Wo bleibt der Zürcher Regierungsrat? (TA)

Publiziert von VFSNinfo am
Fluglärm - Die Bevölkerung hat ein Recht darauf, dass der Grenzwert eingehalten wird.

49 000 Personen werden im Kanton Zürich vom Fluglärm über Gebühr belästigt. Das sind zu viele, mehr als 47 000 dürften es nicht sein.  Hier liegt der Richtwert des Zürcher Fluglärm-Indexes ZFI, der die Maximalzahl der Belästigten festlegt. Kaum ein Stimmbürger oder eine Stimmbürgerin durchschaut zwar die ZFI-Berechnungsformeln. Dennoch hat das Volk den Fachleuten und Behörden vertraut. Diese beteuerten: Es sei möglich einen Lärmplafond über den Kanton zu legen, der die Bevölkerung vor übermässigem Lärm schütze. Das Volk stimmte 2007 der ZFI-Lösung zu und lehnte die Flughafen-Initiative ab, die die Zahl der erlaubten An- und Abflüge in Kloten auf dem heutigen Niveau von jährlich 250\'000 eingefroren hätte.

Gesetz gilt auch für Behörden

In der Tat spielt es für die Nord-, Ost- und Südschneiser weniger eine Rolle, wie viele Flugzeuge verkehren, als wie gross der Lärm ist, den diese verursachen. Doch nun, zwei Jahre nach der Abstimmung, ist der Lärmplafond bereits überschritten. Und die Stimmberechtigten haben ein Recht darauf, dass Gegensteuer gegeben wird. Mit ein paar Sorgenfalten auf der Stirn von Volkswirtschaftsdirektorin Rita Fuhrer können sie nicht zufrieden sein. Im Gesetz heisst es wörtlich: «Die Behörden des Kantons Zürich wirken darauf hin, dass der Richtwert nicht überschritten wird. Sie ergreifen rechtzeitig in ihrer Kompetenz stehende Massnahmen.» Doch was tut der Regierungsrat, wenn der Richtwert bereits überschritten ist? Nichts. Rita Fuhrer legte lediglich eine unverbindliche Liste von möglichen Massnahmen vor: andere Flugrouten, Verhandlungen mit Deutschland, leisere Flugzeuge. Ihr Ziel sei es, den ZFI-Wert «langfristig so tief wie möglich zu halten». Aber was heisst denn «so tief wie möglich»? Kein Wunder, ist das Komitee weltoffenes Zürich - als einzige Organisation - vollauf zufrieden.

Es ist zwar in der Tat so, dass der Regierungsrat den Lärm nur begrenzt bekämpfen kann. Für die Flugrouten und die Verhandlungen mit Deutschland ist der Bund zuständig, und über die Flotten der Fluggesellschaften kann der Regierungsrat auch nicht bestimmen. Doch das «Prinzip Hoffnung», auf das der Regierungsrat baut, genügt nicht. Warum lässt er sich zum Beispiel schon seit Jahren von der Flughafen Zürich AG mit dem Versprechen abspeisen, man überprüfe eine Erhöhung der Gebühren für lärmige Maschinen? Immerhin sitzt Fuhrer im Verwaltungsrat der Flughafen AG. Warum betonte die Volkswirtschaftsdirektorin bei der Präsentation der bedenklichen Fluglärmzahlen vor allem, dass man Zürichs prosperierenden Flughafen nicht behindern dürfe? Es ist der Ton, der die Musik macht. Jetzt, wo es am Himmel zu laut geworden ist, erwarten die Stimmberechtigten auch ein Crescendo in der Sprache der Behörden. Sonst sind die ZFI-Berechnungen das Papier nicht wert, auf dem sie gedruckt werden.

Gemeinden sind in der Pflicht

Gewiss, einen negativen Einfluss auf den ZFI hatte nicht nur der wachsende Flugverkehr, sondern auch die Bevölkerungsentwicklung. Darum zieht der Regierungsrat in Betracht, das Bauen von Wohnhäusern in Flughafengemeinden zu erschweren oder gar zu verhindern. Hier ist das Signal des Regierungsrates deutlich und richtig. Denn es ist ärgerlich, wenn Leute in Massen in die Anflugschneisen ziehen, sich dann über den Lärm beschweren und die Entwicklung des Flughafens gefährden. Die ZFI-Berechnungen zeigen, dass die Bevölkerung in den Flughafengemeinden sehr stark gewachsen ist, in den letzten zehn Jahren um 12 Prozent. Wäre das Wachstum ausgeblieben oder wenigstens moderater ausgefallen, wäre der Grenzwert von 47 000 belästigten Personen (noch) nicht überschritten. So gesehen, stehen auch die Gemeindebehörden in der Pflicht, wenn es darum geht, Neubauten in den Schneisen zu bewilligen.

Der Richtwert muss bleiben

Zum Schluss stellt sich die Frage, ob der Regierungsrat den Richtwert nicht zu tief angesetzt hat und ob es nicht 50\'000 oder 55\'000 Personen vertragen hätte? Im Jahr 2000, als es den ZFI noch nicht gab, waren 60\'000 Personen vom Lärm belästigt gewesen.

Die Frage ist vielleicht berechtigt, aber sie kommt heute zu spät. Der Richtwert darf jetzt nicht angepasst werden. Erstens würde dadurch das Volk hintergangen, das diesem und keinem anderen Lärmplafond zugestimmt hat. Und zweitens würde der Regierungsrat das selbst erfundene ZFI-System demontieren. Beim 100-Meter-Lauf wird auch nicht während des Rennens die Ziellinie nach hinten verschoben. Wenn der Richtwert tatsächlich zu tief ist, dann sind die Behörden selber schuld. Jetzt müssen sie die Suppe auslöffeln und laut Gesetz darauf «hinwirken, dass der Richtwert nicht überschritten wird». Wer nicht leise fliegen kann, soll gar nicht erst starten.

Tages-Anzeiger, 07.11.2009


siehe auch:
Medienmitteilung Überschreitung des ZFI (VFSN)
ZFI durchbricht die Limite (ZOL)
Zürcher Fluglärm-Index 2008 erneut angestiegen – Massnahmenkonzept liegt vor (RR)
Parteien wollen Nachtruhesperre (ZOL)
Zürcher Regierung im Sandwich
ZFI kann eingehalten werden! (VFSN, 04.06.2009)