Zürcher Fluglärmindex steigt erneut stark an (NZZ)

Publiziert von VFSNinfo am
Der Zürcher Fluglärmindex 2012 wirkt paradox: Die Zahl der Flugbewegungen nahm ab, trotzdem waren mehr Lärmbetroffene zu verzeichnen. Der Grund dafür sind vor allem mehr Starts und Landungen am späten Abend und veränderte Flugrouten.

Andreas Schürer

Der Volkswirtschaftsdirektor Ernst Stocker (SVP) ist nicht zu beneiden. Fast scheint es die Regel zu werden, dass er kurz vor der Adventszeit einen Rekord zu vermelden hat, auf den er lieber verzichten würde: Jahr für Jahr ist zuletzt der Monitoringwert im Zürcher Fluglärmindex (ZFI) angestiegen. Der Richtwert wurde bereits 2008, 2010 und 2011 überschritten. Nun sind auch im Jahr 2012 klar mehr als die im Richtwert definierten 47 000 Personen stark vom Fluglärm betroffen. Mehr noch: Der ZFI-Monitoringwert ist so stark angewachsen wie noch nie im Jahresvergleich. Im Jahr 2012 waren 58 784 Personen stark vom Fluglärm betroffen. Ein Jahr zuvor waren es rund 5100 Personen weniger, nämlich 53 704. Stocker schreibt dazu in dem heute veröffentlichten Bericht zum Jahr 2012: «Dass sich der Anstieg des ZFI-Monitoringwerts selbst in einem Jahr mit rund 3 Prozent weniger Flugbewegungen fortsetzt, ist für mich sehr unbefriedigend.»

Mehr Flüge spätabends

Tatsächlich erstaunt der neuerliche starke Anstieg. Das Verkehrsaufkommen in Zürich ist 2012 im Vergleich zum Vorjahr um 3,2 Prozent auf 270\'000 Flugbewegungen zurückgegangen. Fortgesetzt hat sich der Trend, dass tendenziell grössere Flugzeuge besser ausgelastet werden. Das Passagiervolumen stieg nämlich im selben Zeitraum von rund 24,3 auf 24,8 Millionen. Dass der ZFI-Monitoringwert dennoch anstieg, begründet der Regierungsrat in seiner heutigen Mitteilung vor allem mit zwei Faktoren. Zum einen habe die Zahl der Flüge zwischen 22 und 23 Uhr beziehungsweise bis 23 Uhr 30, falls es Verspätungen abzubauen gab, markant zugenommen. Zum anderen seien wegen veränderter Routen der Starts dichtbesiedelte Gebiete stärker betroffen worden, namentlich das Limmattal, das Glatttal und Teile der Stadt Zürich. Nur noch marginal habe im Vergleich zum Jahr 2011 das überdurchschnittlich starke Bevölkerungswachstum zum Anstieg des ZFI-Werts beigetragen. Stocker verweist allerdings darauf, dass die vielen Neuzuzüger über einen längeren Zeitraum betrachtet einer der Haupttreiber des Anstiegs des ZFI-Werts seien.

Beschränkter Einfluss

Die erneute Überschreitung des ZFI-Richtwerts setzt die Zürcher Regierung unter Druck, Massnahmen zu beschliessen. Das komplexe Instrument wurde schliesslich im Jahr 2007 als Gegenvorschlag zur kantonalen Volksinitiative «Für eine realistische Flughafenpolitik» angenommen. Die Intention der Regierung war, den ZFI so festzulegen, dass er bei rund 320\'000 Flugbewegungen greift, dass dann der Richtwert überschritten wird – und Massnahmen nötig werden. Das von Stocker erwähnte Bevölkerungswachstum, das der Kanton unterschätzte, bringt das Karussell nun früher in Gang als geplant. Weil die Hub-Strategie und damit das Gewährleisten der Anbindung der Schweiz an die wichtigsten Metropolen der Welt vom Bundesrat vorgegeben ist, sind zum Beispiel Eingriffe in die Zahl der Starts und Landungen nach 22 Uhr äusserst problematisch. Stocker setzt denn auch auf andere Massnahmen.

Mehr Flexibilität bei Starts

Fliegerisch sei vor allem die komplexe Flight-Level-80-Regelung zweischneidig, schreibt der Regierungsrat. Sie besagt, dass Piloten in der Nacht erst ab einer Höhe von rund 2500 Metern über Meer die ihnen zugeteilte Route verlassen dürfen. Bei Starts nach Norden mit östlichen Destinationen müssen sie deshalb Ostanflügen ausweichen, indem sie nach Westen abdrehen und in einer weiten Linkskurve südlich am Flughafen vorbeifliegen, bis sie die Höhe von 2500 Metern über Meer erreicht haben. Dabei überfliegen sie dichtbesiedelte Gebiete im Limmattal, im Glatttal und in der Stadt Zürich. In Absprache mit dem Bund solle diese Regelung gelockert werden, schreibt der Regierungsrat. Die nach Norden startenden Flugzeuge mit östlichen Destinationen sollen bereits früher von der Abflugroute abweichen und nach Osten geleitet werden.

