In der Schneise (TA)

Publiziert von VFSNinfo am
Mit dem Velo zum Fluglärm

Wegen des neuen Staatsvertrags wird heftig über die Verteilung des Fluglärms gefeilscht. Doch wie sieht es dort aus, wo andere mit dem Flugzeug darüberbrausen? Ein Augenschein in den Anflugschneisen.

Nordanflug:

In Tiengen sind die Autos lauter als die Flugzeuge

von Helene Arnet

Das passt: Exakt bei der Abzweigung in die Zürcherstrasse in Waldshut hören wir das erste Flugzeug. Es brummt leise – etwa wie wenn der Nachbar staubsaugt. Etwas später wundern wir uns, weshalb alle Schweizer in Waldshut einkaufen, das ebenfalls hübsche Tiengen rechts liegen lassen. Dann fragen wir uns: Wo ist denn der Fluglärm? Man sieht zwar hin und wieder Flugzeuge, aber hört sie kaum. «Die Autos sind eben lauter», sagt ein Mann im Strassencafé.

Wir radeln sechs Kilometer bis Oberlauchringen. Zwei geschlossene Restaurants, zwölf Flugzeuge. Dann geht es bergauf. Dass sich der bewaldete Hügel unter dem Nordanflug zum Flughafen Kloten befindet, hören wir am regelmässigen Brummen über uns. Es ist kurz vor 13 Uhr. Waldesruh herrscht nicht, aber der Schrei des Milans ist präsenter als der Fluglärm. Störend sei der Fluglärm erst unten bei Kaiserstuhl, sagt uns ein Ausflügler in Bechtersbohl. Die trutzige Burgruine Küssaburg, das Wahrzeichen des Klettgaus, liegt einige Kurven weiter oben.

Weitere 200 Höhenmeter höher und zwei geschlossene Restaurants (Mo./Di. Ruhetage) später haben wir 42 Flugzeuge gezählt. Dann ist plötzlich Ruhe am Himmel, als ob man in Kloten den Hahn abgestellt hätte. Dafür kommt ein SMS der Kollegin, die den Ostanflug abfährt: «Sie haben für mich auf Ostanflug umgestellt!» Tatsächlich hat der Westwind aufgefrischt. Wir lassen nach einer Schussfahrt ins Rheintal das Gewitter in Lienheim an uns vorbeiziehen, wo der Hirschen nicht nur offen ist, sondern auch eine ausgezeichnete Küche hat.

Kaiserstuhl. Ein fast intaktes mittelalterliches Dorf, das es wert ist, nicht nur überflogen oder durchradelt zu werden. Die kunstvolle Kanzel in der St.-Katharinenkirche wäre eine Reise für sich wert. Wo ist denn nun der angekündigte Fluglärm? Eine Frau, die ihre kleinen Hunde spazieren führt, sagt: «Bei gewissen Wetterlagen kommen die Flugzeuge in einem fort.» Aber richtig schlimm sei es selten. «Wer hier wohnt, ist daran gewöhnt.»

Zwischen Weiach und Stadel erscheinen erstmals wieder Flugzeuge im Blickfeld. Sie sind nicht im Anflug, sondern gestartet. In Neerach hören wir erstmals einen Brummer, der einem morgens um sechs den Schlaf rauben würde. Wir erfahren: Diese Gemeinden im Norden haben – als einzige überhaupt – den ganzen Tag über nie wirklich Ruhe vor den Flugzeugen. Wenn sie nicht landen, starten sie.


Ostanflug:

Neubauten mitten in der Schneise

von Liliane Minor

Bichelsee liegt eingebettet zwischen steilwaldigen Hügelflanken. Hier scheint die Welt noch in Ordnung. Oder nicht? Ein grosses Plakat fordert: «Kein Lärm-Gau im Hinterthurgau». Ist es so schlimm hier? Eine Bäuerin erzählt: «Jaja, die kommen schon tief. Aber ich verstehe die Leute, die in die Ferien fliegen. Ich bin früher auch gern geflogen.» In der Luft liegt leises Flugzeugbrummen, locker übertönt von einem Hahn. Die Strecke hinüber nach Neubrunn ist ländliche Idylle pur, zwischen stotzigen Wäldchen liegen sattgrüne Wiesen und verstreute Höfe, im Dunst hinter mir Säntis und Churfirsten, links das Hörnli. Kuhglockengebimmel, ab und zu ein Traktor. Das Brummen liegt noch immer in der Luft und will nicht so recht in diese Gegend passen.

