«Mit GPS kann man auch nicht in die Parklücke fahren» (NZZ)

Publiziert von VFSNinfo am

Warum es so lange dauert, bis die Flugzeug-Satellitennavigation eingeführt werden kann - der Skyguide-Projektleiter Jürg Hänni nimmt Stellung

Im Süden des Flughafens wird oft kritisiert, dass satellitengestützte Navigation, etwa zugunsten eines gekröpften Nordanflugs, zu langsam eingeführt wird. Jürg Hänni, zuständiger Projektleiter von Skyguide, nimmt Stellung zu den Vorwürfen.

Herr Hänni, heute navigiert jedes zweite Auto satellitengestützt, warum dauert die Einführung der Technologie im Flugverkehr so lange?

Lassen Sie mich eine kleine Analogie herstellen: Die Autos navigieren zwar heute mit Satelliten, die Einfahrt in eine Parklücke schafft ein GPS aber nicht. Die Parklücke kann man mit der Piste vergleichen. Für Start und Landung hat die Technologie noch Grenzen.

Die Satellitennavigation ist also noch zu wenig präzis, um sie im Flugverkehr routinemässig anzuwenden?

Es kommt auf die Flugphase an. Im Reiseflug wird sie schon lange angewendet. Für die An- und Abflüge ist die Satellitennavigation heute aber noch zu wenig präzis. Zudem gehört mehr dazu als die technologische Ebene. Es gilt auch die institutionelle und die systemische Ebene darauf abzustimmen, damit die Technologie effektiv angewandt werden kann.

Wo ist der Aufholbedarf am grössten?

Die technologische Ebene ist am weitesten entwickelt, die systemische noch nicht so sehr, und die institutionelle Ebene ist am wenigsten weit fortgeschritten.

In vielen anderen Ländern ist Satellitennavigation heute Standard. Warum ist die Schweiz so rückständig?

Satellitennavigation ist für den An- und Abflug vielleicht in den Vereinigten Staaten Standard, in Europa aber noch lange nicht. Man muss differenzieren. Oft werden einzelne Flughäfen in Alaska, Australien und Schweden als Beispiele herangezogen. Dort sind die Verhältnisse natürlich ganz anders als in der Schweiz. Der Flughafen Zürich ist viel komplexer als zum Beispiel Juno in Alaska, wo viel weniger Flüge und Flugzeugtypen verkehren. Auch gibt es Unterschiede hinsichtlich der Topografie und der Platzverhältnisse. Der Flughafen Zürich hat aber durchaus Potenzial für Satellitennavigation, wir müssen uns einfach sorgsam daran herantasten.

Warum diese Vorsicht?

Die Satellitennavigation ist ein Quantensprung in der Fliegerei, zumindest beim An- und Abflug. Heute ist der Standard das Instrumentenlandesystem (ILS). Bis die neue Technologie so weit ist, geht es lange, ähnlich lange wie die Umstellung vom Verbrennungsmotor zur Wasserstoffzelle beim Auto.

Wie lange dauert es, bis Satellitennavigation der Standard ist?

Das geht sicher noch länger, aber ein Datum kann ich nicht nennen.

Im Zürcher Umfeld beschäftigt Satellitennavigation vor allem im Zusammenhang mit dem gekröpften Nordanflug, der frühestens in 6 bis 10 Jahren wieder aktuell werden soll. Warum muss die Bevölkerung so lange warten?

Unsere Aufgabe ist es, die Flughäfen bei der Weiterentwicklung der Verfahren zu unterstützen. Wir bringen unser Fachwissen ein. Federführend ist hier aber der Flughafen Zürich. Er entscheidet darüber, ob ein allfälliges neues Gesuch eingereicht und ein entsprechendes Projekt für einen gekröpften Nordanflug lanciert werden soll. Klar ist jedoch: Ein solches Projekt ist technisch anspruchsvoll und lässt sich nicht von heute auf morgen einführen.

Es gibt also noch kein Projekt für einen neuen gekröpften Nordanflug?

Es gab ja ein Gesuch für die erste Stufe, das teilweise auf Sichtflug beruhte und vom Bundesamt für Zivilluftfahrt (Bazl) abgelehnt wurde. Als nächste Stufen waren entweder eine Kombination aus satellitengestützter Kurve mit einem Wechsel aufs ILS oder ein komplett satellitengestütztes Verfahren vorgesehen. Dafür gibt es noch kein konkretes Projekt des Flughafens. Man arbeitet aber an den Technologien, die dafür nötig sind, sowohl bei uns wie auch beim Flughafen.

Kann man sich im Dienste einer schnellen Einführung des «Gekröpften» nicht der Erfahrungen auf ausländischen Flughäfen bedienen?

Es gibt sicher Ableitungen, die man machen kann, aber solche Verfahren sind nicht tel quel in die Schweiz übertragbar, weil die erwähnten Systemebenen sehr unterschiedlich sind, je nach Land, Topografie und Luftfahrtpolitik. Deshalb haben wir die Arbeitsgruppe «Chips» ins Leben gerufen, wo Skyguide unter anderem mit Bazl, Flughäfen, Swiss und Luftwaffe gemeinsam an der Entwicklung von satellitengestützten Verfahren arbeitet.

Die Arbeitsgruppe gibt es seit rund einem halben Jahr. Kommt diese Initiative nicht etwas spät?

Nein, wir haben sofort nach der Ablehnung des ersten Gesuchs für den gekröpften Nordanflug mit den Vorbereitungsarbeiten für «Chips» begonnen, das finde ich zeitgerecht. Mit Satellitennavigation geradeaus fliegen, das ist kein Problem. Was wir jetzt anpacken, ist das Starten und Landen in topografisch anspruchsvollem Gebiet. Das ist hierzulande viel komplexer als in Stockholm oder Brisbane, wo direkt hinter dem Flughafen das Meer anfängt.

Oft wird auch postuliert, durch Satellitennavigation werde die bestehende Kapazität gefährdet. Warum ist das so?

Wenn man hinsichtlich der Kapazität bereits am Limit arbeitet, wie dies heute in Zürich teilweise der Fall ist, und dann noch zusätzlich unterschiedliche Technologien anwendet, dann müssen grössere Sicherheitsabstände eingehalten werden, dadurch wird die Kapazität kleiner. Nun stehen wir vor einer Übergangsphase von konventioneller ILS- zu Satellitennavigation. Zürich hat einen sehr heterogenen Verkehrsmix. Deshalb wird zu Beginn nur ein Teil der Flugzeuge die neuen An- und Abflugverfahren nutzen können. Der Flughafen muss aber für alle Luftraumbenutzer zur Verfügung stehen. Man kann also nicht von einem Tag auf den anderen einen neuen Standard einführen. Damit das Flughafensystem die neuen An- und Abflugverfahren längerfristig verkraften kann, braucht es kleine Schritte. Deshalb wird man sie zuerst in Randzeiten einsetzen.

Kann die Bevölkerung bezüglich Lärmbelastung irgendwelche Fortschritte dank Satellitennavigation erwarten?

Eines der vier «Chips»-Projekte, das am Flughafen derzeit in Bearbeitung steht, bezweckt die Lärmreduktion durch präzisere Abflüge mit weniger Streuung. Bis zu einer flächendeckenden Einführung komplexerer Projekte wie beispielsweise eines gekröpften Nordanflugs müssen wir erst Daten und Erfahrungen mit den neuen Technologien sammeln.

Interview: Adrian Krebs

NZZ, 10.05.2010, Seite 11


siehe auch:
Der gekröpfte Anflug soll verhindert werden (Leserbriefe NZZ)