Kommen die Südstarts, wird es noch lauter am Zürichsee (ZSZ)

Publiziert von VFSNinfo am
Der Flughafen Zürich und das Bundesamt für Zivilluftfahrt halten sich die «Südstarts geradeaus» als Option für die Zukunft offen.   Bei den Bürgerorganisationen im Süden herrscht Empörung. Starts Richtung Süden brächten vielen Gemeinden am Zürichsee mehr Lärm.

Martin Steinegger

Beim Thema «Südstarts geradeaus» gerät Thomas Morf, Präsident des «Vereins Flugschneise Süd Nein» (VFSN), in Rage: «Das wäre etwas vom schlimmsten, was uns hier in der Südschneise passieren könnte», betont er. Morf befürchtet, dass diese Form der Starts - die derzeit nicht angewendet werden - früher oder später zum fixen Bestandteil des An- und Abflugregimes am Flughafen Zürich werden könnten. «Vieles deutet derzeit darauf hin», sagt Morf.

In seinen Befürchtungen bestätigt wird der «Schneiser»-Chef aus Pfaffhausen durch das Bundesamt für Zivilluftfahrt (Bazl). Dieses präsentierte unlängst einen Entwurf mit sechs neuen An- und Abflugkonzepten für den Flughafen Zürich, welches Eingang in den Sachplan Infrastruktur Luftfahrt (SIL) des Bundes finden soll. Die vom Fluglärm betroffenen Kantone haben bis zum 15. November Zeit, sich zum Entwurf zu äussern. Das Bazl erarbeitete die Varianten unter Berücksichtigung des neu ausgehandelten Staatsvertrages zwischen der Schweiz und Deutschland. Dieser wird wohl ab 2020 in Kraft treten. Durch den Vertrag wird sich die Zahl der Flugbewegungen über der Schweiz wegen neuer Sperrzeiten über dem süddeutschen Luftraum um etwa 20\'000 pro Jahr erhöhen.

In einem kurzen Passus ganz am Schluss des Entwurfs werden auch die «Südstarts geradeaus» erwähnt: und zwar als Option für die Zukunft. Genau das ist es, was den «Schneisern» um Thomas Morf sauer aufstösst. Sollten die «Südstarts geradeaus» nämlich im nächsten Jahr definitiv in den SIL einfliessen, dann stünden sie dem Flughafen als jederzeit anwendbare Option offen. Das zumindest befürchten die Bürgerorganisationen im Süden.

Tiefer und lauter

Bei einem «Südstart geradeaus» startet ein Flugzeug von der Piste 16/34 des Flughafens in Richtung Süden. Der so gestartete Jet überfliegt zunächst das südliche Glattal. Etwa auf Höhe von Fällanden/Pfaffhausen schwenkt die Maschine dann nach Osten Richtung Uster ab, oder sie macht eine Kurve nach Südwesten und fliegt über den unteren und mittleren Teil des Zürichsees. Diese Starts unterscheiden sich wesentlich von den heute bekannten Südanflügen. Gemäss Thomas Morf, der sich intensiv mit den «Südstarts geradeaus» beschäftigt, dürfen Flugzeuge nach internationalem Regelwerk beim Start tiefer fliegen als bei der Landung. Ein Beispiel: Bei einer Landung überfliegt ein Flugzeug Zollikerberg in einer Höhe von über 1000 Metern über Meer. Bei einem Südstart hingegen kann die Maschine rund 200 Meter tiefer fliegen. «Die Starts sind deshalb etwa doppelt so laut wie die Landungen», sagt Thomas Morf. «Es werden ausschliesslich die schweren, lauten Langstreckenflieger nach Süden starten», ergänzt er.