«Es macht Angst»
In Turbenthal wird das Brummen zum Dröhnen: Der Flughafen hat auf Oststart umgestellt. Flugzeug um Flugzeug folgt der Krete auf der nördlichen Talseite. Wüsste man es nicht besser, man würde glauben, sie flögen keine 100 Meter über den Bergrücken. Besonders laut ist es nicht, aber der Lärm wird von den Berghängen als Echo hin und her geworfen. Wie lebt es sich hier, wo bald jeden Tag Anflüge ab 18 Uhr drohen? Eine Spaziergängerin mit Hund gesteht: «Es macht Angst.» Und dann sagt sie einen Satz, den ich an diesem Tag noch öfter hören werde: «Wenn der Lärm gerecht verteilt würde, könnte man ihn besser akzeptieren.»

Allerdings trägt auch der Verkehr durchs Tösstal seinen Teil zum Lärm bei. Doch sobald der Weg etwas wegführt von der Strasse, ebben diese Geräusche ab. Das Flugzeugbrummen bleibt. In Dettenried treffe ich einen früheren Swissair-Mitarbeiter. Er findet die Klagen der Nachbarn übertrieben: «Es sind die Neuzuzüger, die reklamieren, schreiben Sie das nur!»

Bei Kyburg wird mir plötzlich die Stille bewusst. Fast gespenstisch ist sie. Im Norden türmen sich riesige Gewitterwolken, Westwind kommt auf. Das ist der Grund für die Stille: Das Anflugsystem wird erneut umgestellt. Und dann erlebe ich den Ostanflug. «Wenn wir das den ganzen Tag hätten, wäre es störend», findet ein Paar in Grafstal. Dennoch schätzt es die Flughafennähe: «Da ist es halt nicht ruhig.» Je näher die Route an den Flughafen führt, desto dichter besiedelt ist die Gegend. Ab Nürensdorf fliegen die Maschinen so tief, dass man unwillkürlich den Kopf einzieht. Und doch ist hier eine Neubausiedlung ausgesteckt. Wissen die Leute, die in diese Gegend ziehen, worauf sie sich einlassen? Offenbar nicht alle. In Kloten erzählt eine Frau, sie habe bei ihrem Einzug vor drei Wochen nicht gewusst, dass ihr Haus in der Anflugschneise liegt: «Als wir die Wohnung besichtigten, war es ruhig. Vom Lärm hat der Vermieter nichts gesagt.»


Südanflug

Der dröhnende Wecker am Pfannenstiel

von Ev Manz

Stäfa ist im Tiefschlaf, als ich um halb sechs Uhr morgens den Hang Richtung Allenberg hinauffahre. Der Geruch von reifen Trauben liegt in der Luft, ein Mädchen in Reitmontur macht sich auf den Weg zum Stall. Plötzlich durchbricht ein Dröhnen die Stille. Ein Blick auf die Uhr, dann an den Himmel. Es ist kurz vor sechs Uhr, der erste Flieger im Landeanflug auf Kloten. Mit seinen Warnblinkern wirkt er am dunklen Himmel wie ein Spielzeug. Nach 30 Sekunden folgt der nächste. Im oberen Dorfteil von Uetikon höre ich, wie die Jets die Räder ausfahren. Kein Wunder, brennt in den Eigentumswohnungen bereits Licht.

Der Hahn klagt
Ich folge den Flugzeugen, vorbei an der Klinik Hohenegg ob Meilen Richtung Pfannenstiel. Über den Feldern liegt leichter Bodennebel. Um 6.20 Uhr wirds ruhig. In Wetzwil oberhalb Herrliberg kommen mir die ersten Schüler auf dem Velo entgegen. Beim Rütihof, dem Trainingsplatz von Olympiareiter Steve Guerdat, setzt der Lärm wieder ein. Die Flugzeuge sind hier merklich tiefer, der Lärm dementsprechend lauter. Das Krähen des Hahns wirkt daneben wie ein Wehklagen.

Auf der Forch nehme ich nur noch den Autolärm wahr. Keine Spur von einem Flugzeug. Im Einfamilienhausquartier bricht der Morgen an, bei einer Baustelle laden die Arbeiter ihr Material aus dem Lieferwagen. Bei Chellen oberhalb Ebmatingen trocknet eine Hundehalterin ihr Tier im Kofferraum. Sie störe der Fluglärm überhaupt nicht, nein, sagt die Ebmatingerin. «Aber da oben», sagt sie und weist in Richtung Süessplätz, «donnern sie schon direkt über das Anwesen von Carolina Müller-Möhl.»

