Grundsätzlich neues Fluglärm-Belastungsmodell (Noiseletter-Interview mit Rita Fuhrer)

Publiziert von VFSNinfo am

Zu den Hauptzielen des VFSN gehören: Die sofortige Abschaffung der Südanflüge durch Einführung des gekröpften Nordanfluges.

Im Noiseletter-Interview vom 07.10.05 sagt Rita Fuhrer, zuständig für das Flughafendossier: Ich will den gekröpften Nordanflug einführen und die Südanflüge in einem weiteren Schritt ganz wegbringen.

Das ganze Interview:


«Wir erstellen ein grundsätzlich neues Fluglärm-Belastungsmodell»

Im Noiseletter-Interview nimmt Volkswirtschaftsdirektorin Rita Fuhrer Stellung zum  Verhalten des Flughafens, dem gekröpften Nordanflug und dem neuen Fluglärm-  Belastungsmodell für, das sie mit Spezialisten derzeit ausarbeitet.

Interview: Andreas Bantel

Frau Fuhrer, nimmt der Flughafen die politische Verantwortung, die er hat, Ihrer Ansicht nach genügend wahr?

Rita Fuhrer: Das Unternehmen Flughafen Zürich AG hat in erster Linie den Auftrag, einen wettbewerbsfähigen Flughafen zu gewährleisten und eine Infrastruktur zur Verfügung zu stellen, die eine Verkehrsverbindung an die für unsere Volkswirtschaft wichtigen Wirtschaftsräume ermöglicht. Der zweite Auftrag lautet, der Flughafen muss diesen Betrieb für die Bevölkerung akzeptabel organisieren und sie vor übermässigen Belastungen schützen...

...was er im Moment offensichtlich nicht tut.

Fuhrer: Ich gebe gerne zu: In der Beurteilung, was für die Bevölkerung eine annehmbare Belastung ist, und was die Konsequenzen für den Flughafen im Falle von schärferen Restriktionen wären, darüber gibt es Differenzen und auch Diskussionen.

Verhält sich der Flughafen vor dem Hintergrund dieser Diskussionen politisch genügend sensibel?

Fuhrer: Ja, er engagiert sich politisch, gerade auch auf nationaler Ebene. Genausowenig wie ich kann der Flughafen mit einem Schlag viel bewegen an der heutigen Situation.

Unique-Finanzchef Beat Spalinger hat in einem mittlerweile berühmten Statement gesagt, der Süden habe ja eigentlich gar keinen Fluglärm. Bezeichnen Sie eine solche Aussage als politisch weise?

Fuhrer: Herr Spalinger und die Betroffenen gehen wahrscheinlich von etwas Unterschiedlichem aus. Auf der einen Seite ist der Lärm mittels Gesetzen und den zugehörigen Grenzwerten definiert. Und auf der anderen Seite gibt es den von der Bevölkerung empfundenen Lärm. Das ist nicht immer dasselbe. Wahrscheinlich wollte Herr Spalinger sagen, die Grenzwerte seien nicht überschritten. Das wäre wahrscheinlich diekorrektere Aussage. Ich anerkenne auch, dass gewisse Lärmwerte morgens zwischen sechs und sieben oder am Wochenende bis neun Uhr eine grössere Belastung darstellen, als zwischen 10 und 12 Uhr. Diesen Unterschied sollte man kennen, wenn man vom Lärm spricht.

Also war es letztlich eine politisch ungeschickte Aussage?

Fuhrer: Herr Spalinger ist ja kein Politiker, sondern Mitglied der Geschäftsleitung. Wenn wir "bloss" Politiker in der Geschäftsleitung der Flughafen Zürich AG hätten, wäre dies ja auch nicht gut. Es braucht eine Kombination: Jeder hat an einem anderen Ort seine besonderen Fähigkeiten. Und ich denke, hier haben wir eine gute Ausgangslage.

