Fast-Crashs nicht mehr veröffentlicht (NZZ am Sonntag)

Publiziert von VFSNinfo am

Die Öffentlichkeit wird nicht mehr sofort darüber informiert, wenn sich im Luftraum der Schweiz zwei Flugzeuge zu nahe gekommen sind.

Konsultiert man die entsprechende Internetsite des Büros für Flugunfalluntersuchungen (BFU), muss man zum Schluss kommen, dass der Luftraum über der Schweiz momentan so sicher ist wie noch nie zuvor. Seit dem 14. Februar 2005 ist gemäss der dort publizierten Übersicht nämlich kein neuer Fast-Zusammenstoss mehr registriert worden. Im Jahr 2004 waren noch 15 solcher Airprox-Zwischenfälle gemeldet worden, wie sie in der Fachsprache heissen. Doch die plötzliche Sicherheit ist nur eine scheinbare.

Zu gefährlichen Annäherungen von Flugzeugen kommt es nämlich nach wie vor, allerdings werden sie nicht mehr unmittelbar veröffentlicht, wie der BFU-Chef Jean Overney erklärt: «Wir haben unsere Informationspolitik geändert und publizieren nur noch ein jährliche Statistik sowie die Schlussberichte unserer Untersuchungen. Diese sind wichtig, weil wir darin Empfehlungen geben, die aus den Fast-Zusammenstössen resultieren.»

Von 1998 bis zum letzen Februar hat das BFU auch die sogenannte Notification im Internet veröffentlicht, welche die Untersuchungsbehörden auf Anweisung der Internationalen Zivilluftfahrtorganisation (ICAO) unmittelbar nach einem Unfall oder schweren Vorfall erstellen müssen. Darin werden Ort und Zeit des Zwischenfalles sowie die beteiligten Flugzeuge aufgezeichnet. Gemäss Overney hat sich dieses Vorgehen nicht bewährt: «Statt zu einer besseren Information hat diese Praxis zu Missverständnissen geführt. Der Schweizer Luftraum erschien der Öffentlichkeit unsicherer, als er wirklich ist.» So habe es drei bis vier Fälle gegeben, bei denen die Untersuchung später eingestellt worden sei, weil sich der Zwischenfall als nicht gravierend herausgestellt habe. Zur Abkehr von der offensiven Informationspolitik hat auch beigetragen, dass in den Nachbarländern Notifications von Fast-Crashs nicht veröffentlicht werden, womit laut Overney die internationale Vergleichbarkeit nicht gegeben sei.

Erleichtert über die geänderte Praxis sind die Verantwortlichen des Flugsicherungsunternehmens Skyguide. «Die Aufschaltung der Notifications im Internet hat dazu geführt, dass wir immer wieder Anfragen erhalten haben, die wir gar nicht beantworten konnten. Wir mussten die Journalisten jeweils ans Büro für Flugunfalluntersuchung verweisen, das seinerseits auf das Erscheinen des Schlussberichtes vertrösten musste». Sagt Skyguide-Sprecher Patrick Herr. Zudem würden Flugverkehrsleiter Zwischenfälle eher melden, wenn sie nicht damit rechnen müssten, «dass ein Fast-Zusamenstoss skandalisiert werde».

Trotz der vor einigen Monaten erfolgten Praxisänderung möchte BFU-Chef Overney in Zukunft wieder rascher über gefährliche Vorfälle informieren. Unter der Leitung der Schweiz findet deshalb im Herbst ein europäisches Seminar statt, bei dem darüber diskutiert wird, wie die Untersuchungsbehören Fast-Zusamenstösse künftig schnell und nach standardisierten Grundsätzen über den Gefährdungsgrad melden sollen.

© NZZ am Sonntag, 14.08.2005, Seite 12

Links zu diesem Thema:
BFU
Airprox Zwischenfälle
Kommentierte Statistik bezüglich ATIR (Air Traffic Incident Reports) der Jahre 1994 bis 2004 (PDF, 216 KB)
ICAO