Immobilien-Wertverluste neu standardisiert (NZZ)

Publiziert von VFSNinfo am

Beginn der Fluglärm-Enteignungsverfahren in Opfikon

Heute Donnerstag beginnen die Enteignungsverfahren zwischen der Flughafen Zürich AG und Opfiker Liegenschaftsbesitzern. Experten der ZKB haben dafür ein Standardverfahren zur Berechnung des Minderwerts von selbst genutzten Liegenschaften durch Fluglärm (Miflu) ausgearbeitet. Im Folgenden erläutern sie dessen Funktionsweise.

«Wie viel Wert verliert mein Haus durch den zunehmenden Fluglärm?» Das ist eine Frage, die sich in den letzten fünf Jahren viele Eigentümer im Kanton Zürich gestellt haben. Antworten gab es viele, sie fielen aber je nach subjektiver Wahrnehmung, individueller Betroffenheit oder Interessenlage ganz unterschiedlich aus. Meist stützten sich die entsprechenden Studien und Gutachten auf Einzelfallevidenz oder subjektive Expertenmeinungen. Es fehlte die objektive Basis, die für allfällige Entschädigungen im Rahmen von formellen Enteignungen für selbst genutztes Wohneigentum eigentlich gefordert ist.

Unser Lösungsansatz, den wir im Auftrag eines neutralen Expertengremiums erarbeitet haben, ist so einfach wie einleuchtend: Die Preise von Wohnliegenschaften stehen in enger Beziehung zu ihrer Grösse, Qualität und Lage, inklusive Immissionen. Es geht nun darum, diese Zusammenhänge anhand effektiver Handänderungsdaten von Immobilien zu quantifizieren und damit sichtbar zu machen. In der Immobilienökonomie hat sich dafür der Begriff «hedonische Methode» eingebürgert. In Bezug auf die beschriebene Problematik lautet die konkrete Frage: Um wie viel Prozent sinkt der Preis eines Einfamilienhauses typischerweise, wenn der Fluglärm um ein Dezibel zunimmt?

Stichprobe mit 8000 Transaktionen

Die traditionelle Schätzungspraxis geht im Grunde ähnlich vor, indem sie bezahlte Preise möglichst identischer Liegenschaften vergleicht, die unterschiedlichem Lärm ausgesetzt sind. Die Illiquidität des Eigenheimmarktes einerseits - nur etwa 2 Prozent des Bestandes wechseln pro Jahr den Besitzer - und die grosse Vielfalt der Objekte machen präzise Vergleiche in der Realität aber schwierig. Die hedonische Methode ist ein Instrument, das die unterschiedlichen Objekte einer Stichprobe hinsichtlich aller berücksichtigten Eigenschaften vergleichbar macht und somit den Fluglärmeinfluss zu isolieren vermag. Voraussetzung ist allerdings, dass Liegenschaften mit unterschiedlicher Fluglärmbelastung in der Stichprobe enthalten sind, darunter also auch Objekte ganz ohne Fluglärm. Deshalb umfasst unsere Stichprobe knapp 8000 Freihandtransaktionen von Wohneigentumsobjekten aus dem ganzen Kanton Zürich, welche zwischen 1995 und 2005 stattfanden und von der ZKB finanziert wurden.

Eine entscheidende Verfeinerung erfuhren die Modelle durch die Integration von Geo-Informationen. Diese werden im Geographischen Informationssystem (GIS) der ZKB aufbereitet und mit den Adressen der gehandelten Objekte verknüpft. Für jede der 51 000 Hektaren im Siedlungsgebiet des Kantons gibt es genaue Informationen über Exposition, Aussicht, Erreichbarkeit und Immissionen. Daneben berücksichtigt das Modell, dass die Preisniveaus in den Gemeinden auch durch weiche Faktoren wie Prestige und Image beeinflusst werden können.