Die Betroffenen erleben das anders: Selbst in den am schwersten betroffenen Gebieten in Zürich oder Dübendorf verweigert der Flughafen kategorisch die Bezahlung von Lärmschutzfenstern. Dabei wäre dies doch eine wichtige Geste der Soforthilfe.

Fuhrer: Es ist so, dass bis heute rechtlich noch nicht entschieden ist, ob der Flughafen dies tatsächlich bezahlen muss. Der Flughafen übernimmt die Verantwortlichkeiten dann, wenn sie geklärt sind. Die im Moment vorliegenden Forderungen gehen teilweise sehr weit, andere sind nach meinem Ermessen vernünftig. Ich kann und muss dies aber nicht entscheiden, hier hat noch ein Richter seine Beurteilung vorzunehmen.

Ihr Argument wäre dann überzeugend, wenn man auch mit den Südanflügen gewartet hätte, bis die Rechtmässigkeit vor Gericht geklärt ist. Doch die hat man eingeführt, ohne auf den richterlichen Entscheid zu warten.

Fuhrer: Es war nicht das Unternehmen Flughafen, welches diese Südanflüge wollte. Diese Frage wurde ganz klar auf Bundesebene entschieden.

Bundesrat Leuenberger sagt aber, die Südanflüge seien vom Kanton Zürich beantragt worden.

Fuhrer: Jetzt müssen wir einfach fair bleiben: Die Situation ist die, dass wir gar keine Wahl hatten. Uns stand keinerlei Vetorecht zur Verfügung. Zwar ist es korrekt, dass wir rein technisch gesehen einen "Antrag" stellen mussten. Doch hätten wir dies nicht getan, hätte der Bund einfach eine entsprechende Verfügung erlassen.

OK – doch in diesem Fall müssten Sie sich heute nicht vorwerfen lassen, Sie hätten die Südanflüge beantragt.

Fuhrer: Ich weiss nicht, ob dies für die Leute, die vom Südanflug belastet sind, etwas ändern würde. Ich denke, eigentlich nicht.

Den Betroffenen brennt nun die Frage unter den Nägeln: Wann endlich kommt der Gekröpfte Nordanflug?

Fuhrer: Diese Frage stelle ich mir natürlich auch. Ich habe mich ja von allem Anfang an dafür eingesetzt, dass dieser Anflug technisch bearbeitet wird. Niemand wollte diese heisse Kartoffel anfassen. Heute sind wir soweit, dass ein Gesuch vorliegt – da hat mich die Flughafen Zürich AG sehr unterstützt. Das Ziel war, bis Ende 2004 einen Antrag vorliegend zu haben. Wir mussten enorm Gas geben, um dies zu erreichen.

Und jetzt verstaubt der Antrag in Bern.

Fuhrer: Der Antrag liegt nun beim BAZL in der Sicherheitsprüfung. Es liegt ausserhalb meiner Möglichkeiten, hier etwas beizutragen. Jetzt ist das BAZL am Ball.

Haben Sie Informationen, wann die Sicherheitsprüfung abgeschlossen sein wird?

Fuhrer: Nein, ich bin darüber nicht informiert.

Bis jetzt liegt bloss ein Antrag auf einen Anflug nach Sicht vor – der ja übrigens im täglichen Flugbetrieb schon oft geflogen wurde. Die Technologie erlaubt aber einen vollständigen instrumentell geführten, gekröpften Nordanflug. Wann kommt ein solcher Antrag?

Fuhrer: Der Bund, der für die technische Prüfung und die Bewilligung neuer Anflugverfahren zuständig ist, schätzt den Zeitaufwand für die Einführung des gekröpften Instrumentenanflugs mit konventionellen Navigationsanlagen auf mindestens 7 bis 8 Jahre. Bevor das BAZL nicht über den gekröpften Sichtanflug entschieden hat, ist es aber zu früh, über den möglichen Einführungszeitpunkt des Instrumentenanflug zu spekulieren.

