Der Klügere gibt Lärmzertifikate ab (NZZ)

Publiziert von VFSNinfo am
Der Fluglärmstreit ist eine Aneinanderreihung politischer Fehler. Die Lösung liegt in der Anwendung des Verursacherprinzips. Nicht der Bundesrat ist gefordert und nicht der Zürcher Regierungsrat, sondern der Flughafen Zürich.

Von Peter Zweifel

Die Geschichte des Streits um die Lärmbelastung durch den Flughafen Zürich ist eine Geschichte des Politikversagens. Sie begann 1984, als das deutsche Bundesministerium für Verkehr und das Bundesamt für Zivilluftfahrt (Bazl) eine Vereinbarung unterzeichneten, in welcher die schweizerische Seite versprach, der Lärmbelastung am Hochrhein «gebührend Beachtung» zu schenken. 1991 lehnte dann das Zürcher Stimmvolk die Volksinitiative für einen massvollen Flugverkehr klar ab – nur «vergass» der Regierungsrat klar zu sagen, dass das Abkommen von 1984 auf Jahresfrist kündbar war.

Eine Kette von Politikversagen
Der Flughafenausbau schritt von da an zügig voran, doch regte sich aufseiten der zürcherischen Flughafengemeinden sowie am Hochrhein zunehmend Widerstand. Im Falle der süddeutschen Nachbarn versuchte der damals zuständige Regierungsrat, diesen Widerstand zu brechen, indem er ihnen einen direkten Bahnanschluss über Hüntwangen/Eglisau nach Zürich versprach (private Mitteilung). Im Falle der Flughafengemeinden schuf Regierungsrätin Fuhrer «runde Tische» mit dem Ziel, die Betroffenen zum Einlenken zu bewegen.

Es war absehbar, dass beide Lösungsversuche «nicht fliegen» würden. In Deutschland gibt es kein direktdemokratisches Verfahren, das den Stimmbürgern erlauben würde, das Angebot einer Bahnverbindung mit Zürich anzunehmen. In der Umgebung des Flughafens wäre umgekehrt jeder Gemeindepräsident sein Amt los gewesen, wenn er am runden Tisch Konzessionen gemacht hätte. Unter dem Druck vom Hochrhein und aus Stuttgart kündigte die deutsche Seite das Abkommen im Jahre 2000.

Drei Jahre später unterzeichnete der damalige Bundesrat Leuenberger das Luftverkehrsabkommen mit Deutschland, für das er massiv kritisiert wurde. Es dürfte sich um ein weiteres Politikversagen handeln, auch wenn den schweizerischen Unterhändlern zugutezuhalten ist, dass das Verkehrsdossier den Schlussstein der bilateralen Verträge mit der EU bildete. Die EU wollte nur eine Paketlösung akzeptieren, so dass ein Nichtabschluss des Verkehrsdossiers wohl die ganzen Bilateralen zum Scheitern gebracht hätte. Vielleicht war es aber auch Politikversagen, dass der Ständerat das Luftverkehrsabkommen versenkte, denn seither gelten einseitige deutsche Auflagen zur Zahl der Flugbewegungen – gegen welche die Schweiz bis jetzt vergeblich geklagt hat.

Ausgangspunkt für Lösungsansätze ist das Verursacherprinzip. Es verlangt, dass der Flughafen Zürich die externen Kosten trägt, die er bei den Betroffenen verursacht. Nicht der Zürcher Regierungsrat oder der Bundesrat also, sondern der Flughafen ist gefordert. Denn nur er als privates Unternehmen kann die festgefahrene Politik «unterfliegen». Als Erstes muss er sich von seinen Aktionären das Recht geben lassen, rund 285 Millionen Franken für den Rückkauf von Lärmzertifikaten bereitzustellen. Diesen Betrag ergibt die folgende grobe Abschätzung: Setzt man die Grenze niedrig bei (maximal) 45 Dezibel Lärm tagsüber an, so waren 2009 in Deutschland höchstens 25 000 Personen, d. h. etwa 10 000 Wohnungseigentümer, von zusätzlichem Fluglärm betroffen, in der Schweiz hingegen rund 490 000 bzw. etwa 200 000 Eigentümer. Als «zusätzlich» gilt der Vergleich zum Stand von 1991, als (nicht zuletzt dank mangelnder Information der Stimmbürger) der Kapazitätsausbau beginnen konnte. Schätzungsweise 80 Prozent dieser insgesamt 225 000 Menschen sind kaum betroffen und dürften ihr Zertifikat für durchschnittlich 500 Franken an den Flughafen verkaufen – dies ergibt 90 Millionen Franken.

Weitere 15 Prozent sind stärker betroffen, doch mit 3000 Franken können sie ihre Liegenschaft gezielt gegen Lärm schützen und werden deshalb verkaufen – Kostenpunkt: weitere 170 Millionen. In den stark betroffenen Gebieten (5 Prozent von 225 000) wird sich der Zertifikatspreis auf einem noch höheren Niveau einpendeln; doch mit 10 000 Franken kann man sämtliche Fenster eines Zweifamilienhauses gegen Schall isolieren – Kostenpunkt: nochmals rund 12 Millionen. Schliesslich kostet auch die Schaffung einer Börse für die Zertifikate etwa 13 Millionen. Das ergibt insgesamt die 285 Millionen Franken.

Die Zertifikate werden vom Flughafen an die Wohnungseigentümer in jenen Gemeinden verschickt, die mit Lärm belastet sind und wo er einen Flugkorridor schaffen möchte. Gegen ein Geschenk kann auch der deutsche Staat nicht seine Kavallerie in Bewegung setzen. Und die EU muss anerkennen, dass die Bürger beider Staaten gleich behandelt werden. Die Zertifikate können bei jeder Bank eingelöst werden, vorzugsweise in der Schweiz. Der Betrag wird jedoch nur zur Hälfte ausbezahlt; der Rest wird erst bei der Inbetriebnahme der sich ergebenden Korridore fällig.

Rasches Handeln ist angesagt
Es erfolgt ein Registereintrag wie bei einer Namensaktie. Damit verpflichtet sich der Verkäufer des Zertifikats, (a) keine Klage gegen den Flughafen Zürich wegen Lärmbelastung anzustrengen; (b) auch nicht mittelbar durch politische Eingaben bei einer solchen Klage oder einer Einsprache gegen das Zertifikatsverfahren mitzumachen; (c) sich gegebenenfalls an einer Sammelklage des Flughafens (z. B. vor dem Europäischen Gerichtshof wegen Verletzung der Menschenrechtskonvention) automatisch zu beteiligen, falls einer der beiden betreffenden Staaten die Begünstigten an der Ausübung ihres Rechts hindert, das Geschenk anzunehmen. Der Flughafen Zürich verpflichtet sich seinerseits, wiederum Zertifikate abzugeben, falls die Zahl seiner Flugbewegungen 30 Prozent über den Stand 2012 ansteigen sollte. Allerdings: Rasches Handeln ist angesagt!

Peter Zweifel ist em. Professor für Ökonomie an der Universität Zürich.

NZZ; 26.04.2012