Wenn komplexe Systeme zusammenbrechen (NZZ)

Publiziert von VFSNinfo am

Das Risikoumfeld, in dem Fluglotsen arbeiten

Am Mittwoch will die deutsche Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung den Untersuchungsbericht zur Kollision über Überlingen im Jahr 2002 vorlegen. Dass dabei die Lotsendienste der im Unglücksgebiet zuständigen Skyguide breiten Raum einnehmen werden, steht zum Vorneherein fest. Im Folgenden macht sich ein Flugverkehrsleiter Gedanken über die Rolle des einzelnen Mitarbeiters im Gesamtsystem Luftfahrt, über Systemversagen und über das Spannungsfeld Strafandrohung und Flugsicherheit. (NZZ, 18.5.04)

Auszug:

Drift der Systeme

Ein zusätzliches Problem ist, dass die Wahrscheinlichkeit, dass sich ein Unfall ereignet, mit der Zeit grösser wird. Systeme wandern langsam und unmerklich an den Rand ihres eigenen Sicherheitsdispositivs. In ihrer täglichen Arbeit treffen Menschen - Operateure, Manager und Verwalter - zahlreiche Entscheidungen und gehen Kompromisse ein.

Sie lösen viele kleine und grössere Probleme. Und jedes Mal haben sie die Überzeugung, das Richtige getan zu haben. Aber gewisse Konsequenzen dieser Entscheidungen sind nicht vorhersehbar. Der kumulative Effekt nennt sich «Drift». Dieses Abgleiten ins Versagen ist möglich, weil Personen in Organisationen Tausende von kleinen und grösseren Entscheidungen treffen, die ihnen als nicht vernetzt erscheinen. Aber es ist möglich, dass alle diese kleinen, banalen Entscheide zusammen das System an die kritische (Sicherheits-)Schwelle bringen. Die Forschung auf diesem Gebiet zeigt, dass es schwierig bis unmöglich ist, diesen Drift zu erkennen.