«Für die Bevölkerung ist das ein Skandal» (TA)

Publiziert von VFSNinfo am
Die Zürcher Bürger- und Gemeindeorganisationen reagieren verunsichert bis harsch auf das Ja des Nationalrats zum Fluglärmstaatsvertrag. Aus Deutschland heisst es, man müsse ohnehin neu verhandeln.

«Das bedeutet drei Stunden mehr Lärm für die Flughafenanwohner.» Thomas Morf vom Verein Flugschneise Süd – Nein (VFSN) reagiert empört auf die Zustimmung der Grossen Kammer zum Staatsvertrag mit Deutschland und spricht gar von einem «Skandal für die Bevölkerung rund um den Flughafen». Und das alles, damit eine Hand voll Deutsche weniger Lärm haben, fährt Morf weiter und korrigiert sich sogleich: «‹Weniger Lärm› stimmt nicht, denn sie haben schon heute keinen Lärm.»

Morf echauffiert sich vor allem über die Tatsache, dass 70 Prozent der Flugbewegungen von einer deutschen Firma verursacht werden: der Lufthansa, der auch die Swiss gehört. Und dieses Deutschland drangsaliert die Zürcher, die nunmehr keine Erholungszeiten mehr hätten. Morf meint, dass Zürich und die Schweiz auch ohne Hub-Funktion des Flughafens bestens an die Welt angebunden wäre und fühlt sich durch eine entsprechende Aussage des Zürcher Volkswirtschaftsdirektors Ernst Stocker (SVP) bestätigt.

Forderungen ohne Widerhall

Ebenfalls nicht glücklich mit dem Ja zum Staatsvertrag ist Hanspeter Lienhart. Der Bülacher SP-Stadtrat und Präsident der IG Nord sagt, dass ihm nicht der Vertrag an sich Kopfweh bereite, sondern die Auswirkungen. Lienhart und andere Akteure aus der sehr breiten Allianz Nord-Ost-West hatten für ein «Ja, aber» plädiert.

Sie forderten einen Zusatzbericht vom Bundesrat. Darin sollte eine «faire» und «ausgewogene» Fluglärmverteilung auf alle vier Himmelsrichtungen im Tages- oder Wochenrhythmus zugesichert werden, wobei Lienhart präzisiert, dass «fair» nicht mit «gleichmässig» gleichzusetzen sei. Zudem sollten Pistenausbauten ausgeschlossen und die Direktbetroffenen stärker in den Prozess zum neuen Objektblatt des Sachplans Infrastruktur der Luftfahrt (SIL) einbezogen werden.

«Das geht so nicht»

Dies alles ist nicht passiert. Deshalb sagt Lienhart: «Das geht so nicht.» Auch kritisiert er, dass die Flughafengemeinden länger mit einer Rechtsunsicherheit werden leben müssen. Denn wegen der Unsicherheit, ob Deutschland auch zustimmt, droht vorerst ein An- und Abflugregime, das nicht definitiv ist. Damit widerspricht Lienhart SVP-Nationalrat Max Binder, der in der Debatte in Bern als Vorteil des Vertrags die Rechts- und Planungssicherheit genannt hatte.

Im Communiqué der Allianz Nord-Ost-West ist von Enttäuschung die Rede, dass der Rückweisungsantrag von SP-Nationalrat und IG-West-Präsident Thomas Hardegger abgelehnt worden ist. Nun zähle die Allianz auf das «Versprechen» von Bundesrätin Doris Leuthard (CVP), dass ihr eine faire Lösung in der Frage der Lärmverteilung «sehr wichtig und der Süden nicht sakrosankt sei».

Waldshut: «Andere Haltung»

Aus dem deutschen Waldshut, das von Anfang an aus allen Rohren gegen den Staatsvertrag geschossen hat und schliesslich grosse Teile der deutschen Politik hat hinter sich bringen können, kommt nur die Bemerkung von Landrat Tilman Bollacher: «Diese Entscheidung möchte ich nicht kommentieren.»

Bollacher verhehlt aber nicht, dass seine Haltung wie jene Deutschlands, Baden-Württembergs und jene der Region Südbadens «anders aussieht». Da der Vertrag in Deutschland keine Mehrheit finde, müssten «beide Länder weiter an einer auch für Südbaden zufriedenstellenden Einigung arbeiten»

Tages-Anzeiger, 06.06.2012