Sonja Zöchling, Mediensprecherin des Flughafens Zürich, betont auf Anfrage, dass Flugzeuge bei Starts deutlich steiler steigen, als dass sie bei der Landung sinken. Die Steigfähigkeit hänge allerdings vom Flugzeugtyp ab. «Die kleineren, leichteren Flugzeuge steigen wesentlich schneller als die voll beladenen Langstreckenflugzeuge», sagt sie. Was im Klartext heisst: Schwere Linienmaschinen fliegen beim Start tatsächlich tiefer als bei der Landung. Ein weiterer Unterschied zwischen Südstarts und Südlandungen besteht gemäss Thomas Morf in der Streuung. Während die Südanflüge auf einer geraden Linie über den Pfannenstiel kommen, weisen die Starts eine viel grössere Fächerung auf. So wären zum Beispiel diverse Gemeinden am linken Zürichseeufer, die bis heute weitgehend vom Fluglärm verschont geblieben sind, plötzlich mit einer neuen und intensiven Lärmbelastung konfrontiert.

«Nur bei Bise und Nebel»

Doch wie realistisch ist es, dass die «Südstarts geradeaus» tatsächlich eingeführt werden? Bis jetzt existieren sie nur auf dem Papier. Im neuen Entwurf zum SIL-Prozess, welchen das Bazl vorgelegt hat, werden sie als mögliche Zukunftsoption angesehen. Sie könnten demnach so die Vorstellung beim Bazl irgendwann als Entlastungsmassnahme für die Gebiete im Osten des Flughafens eingeführt werden. Dies, weil der Osten ab 2020 vermutlich die Hauptlast der An- und Abflüge wird tragen müssen. Zudem hält das Bazl fest, dass «Südstarts geradeaus» erst dann in Erwägung gezogen werden können, wenn eine neue Generation von Flugzeugen zur Verfügung steht, die «deutlich leiser» sind.

Flughafensprecherin Sonja Zöchling will diesen Vorschlag des Bazl nicht kommentieren. Derzeit seien Südstarts nicht als Entlastungsmassnahme für den Osten gedacht. Aktuell im SIL eingegeben sei der «Südstart geradeaus» nur in aussergewöhnlichen Situationen, zum Beispiel für den Abbau von Verspätungen bei Bise und Nebel. Die technische Entwicklung der Flugzeuge spiele dabei keine Rolle. Und Zöchling fügt hinzu: «Der Flughafen hat zum Ziel, möglichst wenige Menschen mit Lärm zu belasten, beziehungsweise möglichst wenige Menschen neu mit Lärm zu belasten.»

Was heisst «deutlich leiser»?

Thomas Morf zeigt sich angesichts solcher Beteuerungen allerdings skeptisch. Er glaubt nicht, dass die «Südstarts geradeaus» sollten sie denn einmal definitiv ins Betriebskonzept des Flughafens aufgenommen werden nur in «aussergewöhnlichen Situationen» angewendet würden. Und auch wenn dies der Fall wäre, so zeige die heutige Situation mit den Südanflügen, dass «aussergewöhnliche Situationen» mittlerweile fast täglich vorkommen. Dies verheisse nichts Gutes mit Blick auf mögliche Südstarts. Diese seien aus betriebswirtschaftlicher Sicht äusserst attraktiv. «Das primäre Ziel des Flughafens ist es, die Kapazität zu maximieren und die Komplexität zu minimieren», sagt Morf. Die «Südstarts geradeaus» seien für diese Zwecke hervorragend geeignet.

Auch die Feststellung des Bazl, dass die Starts nach Süden nur dann Anwendung finden, wenn dereinst leisere Flugzeuge zur Verfügung stehen, überzeugt Morf nicht. «Wenn eine schwere Linienmaschine wie der A380, wie es manchmal behauptet wird, 20 oder 30 Prozent leiser wird, dann entspricht das 3 Dezibel.» Eine solche Reduktion könne aber, wenn überhaupt, nur von einem geschulten Ohr wahrgenommen werden. Auf die Frage, wie leise denn ein Jet künftig sein müsse, damit er «Südstarts geradeaus» fliegen könne, erhielt die «ZSZ» auf Anfrage weder beim Bazl noch beim Flughafen eine eindeutige Antwort.

ZSZ, 16.10.2012