Die Schweizer Bundespräsidentin Leuthard zu Fluglärm und Steuerstreit (BZ)

Publiziert von VFSNinfo am
In der kommenden Woche reist Bundespräsident Christian Wulff zu einem Staatsbesuch in die Schweiz. Über den Stand der Beziehungen zwischen den Nachbarn sprach Franz Schmider mit der Schweizer Bundespräsidentin Doris Leuthard.

BZ: Frau Leuthard, wenn Sie die deutsch-schweizerischen Beziehung beurteilen müssten, welche Note würde Sie ihr geben?
Leuthard: Zwischen 5 und 6.

BZ: Wie bitte?
Leuthard: Ach ja, das ist die Beurteilung nach Schweizer Notensystem. Bei Ihnen entspricht das einer Note zwischen eins und zwei.

BZ: Da fällt mir ein Stein vom Herzen.
Leuthard: Die Beziehungen zwischen der Schweiz und Deutschland sind wirklich sehr gut, aber wie es so ist zwischen Nachbarn, es gibt immer noch ein paar offene Fragen zu klären.

BZ: Welche Punkte trüben das Verhältnis?
Leuthard: Zum einen die Diskussionen um den Fluglärm. Aber da sind wir auf einem guten Weg.

BZ: Und worauf stützt sich dieser Optimismus?
Leuthard: Ich stütze mich darauf, dass wir 2008 mit Bundeskanzlerin Angela Merkel ein klärendes Vorgehen vereinbart haben. Wir haben Lärmmessungen in Auftrag gegeben, um eine sachliche Entscheidungsgrundlage zu erhalten. Ergebnisse dieser Lärmmessungen zeigen, dass die Situation nicht so dramatisch ist, wie sie oft dargestellt wird. Danach wird kein deutscher Anwohner tagsüber mit sehr starkem Lärm von 54 Dezibel und mehr belastet, aber 86 000 Schweizer. Und es wird kein deutscher Anwohner nachts mit Lärm über 40 Dezibel belastet, aber 150 000 Anwohner auf Schweizer Seite. Das zeigt faktisch und neutral – die Daten wurden von einem deutschen Institut erhoben – die echte Lärmbelastung.

BZ: Aber Zahlen sind nicht alles.
Leuthard: Natürlich, und das wissen wir sehr wohl. Die Wahrnehmung von Lärm, das Bauchgefühl, ist immer etwas anderes als der Kopf, die Fakten aus der Messung. Aber beide Staaten haben sich darauf geeinigt, dass diese Messungen die Grundlage sind für die weiteren Entscheidungen. Wir können uns nicht nur am Bauch orientieren, wir müssen auch die Fakten einbeziehen. Auf der Basis dieser Lärmmessungen hat die Schweiz einen Vorschlag unterbreitet, und im Oktober treffen sich die Leiter der Arbeitsgruppen. Dabei wird Deutschland zu unserem Vorschlag Stellung nehmen. Wir sind gespannt, wie die Reaktion ausfällt.

BZ: Wie sieht der Vorschlag denn aus?
Leuthard: Wir haben Stillschweigen über die Inhalte vereinbart. Die Experten müssen jetzt in Ruhe arbeiten können.

BZ: Wenn es nicht nur um den Kopf geht, sondern auch um den Bauch: Wie wollen Sie gegen die Stimmung, gegen die Emotionen am Hochrhein angehen?
Leuthard: Das wird ein großes Stück Arbeit. Die Emotionen sind ja nicht von heute auf morgen entstanden. Zweifellos wurden in der Vergangenheit auch Fehler gemacht. Man hat die Bevölkerung, übrigens nicht nur auf deutscher, sondern auch auf Schweizer Seite, zu wenig ernst genommen und nicht genug am Prozess beteiligt. Das wollen beide Seiten jetzt ändern. Das geht nicht von einem Tag auf den anderen. Wir wissen natürlich auch, dass das jetzige Regime bei den Anflügen wie bei den Abflügen nicht tauglich ist, insbesondere nicht beim erwarteten Wachstum des Flugverkehrs. Aber vergessen Sie nicht, dass fast zwei Drittel der Flüge von deutschen Fluggesellschaften abgewickelt werden, die Swiss ist Teil der Lufthansa und Air Berlin ist auch eine deutsche Airline. Man kann nicht reisen und global tätig sein wollen und zugleich jede Belastung durch Fluglärm ablehnen. Ich denke, wir werden am Ende eine Regelung finden, die vor allem Rücksicht nimmt auf die Nachtruhe. Die Menschen wollen nachts schlafen, und das sollen sie auch.

BZ: In der gleichen Region bahnt sich bei der Suche nach einem atomaren Endlager ein weiterer Konflikt an. Wie beurteilen Sie diesen Prozess?
Leuthard: In der Tat lässt sich das Thema nicht behandeln, ohne die Nachbarn einzubinden. Wir sind ein kleines Land und stoßen überall an Grenzen. Deshalb haben wir die deutschen Nachbarn sehr stark und frühzeitig einbezogen. Es ist eine Pionierleistung, dass wir den Deutschen eine Mitwirkung einräumen. Umgekehrt haben wir das in einem solchen Ausmaß meines Wissens noch nie bekommen. Aber wir dürfen hier einmal Pionier sein. Schließlich sollte man nicht den Konflikt suchen, sondern den Dialog. Umso mehr erwarten wir hier einen offenen Dialog, nicht einfach ein Nein. Wir haben Verantwortung für diesen Abfall und müssen ihn sicher entsorgen. Daran führt kein Weg vorbei.

