Leuthard soll wegen Fluglärmstreit Gelder blockiert haben (TA)

Publiziert von VFSNinfo am
Für die Verbesserung der Bahnverbindung zwischen Zürich und Stuttgart tritt die Schweiz als Mitinvestorin in Deutschland auf. Wegen des Fluglärmstreits werden nun aber 50 Millionen Euro zurückgehalten.Im Fluglärmstreit zwischen der Schweiz und Deutschland läuft es harzig. Nachdem Deutschland jüngst den Staatsvertrag auf Eis gelegt hat und nochmals beraten will, gab sich Bundesrätin Doris Leuthard gestern unbeeindruckt. Im Namen des Bundesrates leitete sie die Botschaft zum Vertrag mit Deutschland über den Flugverkehr ans Parlament.

Die Schweizer Verkehrsministerin Doris Leuthard will ihren Fahrplan einhalten, auch wenn sie vorläufig keine Angaben mehr darüber macht, wie der Vertrag umgesetzt werden soll. Der Bundesrat halte es nicht für sinnvoll, sich zum jetzigen Zeitpunkt festzulegen, sagte sie. Vorher müsse klar sein, dass Deutschland den Staatsvertrag ratifizieren wolle. Der Streit schwelt nun seit Jahren.

Hinter den Kulissen hat die Schweiz nun aber offenbar Massnahmen ins Auge gefasst wie die Verknüpfung des Staatsvertrages mit anderen Verkehrsträgern. So hat Leuthard Gelder für den Bau der Gäubahn (Stuttgart–Singen–Schaffhausen–Zürich) blockieren lassen. Das erklären gut informierte Kreise gegenüber Tagesanzeiger.ch/Newsnet.

Heute wird diese Strecke im Zweistundentakt befahren. Ziel des Baus ist der Einsatz von besserem Rollmaterial und einer Fahrzeit Zürich–Stuttgart von 2 Stunden 15 Minuten. Bei der Allgäubahn bezahlt die Schweiz an die Elektrifizierung Lindau–Geltendorf (Teil der Verbindung Zürich–München) 50 Millionen Euro als Vorfinanzierung. Offiziell will von Leuthards Uvek jedoch niemand bestätigen, dass wegen des Staatsvertrages Gelder blockiert sind.

Zuerst andere Probleme gemeinsam lösen

Ein Zusammenhang mit den getrübten Beziehungen zwischen der Schweiz und dem Bundesland Baden-Württemberg wegen des Fluglärmstreits ist jedoch offensichtlich. Auch wenn man weiss, dass besonders die Gäubahn ein Anliegen des Verkehrsministers von Baden-Würtemberg, Winfried Hermann, ist. Bei einem Treffen mit Schweizer Parlamentariern am 31. März 2011 nannte Hermann die Streckenverbindung Zürich–Stuttgart als wichtiges Anliegen seines Bundeslandes.

Hermann sagte damals, dass man aus dem Problem mit dem Fluglärm herauskomme, wenn man gemeinsam über verschiedene Verkehrsprobleme spricht, «und dass man schaut, wie man das eine oder andere Problem löst». Wenn man es ernst meine mit dem gemeinsamen Europa, einem gemeinsamen Lebensraum, dann gebe es mehrere Probleme, die noch zu lösen seien: das Endlager für radioaktiven Abfall, der Flughafen, der Anschluss der Rheintalschiene, der Anschluss nach Stuttgart über Singen, der Anschluss nach Ulm und der Anschluss nach München.

Er glaube, dass es Interessen der Deutschen gebe, welche die Schweizer nicht interessierten würden. «Es gibt keine gute Verbindung zwischen Zürich und Stuttgart», sagte er. Dabei sei es eine Destination, die sich hervorragend für eine gute Schienenverbindung eigne. Und er fügte an: Wenn man sehe, dass sich die andere Seite bei einem Problem bewege, dann gehe man anders mit anderen Problemen um. Die Schweiz hat sich bei den von Hermann angesprochenen Problemen teilweise bewegt, aber der Widerstand ist inzwischen noch intensiver geworden.