Von zentraler Bedeutung für die vorliegende Fragestellung sind auch präzise Daten zur Fluglärmbelastung. Diese wurden von der EMPA in Dübendorf separat berechnet. Die Analysen ergaben, dass Fluglärm für die Ermittlung von Minderwerten am besten in drei Dimensionen abgebildet wird, nämlich Grundbelastung, Spitzenbelastung und Tagesrandbelastung. Die Grundbelastung eines Standortes wird mit dem 16-Stunden-Dauerschallpegel (Leq16) beschrieben, der den durchschnittlichen Lärm zwischen 6 und 22 Uhr ausdrückt. Mit diesem Mass werden auch die verschiedenen Grenzwerte in der Lärmschutzverordnung (LSV) definiert. Die Spitzenbelastung entspricht dem höchsten 1-Stunden-Wert (Leq1) während der Zeit von 7 bis 21 Uhr und die Abendbelastung durch den höchsten 1-Stunden- Dauerschallpegel (Leq1) in der Zeit von 21 Uhr bis Mitternacht. Die Zeit seit Einführung der Südanflüge ist zu kurz, um verlässliche Aussagen über den Preiseinfluss von Morgenlärm machen zu können. Dies wird aber zu einem späteren Zeitpunkt möglich sein.

Die Preiswirkungen der drei genannten Fluglärmdimensionen sind - mit Ausnahme der Spitzenbelastung beim Stockwerkeigentum - hoch signifikant negativ und können präzise gemessen werden. Für Stockwerkeigentum (STWE) und Einfamilienhäuser (EFH) gilt, dass die Grundbelastung erst ab einem Niveau von 50 dB mit Sicherheit auf die Preise wirkt. Darüber senkt jedes zusätzliche Dezibel in der Grundbelastung den Wert von Einfamilienhäusern um 0,87 Prozent und um 1,2 Prozent beim Stockwerkeigentum. Ähnliches zeigt sich bei der Abendbelastung: auch sie äussert sich erst ab einem Niveau von 50 dB (21 bis 23 Uhr) beziehungsweise 47 dB (23 Uhr bis 24 Uhr) in den Preisen. Darüber verursacht ein zusätzliches Dezibel Abschläge von 0,81 Prozent (EFH) beziehungsweise 0,75 Prozent (STWE). Weiter bestätigen die Resultate, was oft vermutetet wird: Der Markt reagiert ungleich sensitiver auf Immissionen während der Randstunden als während des Tages. Die Grundbelastung bezieht sich auf einen Zeitraum von 16 Stunden, die Tagesrandbelastung hingegen nur auf die lauteste Abendstunde.

Wirkt Fluglärm überall gleich auf die Preise? Die Antwort lautet Nein. Die prozentuale Entwertung pro Dezibel ist an teuren Lagen stärker als an billigen. Dies konnte allerdings nur für die Grundbelastung schlüssig nachgewiesen werden. An den 5 Prozent besten Lagen liegt der Koeffizient für die Grundbelastung bei -1,5 Prozent pro Dezibel, an den 5 Prozent schlechtesten lediglich bei -0,4 Prozent pro Dezibel. Die Werte in der Tabelle gelten damit für mittlere Lagen.

