Diskriminierung der Schweiz weiter verschärfen würde, wird nicht nur in der Koalitionsvereinbarung der neuen baden-württembergischen Landesregierung, sondern auch vom Landrat und von der Bundestagsabgeordneten des Landkreises Waldshut gefordert. Der neue Bundesverkehrsminister will von einer Begrenzung bei 80 000 Bewegungen zwar nichts wissen, wie er kürzlich anlässlich eines Auftritts in Waldshut verlauten liess. Allerdings erteilte er dabei den Schweizer Forderungen nach einer Aufweichung des Status quo eine ebenso deutliche Absage.

DIFFERENZEN BEREINIGEN

Man tut gut daran, sich vom süddeutschen Säbelrasseln nicht zu stark beeindrucken zu lassen. Wichtig wird sein, dass die Schweizer Delegation - am Gespräch nehmen auch Vertreter des Kantons Zürich teil - mit einer klaren Verhandlungsstrategie nach Berlin reist. Bisher waren zwischen Bern und Zürich deutliche atmosphärische Differenzen festzustellen. Während der Verkehrsminister noch immer dem alten Staatsvertrag nachzutrauern und deshalb nicht an eine bessere Lösung zu glauben scheint, fordert man im Kanton Zürich eine Paketlösung mit Kreuzkonzessionen. Mit einem Mix aus Zuckerbrot und Peitsche (Drohung mit dem gekröpften Nordanflug, verbunden mit dem Versprechen für eine verbesserte süddeutsche Anbindung an den hiesigen öffentlichen Verkehr) versucht man dem Ausgleich mit den süddeutschen Nachbarn näher zu kommen.

Nun gilt es eine Synthese zu finden zwischen der zurückhaltenden Berner Position und dem selbstbewussten Zürcher Standpunkt. Dazu müssen sich die beiden Partner vor der Reise nach Berlin an einen Tisch setzen und die Strategie ausarbeiten. Was kann man offerieren? Womit will man Druck aufsetzen? Zu klären gibt es namentlich die Haltung zu einer allfälligen Führung der Autobahn 98 Lörrach-München durch das Weinland, zum Atomendlager in Benken (beides Projekte, welche die Zürcher Regierung bisher ablehnte) und zum gekröpften Nordanflug. Das neue Anflugverfahren wird von Bern bis anhin nur zögerlich vorangetrieben, während es im Kanton Zürich als Heilsbringer gesehen wird. In dieser Frage gilt es auch den mit Süddeutschland beste Beziehungen pflegenden Kanton Aargau zu begrüssen. Dort scheint man von der strikten Ablehnung des gekröpften Anflugs etwas abgerückt zu sein. Es wäre ein starkes Signal, wenn man in Berlin auch in dieser Frage mit einer einheitlichen Schweizer Meinung auftreten könnte.

Bei der Erarbeitung der gemeinsamen Positionen dürfen Bund und Kantone die Ziele durchaus hoch setzen. Angesichts des Selbstvertrauens, mit dem süddeutsche Politiker Maximalforderungen in die Runde werfen, sollte man sich aus Schweizer Sicht hüten, sich mit vorauseilendem Gehorsam und Minderwertigkeitskomplexen an den Verhandlungstisch zu setzen. Dem Vernehmen nach sind der gegenwärtige vertragslose Zustand und die Einschnürung des Flughafens Zürich auch gewissen Politikern in Berlin und Stuttgart nicht mehr ganz geheuer. Ob man gleich die vollständige Rückkehr zur Nordausrichtung des Flughafens erreichen wird, ist eher fraglich. Gewisse Konzessionen bei den scharfen Nachtflugsperren scheinen aber durchaus im Bereich des Möglichen.

NZZ, 19.08.06



siehe auch:
Vorgeplänkel im Fluglärmstreit (NZZ, 11.08.06)
Deutsches Verwirrspiel um Flughafen-Staatsvertrag (TA, 12.08.06)
Bewegung im Fluglärmstreit (NZZ, 13.08.06)
Stächele erntet blanken Hohn (Südkurier, 14.08.08)
Diktiert Deutschland einen neuen Staatsvertrag? (VFSN, 15.08.06)