Oberhalb von Binz treffe ich im Wald zwei weitere Hündeler. Es sei schon laut. «Aber, zugegeben, wir haben uns daran gewöhnt», sagt der eine. Der andere nickt. Nur am Wochenende, wenn es auf der Strasse nach Witikon ruhiger sei, nerve ihn der Krach bis neun Uhr. Dann sagt er: «Kamen sie heute überhaupt?» 15 dürften es gewesen sein.

Quer durch den Wald stosse ich im Dübendorfer Weiler Geeren auf die ersten Protestplakate gegen die Südanflüge. Eine Mutter schiebt ihr Kind daran vorbei. Sie sei neu zugezogen, im Wissen um den Fluglärm. «In unserem Neubau hören wir nichts.» Schön, denke ich, und erinnere mich an Abende bei Freunden in Gockhausen, als die Jets bedrohlich tief übers Haus bretterten.

Dann, in Schwamendingen, Opfikon, Glattbrugg. Autos, Trams, Menschenmassen, Häuserschluchten, Autobahnbrücken und das Heizkraftwerk Aubrugg. Hier, so ertappe ich mich beim Gedanken, stören landende Flugzeuge weniger. «Ich höre sie täglich», wehrt sich ein Anwohner. «Die Flugzeuge sind mein Wecker. Auch am Wochenende.»


Gekröpfter Nordanflug:

Über das AKW Beznau zum Flughafen Kloten

von Daniel Schneebeli

Ich fahre ein Phantom ab: Den gekröpften Nordanflug, der vielleicht nie geflogen wird. Auf einer sichelartigen Route sollen die Flugzeuge dereinst aus dem Aargau zum Rhein fliegen und dann von Norden her in Kloten landen – ohne deutsches Gebiet zu überqueren. Der Gekröpfte auf dem Velo startet in Frick und führt der Autobahn entlang Richtung Baden. Hier würde der Fluglärm garantiert übertönt. In Bözen biege ich nach Norden ab, und sofort wirds ruhiger. Erst hört man noch Landmaschinen, dann Kuhglocken und schliesslich im Aufstieg zu einem mir unbekannten Hügel nur noch das leise Klacken des Schweisses, der vom Helm auf den Rahmen tropft.

Der Warteraum
Auf einmal wird die Idylle durch Triebwerksausen gestört. Ich schaue zwischen den Bäumen hoch. Ein Flugzeug sehe ich keines. Es muss weit weg sein. Dass hier geflogen wird, ist logisch, über dem Fricktal müssen wartende Maschinen kreisen, bis sie aus Kloten Landeerlaubnis erhalten. Dann fliegen sie nach Süddeutschland, um dort auf den Landeanflug einzubiegen.

Auf der anderen Seite des Hügels gehts sanft hinunter bis nach Würenlingen. Hier fahre ich an der Betonprüferei von SVP-Grossrat Rolf Ryser vorbei. «Mich stört schwer, dass Flugzeuge über das AKW Beznau fliegen sollen», sagt er. Und ein Malerlehrling, der Mittagspause macht, doppelt nach: «Da würden unsere Jodtabletten nichts mehr nützen.» Dass ein Flugzeug eine reale Gefahr ist, hat man in Würenlingen erlebt. 1970 stürzte hier eine Swissair-Maschine in den Wald – unweit des Zwischenlagers, wo heute radioaktive Abfälle verarbeitet werden. Bei der Gedenkstätte für die 47 Todesopfer sieht man noch immer die Schneise, welche die Coronado geschlagen hat. Ich packe hier mein Sandwich aus. Spaziergänger aus Villigen gehen vorbei. Auch sie wollen den Gekröpften nicht: «Die Zürcher schieben ihren Lärm zu uns ab.»

Als das Brot verzehrt ist, fahre ich – mental getrieben von einer nahenden Gewitterfront – über den Siglistorfer nach Weiach. Hier gleiten die Maschinen aus Deutschland herein. Die Böen, welche die Wolken vor sich hertreiben, schieben mich nach Stadel und schliesslich bis zum Bahnhof Oberglatt. Flugzeuge sehe ich keine mehr. Rückenwind ist schön für Velofahrer, aber schlecht für landende Flugzeuge. Wie ich von Kollegin Minor später vernehme, wurde während meiner Anfahrt zum Flughafen von Nord- auf Ostanflug umge-

Tages-Anzeiger, 17.09.2012, Seite 15


Kommentar VFSN: Auf der Forch muss sich Ev Manz massiv verfahren haben - oder sie hat den Zeitraum zwischen 06:30 und 07:15 erwischt in dem nur selten Flugzeuge landen."