Eigentumswohnung gleich stark betroffen

Um die resultierende Wertminderung an einem Standort zu berechnen, sind die drei separaten Effekte zu kumulieren. Tut man dies für alle Hektaren im Fluglärmgebiet, so zeigt sich, dass die Grundbelastung an den meisten Standorten den grössten Teil zum totalen Minderwert beiträgt. Eine Ausnahme davon bilden die Gebiete, welche vom abendlichen Ostanflug tangiert sind. Hier dominiert die Tagesrandbelastung den Minderwert klar. Für eine Grundbelastung von 55 dB und eine Spitzenbelastung von 60 dB, wie sie im Jahr 2004 beispielsweise in Wallisellen anzutreffen war, ergibt sich ein fluglärmbedingter Minderwert auf ein Einfamilienhaus von rund 8 Prozent. Im nördlichen Teil von Nürensdorf mit einer Grundbelastung 2004 um 54 dB und keiner nennenswerten Spitzenbelastung ist es der abendliche Landelärm (60 dB zwischen 21 und 22 Uhr), der für den Minderwert von 12 Prozent hauptsächlich verantwortlich ist. Diese Minderwerte beziehen sich auf eine Referenzsituation ohne jeglichen Fluglärm. Unberücksichtigt bleibt dabei die mögliche Aufwertung durch die Nähe zum Flughafen. Es wird oft vermutet, dass die Beeinträchtigung und damit der Minderwert durch Fluglärm bei Eigentumswohnungen geringer sein sollte als bei Einfamilienhäusern. Das Argument lautet, dass die lärmbedingte Nutzungseinschränkung bei einer Wohnung kleiner ist, da man sich weniger im Freien aufhält. Unsere Resultate stützen diese Hypothese nicht. Zwar lässt sich beim Stockwerkeigentum kein separater Effekt der Spitzenbelastung nachweisen, die höhere Entwertung aufgrund der Grundbelastung kompensiert dies jedoch. An typischen Standorten sind die kumulierten Minderwerte denn auch nahezu identisch. Einzig an den wenigen Lagen mit tiefer Grundbelastung, aber einer ausgeprägten Lärmspitze ergeben sich leichte Unterschiede. (NZZ, 03.10.05)



Wegweisendes Verfahren

ark. An vier Terminen werden ab heute insgesamt 19 Opfiker Liegenschaftsbesitzer mit Unique in ein Enteignungsverfahren eintreten. Die Fälle sind deshalb wegweisend, weil sie die Spitze des Eisbergs darstellen. Es handelt sich um die ersten von rund 14 000 bei der Flughafen AG eingegangen Entschädigungsbegehren, die jetzt in Angriff genommen werden. Abgeschlossen sind hierzulande bisher erst einige Verfahren im Umfeld des Genfer Flughafens, die dortige Situation ist aber nicht direkt auf die Verhältnisse im Kanton Zürich übertragbar. Die Einigungsverhandlungen finden unter der Ägide der eidgenössischen Schätzungskommission statt. Definitive Entscheide fallen aber aller Voraussicht nach erst vor Bundesgericht. Die Flughafen Zürich AG steigt mit dem oben beschriebenen Modell Miflu in das Enteignungsverfahren ein. Unique-Finanzchef Beat Spalinger hofft, dass sich «Miflu» zum Standardverfahren für die Berechnung von Minderwerten von selbst genutzten Liegenschaften entwickelt. Man habe «Miflu» der Gegenpartei und der Schätzungskommission bereits eingehend erläutert. Spalinger betont, dass die dargestellten Minderwerte nicht mit einer allfälligen Entschädigung gleichzusetzen sind. Erstens müssten juristische Kriterien erfüllt sein, damit überhaupt eine Entschädigung fällig wird, und zweitens schadenmindernde Elemente wie geleistete Lärmschutzmassnahmen oder vom Flughafen geschaffene Mehrwerte angerechnet werden.

Peter Ettler, der Anwalt der Opfiker Liegenschaftsbesitzer, äusserte sich auf Anfrage vorsichtig optimistisch zur neuen Bewertungsmethode. «Wir sind befriedigt, dass ein solches Modell tatsächlich Wertminderungen ausweist», sagte er. Man habe «Miflu» zwar noch nicht von Statistikern und Ökonomen überprüfen lassen, deshalb sei eine abschliessende Aussage noch nicht möglich. Er könne sich aber vorstellen, dass man mit der Methode den einen oder anderen Fall gütlich regeln könne, ein Teil der Entscheide werde aber sicher vor Bundesgericht fallen, so der Anwalt.


siehe auch: Der Bewertungsprozess MIFLU (Minderwert aufgrund von Fluglärm bei selbstgenutzten Liegenschaften), Unique