Wieso kann ein Flughafen wie Innsbruck bereits heute in einem engen Talkessel vollständig satellitengesteuert und in engen Kurven angeflogen werden, während der Flughafen Zürich schon für einen einfachen Kurvenanflug auf Sicht Jahre benötigt?

Fuhrer: Diese Frage müssten Sie dem Bund stellen, nicht mir. Ich verstehe mich lediglich als Scharnier zwischen Flughafen auf der einen Seite und den Bundesbehörden auf der anderen. Ich kann Ihnen aber folgendes sagen: Der Flughafen Zürich ist komplexer als der Flughafen Innsbruck. Die beiden lassen sich bestimmt nicht miteinander vergleichen.

Dennoch: Der Flughafen Zürich könnte doch eine Leaderrolle in der europäischen Aviatik einnehmen.

Fuhrer: Über diese Frage wird nicht in erster Linie in Zürich, sondern bei den Zulassungsbehörden und den politischen Instanzen in Bern entschieden. Wir pflegen heute übrigens eine sehr gute Kommunikation mit dem Bundesamt für Zivilluftfahrt. Meine Haltung war stets: Statt sieben Jahre zu warten, bis wir ein technisch besseres Modell fliegen können, setze ich alles daran, so schnell wie möglich wenigstens eine Entlastung erzielen zu können.

Weshalb setzen Sie den Bund nicht unter Druck, indem Sie – zugunsten der Bevölkerung – eine Frist verlangen, innerhalb derer die Situation gelöst sein muss?

Fuhrer: Das ist eine Idee, die Sie jetzt einbringen. Ich verwende meine Energie lieber dafür, mich für das effektive Erarbeiten der Lösung zu engagieren. Ich will mich gemeinsam mit dem Bund für eine Veränderung der deutschen Verordnung einsetzen. Dieses Korsett der deutschen Verordnung muss gelöst werden, so dass wir ein besseres An- und Abflugverfahren – insbesondere ohne Anflüge aus dem Süden – erreichen können.

Ihr Problem ist bloss: Sie haben bis heute keinerlei konkrete Resultate präsentiert.

Fuhrer: Es trifft zu, dass man von aussen praktisch nichts wahrnehmen kann. Ich bin mir bewusst: Bis heute habe ich keine Resultate vorgelegt. Meine Arbeit findet derzeit hinter den Kulissen statt. Ich baue derzeit Beziehungen auf, welche die Grundlage für einen späteren Entscheid bilden sollen. An dem arbeite ich derzeit mit der ganzen Energie und allen Ressourcen, die mir zur Verfügung stehen. Allerdings werde ich nicht diejenige sein, die letztlich den Entscheid trifft – ich übe, wie gesagt, eine Scharnierfunktion aus.

Sie wissen, dass Sie – im Gegensatz zu manch anderem Politiker – bei vielen Betroffenen im Süden einen Vertrauensbonus geniessen. Können Sie den auch einlösen?

Fuhrer: Ich kann bloss an dieses Vertrauen in der Bevölkerung appellieren: Ich will diese intensive Arbeit der letzten anderthalb Jahre nicht gefährden. Dies wäre es nicht wert, denn wir haben in diesen anderthalb Jahren viel erreicht.

Wann werden Sie diese erreichten Resultate bekannt geben?

Fuhrer: Ich werde keinen Termin nennen. Denn dies würde die Arbeit möglicherweise bereits wieder gefährden. Ich stehe aber zu meinen bekannten Aussagen: Ich will den gekröpften Nordanflug einführen und die Südanflüge in einem weiteren Schritt ganz wegbringen. Sie machen für mich auch keinen Sinn: Es ist widersinnig, über Gebiete zu fliegen, die für einen Anflug topografisch ungeeignet sind. Ich sage aber auch klar: Vor Südstarts werde ich diese Region nicht verschonen können.

