SVP-Dissidentin verhilft Fluglärmgegnern zum Sieg (TA)

Publiziert von VFSNinfo am
Die Linke will am Flughafen Flüge streichen. Ihr Postulat hat im Kantonsrat nur deshalb obsiegt, weil ihnen eine SVP-Parlamentarierin geholfen hat. Ein anderer Abweichler hätte das Ergebnis fast wieder gekippt.

Mit 82 gegen 81 Stimmen hat das Kantonsparlament heute Montagmorgen ein dringliches Postulat von SP, Grünen und Grünliberalen unterstützt. Diese Parteien wollen Volkswirtschaftsdirektor Ernst Stocker in Sachen Schutz vor Fluglärm Beine machen. Konkret fordern sie, dass in den sensiblen Stunden abends und am frühen Morgen Flüge gestrichen werden.

Anlass des Vorstosses ist der Richtwert des Zürcher Fluglärmindex’ (ZFI), der 2010 massiv überschritten wurde. 50\'800 Flughafenanwohner werden durch Fluglärm stark gestört – erlaubt wäre die Richtzahl von 47\'000. Bei Überschreiten der Zahl ist der Regierungsrat per Gesetz gezwungen, Massnahmen einzuleiten.

Fluglärmschutz subito

Nur reichten die getroffenen Massnahmen nicht und seien nur langfristiger Natur, kritisierten die Postulanten. «Die Bevölkerung muss sofort geschützt werden», forderte Marcel Burlet (SP). Vor allem in den Nachtrandstunden hat die Lärmbelastung stark zugenommen. Dort müsse angesetzt werden. Burlet ist klar, dass die Kantonsregierung nicht einfach auf einen Knopf drücken kann. Doch könne sie im Verwaltungsrat des Flughafens, in dem sie vertreten ist, sowie beim Bund Einfluss nehmen. «Haben Sie das getan?», fragte er Regierungsrat Stocker.

CVP-Mann Patrick Hächler doppelte nach. «Das Volk hat den ZFI angenommen, nehmen Sie das ernst.» Die Grüne Regula Käser kritisierte, dass viel zu wenig in den Schallschutz investiert werde. Und die sich am Morgen automatisch schliessenden Fenster würden im schlimmsten Fall mit ihren Motörchen mehr Lärm verursachen als die Flieger, sagte Käser polemisch. «Es braucht mehr Geld und es muss schneller reagiert werden», forderte sie. «Der Regierungsrat hat seinen Auftrag nicht erfüllt», meinte Benno Scherrer (GLP).

«Nur Lärm über Fluglärm hat zugenommen»

«Zugenommen hat vor allem der Lärm über den Fluglärm, und nicht der Fluglärm selber», hielt ihnen die Freisinnige Gabriela Winkler entgegen. Die Forderung nach einer 8- statt 7-stündigen Nachtruhe sei überrissen, weil dann wichtige Flugverbindungen wegfallen würden. Winkler kritisierte aber auch den Flughafen, der seinen bei der Privatisierung vor über zehn Jahren abgegebenen Versprechen bezüglich Schallschutz nicht nachgekommen sei.

Christian Lucek (SVP) erinnerte daran, dass der Kanton Zürich in Fragen des Flugbetriebs wenig Einfluss hat. Federführend sei der Bund. Und Cornelia Keller (BDP) fand, die Regierung habe bereits genügend getan für den Fluglärmschutz.

«Wollen Sie wirklich Arbeitsplätze gefährden?»

Mit einem fulminanten Votum wehrte sich Regierungsrat Stocker gegen die Überweisung des Vorstosses und bezichtigte die Befürworter, wirtschaftsfeindlich zu sein. «Wollen Sie wirklich Flüge streichen? Wollen Sie wirklich Arbeitsplätze gefährden? Wollen Sie wirklich den Tourismus schwächen?», fragte er. Denn die Flüge am frühen Morgen und am späten Abend erschliessen wichtige Märkte vor allem aus Fernost, aber auch aus Lateinamerika. Stocker verwies auf die bisherigen Massnahmen wie Verlängerung der Nachtflugsperre auf 7 Stunden oder das beantragte neue Lärmgebührenreglement, das Abgaben von 75 statt 10 Prozent der Flugzeuge verlangt und Anreize für leisere Flugzeuge setzt.

Die Abstimmung zum Postulat verlief spannend, weil es Dissidenten auf beiden Seiten gab und sich Parlamentarier enthielten, ohne die Enthaltungstaste zu drücken. SP, Grüne/AL, Grünliberale, CVP und EVP sagten Ja, SVP, FDP, BDP und EDU stimmten Nein.

Ursula Moor: «Ich will glaubwürdig bleiben»

Den Ausschlag für das knappe Resultat gab SVP-Politikerin Ursula Moor, die als Einzige auf ihrer Seite ausscherte. Beim zweiten Hinsehen überraschte ihr Abstimmungsverhalten allerdings weniger, da die Gemeindepräsidentin der Flughafengemeinde Höri auch Präsidentin des Flughafen-Schutzverbandes ist. Am Rande der Sitzung sagte sie gegenüber Tagesanzeiger.ch/Newsnet, sie wolle gegenüber den Stimmbürgern glaubwürdig bleiben: «Ist es wirtschaftsfeindlich, wenn man das erfüllt, was man den Stimmbürgern versprochen hat?»

Der ZFI wurde lanciert, um die Volksinitiative für maximal 250\'000 Flüge zu bodigen (aktueller Stand: 279\'000). Moor ärgert auch, dass sich der Flughafen kaum je freiwillig für den Lärmschutz engagiert hat. Zu oft müsse dies ein Gericht anordnen – wie im Fall der Landegebühren das Bundesgericht.

EVP-Politiker liess sich fast umstimmen

Moors Stimme wäre fast von Peter Ritschard ausgeglichen worden. Der EVP-Mann sagte nach der Sitzung, seine Fraktion habe beschlossen, Ja zu stimmen. Doch habe ihn die engagierte Rede von Stocker verunsichert. Er enthielt sich aber der Stimme, um der Fraktion nicht in den Rücken zu fallen. Fraktionskollege Johannes Zollinger hatte weniger Hemmungen und stimmte Nein. Das hat aber nichts genützt, da bei der EDU mindestens einer trotz Anwesenheit nicht gestimmt hat. Bei einem Unentschieden hätte Ratspräsident Jürg Trachsel (SVP) den Ausschlag gegeben – gegen das Postulat.

Stocker nahm das Verdikt sportlich: «Wenn das Parlament wünscht, dass wir einen Bericht schreiben, schreiben wir einen», sagte er trocken. Er hat sich genauso wenig über Moors Abstimmungsverhalten geärgert wie SVP-Fraktionschef Hans Frei. «Ursula Moor hat uns ihre Position zuvor intern offengelegt», sagt Frei.

Die Regierung muss zum Postulat nun binnen eines Jahres ausführlich Stellung nehmen.

Tages-Anzeiger, 19.03.2012