Staatsvertrag mit Deutschen: Grüne helfen SVP, SP-Politiker wird ausfällig (TA)

Publiziert von VFSNinfo am
Die Zürcher SVP will ein Referendum gegen den Fluglärm-Staatsvertrag erzwingen. Die Grünen verhinderten, dass der Vorstoss vorzeitig Schiffbruch erlitt. Und die SP ärgerte sich über die Hintergründe der SVP.

«Ich beurteile auch den Absender, und der ist degoutant.» Das sagte SP-Kantonsrat Ruedi Lais heute Montagmorgen im Zürcher Kantonsrat. Als «Absender» im Visier hatte er SVP-Mann Claudio Zanetti. Dieser hatte mit zwei weiteren SVP-Fraktionsmitgliedern eine parlamentarische Initiative lanciert, die ein Kantonsreferendum gegen den Fluglärm-Staatsvertrag mit Deutschland verlangt. «Wir wollen eine Volksabstimmung», sagte Zanetti.

Was Lais erzürnte, waren die vermuteten Hintergründe des Vorstosses. «Zanetti sucht den Konflikt. Er will Aversionen gegen Deutsche auf seine parteipolitische Mühlen lenken», sagte er. «Die SVP will nationalistische Reflexe schüren.» Darauf meinte Hans-Peter Amrein (SVP), mit Lais seien wohl «die Pferde durchgegangen», und empfahl Baldriantropfen.

Grüne unbeeindruckt

Lais knöpfte sich aber nicht nur die SVP vor, sondern auch die Grünen. Diese nannte er naiv, weil sie angekündigt hatten, der SVP-Initiative zuzustimmen. Die Grünen liessen sich aber nicht beeindrucken und drückten am Ende den Ja-Knopf zum SVP-Vorstoss. Dieser erreichte (inklusive einer SP-Stimme) 74 Stimmen, womit die parlamentarische Initiative als «vorläufig unterstützt» gilt. Dafür sind 60 von 180 Stimmen nötig. Ohne Grüne wäre die Initiative versenkt worden, da es die SVP nur auf 54 Stimmen bringt.

Der Vorstoss geht nun an eine Parlamentskommission. Aber wenn sich die Meinungen im Rat nicht ändern, wird er in einem zweiten Schritt – wenn es ein relatives Mehr braucht – abgelehnt.

Pikante Positionsbezüge aus Zürich

Viel Lärm um nichts also? Oder eine «Schaumschlägerei», wie sich Marcel Burlet (SP) ausdrückte. Ja und Nein. Ja, weil es für ein Kantonsreferendum insgesamt acht Kantone braucht. Und woher die anderen sieben herkommen sollen, ist mehr als unklar, wie Jean-Philippe Pinto (CVP) feststellte.

Pikant waren die Positionsbezüge im Zürcher Parlament trotzdem. Denn diese divergieren teilweise von jenen derselben Parteien im Bundesparlament, wo tatsächlich Entscheidungen getroffen werden. So sprachen sich im Zürcher Rathaus SP, FDP, GLP, CVP, EVP, BDP und EDU für den Staatsvertrag aus, wenn auch meist zähneknirschend.

«Weder Gold noch Müll»

Burlet befürchtet einseitige Verschärfungen durch Deutschland und sagte: «Wir sind am kürzeren Hebel.» Jörg Kündig sagte, die FDP sei «nicht glücklich» mit dem Vertrag, aber er widerspiegle einen «Gleichstand der Unzufriedenheit» und ermögliche immerhin eine Rechts- und Investitionssicherheit in der Flughafenregion. Jörg Mäder (GLP) sprach von «weder Gold noch Müll» und Gerhard Fischer (EVP) meinte, der Vertrag sei «nicht das Gelbe vom Ei». Ein Ja aber setze Deutschland unter Druck. Pinto taxierte das Vertragsresultat «seiner» Bundesrätin Doris Leuthard als schlechten Kompromiss, der kaum den Schweizer Wünschen entspreche. Aber er enthalte immerhin keine numerischen Anflugbeschränkungen.

SVP und Grüne lehnten den Vertrag ab. Die SVP, weil sie in ihm einen Bückling gegenüber Deutschland sieht. Barbara Steinemann sprach von einem Wirtschaftskrieg gegen die Schweiz. Der Status quo sei besser als der Vertrag. Die Grünen wiederum haben andere Beweggründe. Sie befürchten eine Kapazitätserhöhung in Kloten, wie Robert Brunner erklärte. Als Vertreter des Bezirks Dielsdorf müsse er zudem feststellen, dass er dem Norden des Flughafens aufgrund der vermehrten Nordabflüge am Abend viele Nachteile bringt.

Wie verhalten sich SVP und SP in Bern?

In Bern aber sieht die Situation anders aus. Auch in der Hauptstadt wird der Staatsvertrag, der von Verkehrsministerin Leuthard und ihrem deutschen Amtskollegen Peter Ramsauer am 2. Juli 2012 paraphiert wurde, derzeit heiss diskutiert. Deutschland hat die parlamentarische Ratifizierung bekanntlich sistiert, weil in Berlin eine Ablehnung drohte. Der Schweizer Ständerat hat ihn am 7. März hingegen demonstrativ klar gutgeheissen: mit 40:2 Stimmen, wobei auch die SVP-Vertreter zustimmten.

Im Nationalrat sind die Fronten weniger klar. Zumindest eine Sistierung des Ratifikationsprozesses könnte mehrheitsfähig sein. Ein wichtiger Vorentscheid dürfte am 25. März fallen. Dann nämlich wird die Verkehrskommission des Nationalrats voraussichtlich einen Sistierungsantrag der SP-Fraktion beraten. Die Grünen ziehen mit, und auch die SVP scheint nicht abgeneigt. Was niemand im Zürcher Kantonsrat erwähnte, war das innerparteiliche Signal des einstimmigen Entscheids der Zürcher SVP-Kantonsratsfraktion. Denn im Nationalrat ist der Zürcher Max Binder, der auch in der Verkehrskommission sitzt, ein Befürworter des Staatsvertrags.

Tages-Anzeiger, 18.03.2013