Der eiserne deutsche Griff lässt am Flughafen wenig zu (NZZ)

Publiziert von VFSNinfo am
Das Bundesamt für Zivilluftfahrt hat das Betriebsreglement für den Flughafen Zürich verfügt. Das Kernstück fehlt – wegen des Streits mit Deutschland.

von Michael von Ledebur

Im März 2011 spielte sich eine Episode ab, die die Geschichte des Zürcher Flughafens bis heute prägt. Damals rasten zwei startende Flugzeuge aufeinander zu. Auch das Betriebsreglement 2014, das das Bundesamt für Zivilluftfahrt (Bazl) am Donnerstag verfügt hat geht darauf zurück, denn es gründet weitgehend auf den Empfehlungen einer Expertenkommission. Diese hatte die Sicherheit am Flughafen nach dem glimpflich verlaufenen Vorfall von 2011 überprüft.

Wer allerdings glaubt, dass sich die Sicherheit mit dem neuen Betriebsreglement wesentlich verbessern würde, irrt. Denn das Bazl hat lediglich eine Rumpfversion dessen verfügt, was die Flughafen AG beantragt hat. Das grosse Ziel, die Entflechtung des Ostkonzepts, wurde verfehlt. Es geht darum, die Wege einerseits der landenden, andererseits der startenden Flugzeuge deutlich zu trennen – nicht in Flughafennähe, sondern während des weitläufigen Landeanflugs- und Startprozederes in mehreren tausend Metern Höhe. Umsetzbar ist die Entflechtung nur mit Einwilligung Deutschlands, da der deutsche Luftraum tangiert würde. Weil diese Einwilligung aussteht, hat sich das Bazl auf eine Teilgenehmigung beschränkt.

In Kontakt mit Deutschland

Das war zwar erwartet worden, dennoch zeigt sich die Flughafen AG enttäuscht. Die Entflechtung des Ostkonzepts bezeichnet Flughafensprecherin Sonja Zöchling als das «Kernstück» des Betriebsreglements und eine wichtige Massnahme aus der Sicherheitsüberprüfung. Im Verfügungstext schreibt die Flughafen AG: «Es ist sehr bedauerlich, dass eine der wichtigsten Massnahmen zur Verbesserung der Sicherheit trotz Freigabe der deutschen Fachstellen blockiert ist.» Damit spielt der Flughafen darauf an, dass es sich um einen politischen Entscheid auf Ministeriumsstufe handelt. Der Bazl-Sprecher Urs Holderegger sagt, die Teilgenehmigung bedeute keineswegs, dass man die Hoffnung auf eine Einigung mit Deutschland aufgegeben habe. Man stehe nach wie vor im «intensiven Kontakt».

Das seines Kerns beraubte Reglement bringt dennoch zwei wesentliche Änderungen. Erstens erteilt das Bazl dem Flughafen die Erlaubnis, schwere Maschinen auf der Piste 32 starten zu lassen. Und andererseits ermöglicht das Betriebsreglement den Fluglotsen mehr Flexibilität. Diese können Maschinen bei Starts Richtung Norden früher von der vorgesehenen Flugroute abweichen lassen.

Der Start ab Piste 32 statt 34 für schwere Maschinen bringt für den Flughafen eine deutliche Erleichterung. Es geht um das Ostkonzept, das jeweils ab 21 Uhr, der deutschen Sperrzeit, gilt. Dann starten die Flugzeuge Richtung Norden. Bisher war dies für schwere Maschinen ausschliesslich auf der Piste 34 möglich. Flugzeuge haben aus Lärmschutzgründen die Auflage, nach sechs Flugkilometern eine Mindesthöhe von 600 Metern über Grund zu erreichen. Dazu sind schwere Maschinen nicht in der Lage. Für die Piste 34 besteht bereits eine Ausnahmegenehmigung, für Piste 32 hat das Bazl diese nun ebenfalls verfügt.

Grossraumflugzeuge, etwa ein A340, können sich somit vom Dock E direkt zum Start auf der Piste 32 begeben. Der Rollweg zum Start auf Piste 34 ist ungleich weiter, und die Flugzeuge müssen die Landepiste 28 gleich zweimal kreuzen: einmal auf dem Weg zur Startposition und einmal beim Start selbst. Der Rollweg nehme fünf bis zehn Minuten in Anspruch, schreibt der Flughafen. Bazl und Flughafen AG erhoffen sich von der Änderung deutlich weniger Lärmemissionen zwischen 22 und 23 Uhr. Zudem könnte die Zahl die Abflüge der A340 nach 23 Uhr «signifikant gesenkt» werden.

Umstrittener ist die zweite Neuerung des Betriebsreglements. Seit 2011 dürfen die Fluglotsen startende Maschinen zwischen 22 und 6 Uhr erst ab rund 2500 Metern über Grund von der vorgesehenen Route abweichen lassen und die Maschinen in verschiedene Richtungen lenken. Diese Regelung sei aus Lärmschutzgründen eingeführt worden, habe sich aber nicht bewährt, sagt Urs Holderegger. Durch die Konzentration startender Maschinen sei dichtbesiedeltes Gebiet stärker beschallt worden. Nun kehre man zurück zur alten Regelung, wonach die Lotsen die Flugzeuge ab einer Höhe von rund 1500 Metern über Grund separieren dürfen. Das erleichtere die Arbeit der Lotsen.

Anwohner im Norden des Flughafens goutieren die Neuerung nicht. Hanspeter Lienhart, Präsident der IG Nord, sagt, dem Norden würde erneut die gesamte Last aufgebürdet. Die früher abdrehenden Flugzeuge brächten mehr Lärm – was das Bazl allerdings bestreitet. Vor allem für die Gemeinden Höri und Bülach sei eine Verschlechterung zu erwarten, sagt Lienhart. Man werde die Verfügung vor Bundesverwaltungsgericht anfechten. Damit dürfte die IG Nord erfahrungsgemäss nicht allein sein.

Spätere Slots in Prüfung

Thomas Hardegger, SP-Nationalrat, Gemeindepräsident von Rümlang und Präsident des Flughafen-Schutzverbandes, sieht die Änderung ebenfalls kritisch. Aber er kann der Verfügung auch Positives abgewinnen: Das Bazl hat die Flughafen AG damit beauftragt, die Vorverlegung der letzten Abflug-Slots am Abend zu prüfen. Das sei ein deutliches Zeichen, findet Hardegger. Seit langem nutze der Flughafen die für den Verspätungsabbau vorgesehene halbe Stunde zwischen 23 Uhr und 23 Uhr 30, als ob diese zur regulären Betriebszeit gehöre.

Urs Holderegger sagt, das Bazl erhoffe sich von der Auflage tatsächlich eine Entspannung. Vor allem wolle man schwarz auf weiss dokumentiert haben, ob frühere letzte Slots möglich seien – oder eben nicht.

NZZ, 17.05.2018