Hoffen auf leisere Flugzeuge

Darüber hinaus setzt die Regierung auf modernere Flugzeuge und Schallschutzmassnahmen. Die wichtigste Massnahme sei die bereits beschlossene Erneuerung der Kurzstreckenflotte der Swiss, die ab 2015 stattfindet: Die Jumbolinos werden durch leisere Flugzeuge der C-Series des Herstellers Bombardier ersetzt. Ab 2016 rechnet die Regierung auch mit einer Erneuerung der Langstreckenflotte. Vom Förderprogramm «Wohnqualität Flughafenregion» erhofft sich der Regierungsrat ebenfalls eine Reduktion des ZFI-Monitoringwerts. Dabei werden Hauseigentümer, deren Liegenschaft in Gebieten mit übermässigem Fluglärm liegt, finanziell unterstützt, damit sie hochwertigen Schallschutz installieren können. Volkswirtschaftsdirektor Stocker verweist allerdings darauf, dass diese Massnahmen nicht von heute auf morgen greifen. Es dürfte noch einige Zeit brauchen, bis der ZFI-Richtwert wieder eingehalten werden könne, schreibt er. Und fügt hinzu: «Dies ist der Preis dafür, dass der Flughafen Zürich seinen verkehrs- und volkswirtschaftlichen Beitrag für den Lebens- und Wirtschaftsraum Zürich und weite Teile der Schweiz weiterhin leisten kann.»

NZZ, 28.11.2013


asü. Das Mitte-Links-Lager reagiert harsch auf den Bericht des Regierungsrats zum Zürcher Fluglärm-Index (ZFI) 2012. Die SP bezeichnet das Instrument als Beruhigungspille, die nicht wirke. Der Regierungsrat müsse endlich seinen Einfluss geltend machen, um Starts und Landungen in den Randstunden und in der Nacht zu reduzieren. In die gleiche Richtung zielen die GLP, die GP und die CVP. Letztere drängt auf eine bessere Einhaltung der siebenstündigen Nachtsperre, sieht sich aber auch in ihrer kritischen Haltung zum ZFI bestärkt. Die Regierung müsse ihn entweder ernst nehmen und für die Einhaltung sorgen – oder ihn abschaffen. Für die Grünen ist die Zunahme der Flüge in den Nachtstunden alarmierend. Der Regierungsrat müsse diesen Trend umkehren und insbesondere die steigende Nutzung der für den Verspätungsabbau vorgesehenen Zeit von 23 bis 23 Uhr 30 unterbinden.

Für eine Reduktion der Flüge in den Tagesrand- und Nachtstunden sieht die Regierung aber keinen Anlass, wie sie im ZFI-Bericht schreibt. Dies käme faktisch einer Ausdehnung der Nachtsperre gleich. Betrüge diese mehr als sieben Stunden, würde es dem Home-Carrier Swiss erschwert, den Hub am Flughafen Zürich aufrechtzuerhalten. Zwei Initiativen, die eine Verlängerung der Nachtsperre auf acht beziehungsweise neun Stunden forderten, seien zudem klar verworfen worden.

Die GLP nutzt den ZFI-Bericht, um einen Verzicht auf den geplanten Pistenausbau einzufordern. Was sie nicht sagt: Laut dem Bundesamt für Zivilluftfahrt wäre während der deutschen Sperrzeiten das Ostkonzept, das Pistenausbauten vorsieht, am lärmgünstigsten. Wer die Einhaltung des ZFI zur obersten Priorität erklärt, muss folglich auf den Ausbau und die dadurch ermöglichte Kanalisierung während der Sperrzeiten setzen – und den Süden möglichst schonen.

Nicht erstaunlich ist deshalb, dass der Verein Bürgerprotest Fluglärm Ost auf eine Abschaffung des ZFI drängt. Der Schutzverband und das Fluglärmforum Süd sind sich für einmal einig: Beide fordern wie die Mitte-Links-Parteien weniger Nachtflüge. Einen anderen Akzent setzt das Komitee Weltoffenes Zürich. Der ZFI mutiere zum Zuwanderungsindex. Die Flughafenregion boome und ziehe immer mehr Menschen an, die dann im ZFI-Bericht als Betroffene erschienen. Liegenschaften mit hochwertigem Schallschutz müssten darum aus der Betrachtung gestrichen werden.

NZZ, 28.11.2013




siehe auch:
Alle Jahre wieder - ZFI einmal mehr überschritten (VFSN)