BZ: Wenn man an die Benotung denkt, dann war sicher die Äußerung von Finanzminister Steinbrück das Thema, das die Beziehungen am meisten belastet hat. Sind diese Probleme ausgeräumt?
Leuthard: Ich glaube schon. Uns hat die Wortwahl irritiert, zumal es ja ein Doppelbesteuerungsabkommen gibt und die Schweiz bei Steuerbetrug Amtshilfe leistet. Aber bis November 2008 hatten wir kein einziges Amtshilfegesuch erhalten.

BZ: Vielleicht, weil es dazu Informationen über Geldtransfers braucht.
Leuthard: Moment: Wir sehen die Nöte des deutschen Finanzministers, wir kennen die Interessen des deutschen Fiskus, wir unterstützen keine Steuerhinterzieher. Aber wir wollen, dass das alles auf rechtsstaatlicher Basis abgewickelt wird. Deshalb brauchen wir ein neues Doppelbesteuerungsabkommen nach OECD-Standard. Wir haben bereits 27 solche Abkommen abgeschlossen. Es ist auch in unserem Interesse, dass das schnell geregelt wird. Die beiden Finanzminister arbeiten da sehr gut zusammen. Aber wir können eben keinen automatischen Informationsaustausch anbieten.

BZ: Aber der Verhandlungsprozess gestaltet sich gerade mit Deutschland besonders schwierig.
Leuthard: Eigentlich nicht. Deutschland hat zunächst klären müssen, welchen Weg es gehen will. Und vielleicht gab es Irritationen, weil Deutschland als einziges Land CDs mit illegal beschafften Daten gekauft hat. Das finden wir schon außergewöhnlich. Uns interessiert nicht, was Deutschland mit den CDs macht. Aber wir können ganz sicher keine Amtshilfe leisten in Verfahren, die auf illegal erworbenen Daten beruhen.

BZ: Der deutsche Einzelhandel in der Grenzregion freut sich über den starken Franken und damit über noch mehr Schweizer Kunden. Sie als Wirtschaftsministerin machen sich vermutlich eher Sorgen. Ab wann schadet dies der Schweizer Wirtschaft?
Leuthard: Ja, wir haben da einen starken Kaufkraftabfluss, und Sie profitieren davon. Der schwache Euro und der starke Franken ist für die Exportwirtschaft in der Tat ein Problem, vor allem für jene, die stark auf den Euro-Raum konzentriert sind. Dabei handelt es sich vor allem um mittelständische Unternehmen. Wir haben versucht, über die Nationalbank gegenzusteuern, indem wir Euro gekauft haben. Übrigens haben wir damit auch einen Beitrag zur Bewältigung der Griechenland-Krise geleistet, und zwar einen großen. Aber Sie haben Recht, wir betrachten diese Entwicklung mit Sorge. Dazu gibt es noch einen Aspekt: Man hat uns mit dem Hinweis attackiert, wegen des Bankgeheimnisses fließe so viel Geld in die Schweiz. Nun zeigt sich, dass viel Geld in die Schweiz fließt aus einem ganz anderen Grund, weil das Vertrauen in den Franken so groß ist. Das gefällt mir einerseits, mit Blick auf die Exporte missfällt es mir aber.

BZ: Ein Störthema war zuletzt der Starke Zuzug der Deutschen in die Schweiz. Nun geht der Zuzug etwas zurück, hat sich das Thema erledigt?
Leuthard: Die Zuwanderung aus Deutschland ist aber nach wie vor hoch. Einerseits sind wir sehr froh, denn das sind überwiegend gut ausgebildete, tüchtige Leute, die wir zum Teil selbst nicht ausgebildet haben und die wir brauchen. Aus volkswirtschaftlicher Sicht, für die Entwicklung und das Wachstum ist das eine gute Situation. Dafür sind wir dankbar und wir wollen die Menschen auch möglichst rasch und gut integrieren. Ich glaube zudem, dass die Abwehrreaktionen auf eine kurze Zeit beschränkt waren. Die Abwanderung dieser gut qualifizierten Kräfte ist übrigens auch ein Problem für Deutschland, und darum müssen wir auch im Gespräch bleiben. Wir dürfen nicht vergessen, dass wir gemeinsam das Problem niedriger Geburtenraten haben. Und die demografische Entwicklung stellt die Sozialsysteme beider Länder vor eine gewaltige Herausforderung. Daher brauchen wir beide Zuwanderung, da sitzen wir im selben Boot. Deshalb müssen wir auch enger zusammenarbeiten in den Bereichen Wissenschaft, Forschung, Technologie. Nur so können beide Staaten, die ja nicht sehr reich sind an natürlichen Ressourcen, langfristig Schritt halten. Hier gibt es aus meiner Sicht nur ein Rezept, die ganz enge Kooperation in allen Bereichen, vor allem in der Wissenschaft und Forschung.

BZ: Frau Leuthard, Sie haben Herrn Köhler zu dem Staatsbesuch eingeladen, jetzt kommt stattdessen Herr Wulff. Verwirrt Sie das?
Leuthard: Das kann es geben, dass sich jemand aus der Politik verabschiedet. Bei uns im Bundesrat verabschieden sich auch gerade zwei Kollegen. Ich freue mich, dass Bundespräsident Wulff die Einladung aufrechterhalten hat und damit bei seinem ersten Staatsbesuch in die Schweiz kommt. Das ist für uns eine große Ehre. Ich schätze das auch als persönliche Geste.  

Badische Zeitung, 04.09.2010

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