Vermeintlicher Durchbruch im Sommer 2012

Dabei hatte doch noch im Sommer alles gut ausgesehen. Der 2. Juli 2012 war für Leuthard ein Freudentag: Nach intensiven Verhandlungen erzielte sie mit Deutschland im Streit um das Regime des Anflugs auf den Flughafen Zürich einen Durchbruch. Auf deutscher Seite fühlte man sich zwar nicht genug entlastet und auf der schweizerischen Seite sah man sich mit neuen Belastungen konfrontiert. Der Vertrag sah aber eine für beide Seiten akzeptable Lösung vor, wie Leuthard und ihr deutscher Amtskollege Peter Ramsauer dies hinterher vor den Medien ausführten.

Seither hat jedoch der Widerstand im deutschen Südbaden an Intensität gewonnen. Praktisch alle Fraktionen von Baden-Württemberg, die im Bundestag vertreten sind, haben sich gegen den Staatsvertrag ausgesprochen, viele Bürgermeister und Landräte ebenfalls. Die Vorteile des Vertrages für Süddeutschland will in der aufgeheizten Stimmung kaum jemand mehr diskutieren: nämlich, dass die Zahl der Überflugstunden sinken und Süddeutschland Tausende von Flugbewegungen weniger ertragen müsste.

Das Thema Fluglärm hat an Emotionalität zugelegt

Vor der Verkehrskommission des Nationalrates (KFV) erklärte der Chef des Bundesamtes für Zivilluftfahrt, Peter Müller, es würden zum Teil abstruse Behauptungen in die Welt gesetzt. Viele Leute seien nicht mehr daran interessiert, mit der Schweiz in der Sache zu diskutieren. Das Thema habe eine Emotionalität angenommen, «die eine gewisse Sorge weckt».

Sogar das deutsche Verkehrsministerium werde mit einer fast bedrohlichen Vehemenz attackiert. Ramsauer soll gegenüber Schweizer Unterhändlern erklärt haben, er habe so etwas noch nie erlebt. Er werde wegen des Staatsvertrages mit der Schweiz auch persönlich bedroht. Der Schweiz wirft der deutsche Verkehrsminister vor, sie schüre mit falschen Zahlen den Protest. Gemeint ist die Schweizer Prognose, dass die Zahl der Überflüge im Jahr 2030 zwischen 105\'000 und 110\'000 betragen könnte. Diese Zahl bezieht sich indes auf die absolute langfristige Kapazitätsgrenze des Flughafens Zürich.

Peter Ramsauer reagierte viel zu spät auf die Proteste

Die Schweiz wollte mit diesen Angaben früheren Vorwürfen aus Süddeutschland entgegentreten, sie operiere im Fluglärmstreit nicht transparent. Die Angaben sind aber nicht so bedeutend, wie man sie in Süddeutschland offenbar sehen will. Wie viele Anflüge in zwanzig oder dreissig Jahren über Norden erfolgen werden, könne man nicht mit Sicherheit voraussagen, versichern Fachleute des Bundes. Es bestehe zudem der Trend, die steigende Nachfrage nach Flugdienstleistungen nicht mit zusätzlichen Flugzeugen, sondern mit grösseren Flugzeugen zu befriedigen.

Peter Ramsauer habe viel zu spät die Vorteile des Staatsvertrages für Süddeutschland erkannt, wirft ihm die Schweize vor. Er hätte sofort vor die süddeutsche Bevölkerung treten und den Vertrag verteidigen müssen. Ramsauer versuchte zwar sein Versäumnis nachzuholen, etwa indem er am 26. November die Landtagsabgeordneten bei sich in Berlin versammelte, um ihnen anhand eines Positionspapiers die Vorteile des Vertrages für Deutschland darzulegen. Der Erfolg blieb allerdings aus, der Ratifikationsprozess ist in Berlin jedenfalls vorläufig auf Eis gelegt.

Tages-Anzeiger, 20.1.22012