Was sagen Sie zu gewissen Forderungen, einen geraden Südstart oder einen Right-turn einzuführen?

Fuhrer: Es gibt sehr vieles, was nun – auch im Rahmen der SIL-Diskussionen – gefordert wird. Da werden kreative, teilweise auch verwegene Modelle ins Spiel gebracht. Unsere Politik war und ist es, möglichst wenige Leute mit Fluglärm zu beschallen. Mehr sage ich dazu im Moment nicht.

Der Direktor des BAZL, Raymond Cron, hat gegenüber Noiseletter die wichtige Rolle des Kantons Zürich im SIL-Prozess hervorgehoben. Dies gilt übrigens auch für den Aargauer Baudirektor Peter Beyeler...

Fuhrer: ...das freut mich...

..wie nutzen Sie diesen Steilpass?

Fuhrer: Die politische Vorgabe der Regierung des Kantons Zürich ist ganz klar: Wir wollen so wenige Leute wie möglich beschallen. Wir wollen das Gebiet, in welchem der Immissionsgrenzwert überschritten wird, eher noch verkleinern – mit Sicherheit aber nicht ausweiten. Und dies im Vergleich mit dem rechtmässigen Zustand, so, wie er vor Einführung der deutschen Verordnung vorlag.

Das tönt zwar gut, doch der Immissionsgrenzwert ist ja – wie Sie selbst auch anerkennen – ein unzureichendes Mass.

Fuhrer: Die Regierung will dem Rechnung tragen, indem sie auch untersucht, wie viele Leute ausserhalb des Immissionsgrenzwertes belastet sind.

Das heisst, Sie sind daran neben dem Lärmequivalent (Leq) der Lärmschutzverordnung einen weiteren Lärmindikator zu entwickeln?

Fuhrer: Wir sind derzeit daran, einen Richtwert für den Flughafen Zürich auszuarbeiten, der uns zuverlässig zeigt, wie viele Leute von Fluglärm effektiv belastet sind. Dazu gehört unter anderem, dass man die Randstunden besser gewichtet, als dies in der Lärmschutzverordnung der Fall ist. Ausserdem soll einfliessen, dass einzelne Lärmereignisse das Empfinden ganz besonders stören und dass man auf den Nachtfluglärm besonders empfindlich reagiert. Auch das emotionale Empfinden möchten wir mit einrechnen.

Eine anspruchsvolle Aufgabe. Wie soll dieser Richtwert konkret aussehen?

Fuhrer: Unser Ziel ist wie gesagt ein Instrument, das uns ein zuverlässiges Bild zur Frage ermöglicht: Wie viele Leute sind von Fluglärm belästigt? Diese Zahl gilt es letztlich zuminimieren. Darin enthalten soll auch ein Controlling-Instrument sein, das es uns jederzeit möglich macht, festzustellen, ob derzeit nun mehr oder weniger Leute belastet sind als beispielsweise damals im Jahr 2005.

Wann werden Sie dieses Instrument präsentieren?

Fuhrer: Ich bin derzeit nicht bereit, meine Terminplanung offen zu legen. Dies aus einem einfachen Grund: Es existiert derzeit noch kein vergleichbares Instrument. Wir bewegen uns also auf Neuland. Ausserdem muss es, wenn es einmal vorliegt, von meinen Regierungskollegen noch politisch abgesegnet werden.

Sprechen wir hier von einer Frist von einem Jahr oder von fünf Jahren?

Fuhrer: Fünf Jahre darf es ganz bestimmt nicht dauern. Das wäre viel zu lange.

(Noiseletter, 07.10.05)


zum Originaldokument (PDF)

Mit freundlicher Genehmigung von Noiseletter. Noiseletter informiert regelmässig per Mail über die neusten Entwicklungen im Südanflug

Quelle: www.noiseletter.ch - 7. Oktober 2005


 

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